Alle Jahre wieder, wenn die Tage kurz und dunkel wurden, quälte mich diese Fantasie: ein fester Arbeitsplatz mit Festgehalt in einem Büro. Ein gemütliches Zimmer mit Pflanzen, großem Bildschirm zum Abschirmen, schönem Ausblick und dem Anblick einer lieben Kollegin, die ich in unserem Zweierzimmer beim Schreiben nach Synonymen fragen könnte, ehe wir um 13 Uhr in die Kantine bummeln würden. Diesen Spätsommer erhörte mich das Universum und lieferte ein Angebot, das ich nicht abschlagen konnte.
Mein Leben in der Glaskabine
Okay, die Räume dort waren etwas anders als in meiner Vorstellung. Genau genommen war es ein puristischer Riesenraum. Ein Glashaus, ohne Pflanzen. Mein Arbeitsplatz eine Leerstelle an einer der langen Tischzeilen. Es war auch nicht mein, sondern ein Platz – immer schön flexibel bleiben. Für Gespräche und Telefonate, die nicht alle mithören sollten, gab es eine schalldichte Glaskabine, sodass jeder einem beim Reden zusehen konnte. Ich flüchtete zur Toilette und wünschte mir eine Creme mit Sichtschutzfaktor 100. Dann ging ich an die Arbeit und doppelbelastete mich damit, eine sichtbar fröhliche, produktive Arbeitskraft darzustellen.
Ich vermisse meinen Schutzraum
Ich kam mir vor wie im Film, natürlich im falschen. Mit mehreren Tonspuren zudem, da ich jedes Gespräch und Geräusch auf dieser Etage zwangsläufig mithören musste. Die Profis an der Arbeitstafelrunde versuchten sich durch dicke Kopfhörer auszublenden und wirkten damit wie eine Mischung aus DJ und Autist. Aus der Hirnforschung und aus Bibliotheken ist bekannt, wie wichtig Stille für die Konzentration ist, akustische Dauerreizung überlastet den präfrontalen Kortex. Das erschwert es, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Oder war ich einfach zu kleingeistig für ein Großraumbüro? Nein, eine aktuelle Studie aus England gibt mir recht: Dafür wurde eine Firma beim Umzug von traditionellen Büros ins Großraumbüro psychologisch begleitet.
Überraschendes Ergebnis: Frauen leiden im open space deutlich. Ihr Aussehen und Auftreten steht traditionell stärker unter Beobachtung und Beurteilung; im Großraumbüro nun erst recht. Sie schminkten sich stärker, verwendeten mehr Zeit und Geld auf ihr alltägliches Styling und kleideten sich geschäftsmäßiger (Blazer statt Strickjacke), da ihr hierarchischer Status nicht mehr durch Zimmer mit Namen und Titel an der Tür deutlich wurde. Auch vermissten sie schmerzlich einen Schutzraum, um im emotionalen Krisenfall unbeobachtet Gespräche zu führen, unkommentiert scheiße auszusehen oder einfach zu weinen.
Als ich nach einem jahrelangen Tag das Großraumbüro verließ, sagte ich für den Abend die Geburtstagsfeier einer Freundin ab, auf die ich mich so gefreut hatte. Ich konnte kein Gespräch mehr hören oder führen. Wollte nur noch herumliegen. Vor Kurzem habe ich gelesen, dass jeder Zweite mittlerweile zu erschöpft ist, um nach der Arbeit ein Privatleben zu führen. Jenes Jobangebot habe ich noch am nächsten Tag abgesagt. Aber keine private Verabredung.