Wer sich in den USA in einem Coffeeshop ein Heißgetränk kauft, wird vielleicht in der Schlange auch mal hinter einer Frau stehen, die ihren eigenen, wiederverwendbaren Kaffeebecher zum Befüllen über den Tresen reicht: doppelwandig, aus schwarzer Keramik, darauf in weißen Lettern der Schriftzug "Buy the f***ing latte". Kauft euch den verdammten Milchkaffee.
Die Investmentplattform von Frauen für Frauen
Urheberin des Spruchs ist Sallie Krawcheck, 55, seit 20 Jahren eine große Nummer in der Wall Street. Sie war im Vorstand von Citigroup und Bank of America, wurde beide Male gefeuert und gründete vor vier Jahren ihr eigenes Unternehmen: Ellevest, eine digitale Investmentplattform und Vermögensverwaltung von Frauen für Frauen. Weil sie fand, dass die Finanzbranche zu sehr von Männern für Männer gestaltet wird. So erfolgreich und überzeugend ist sie damit, dass vor ein paar Monaten Melinda Gates mit ihrer Risikokapitalfirma Pivotal Ventures 33 Millionen Dollar investiert hat.
Der Kaffeebecher ist nur ein kleiner Gag am Rande von Krawchecks großer Mission: Frauen zu ermutigen, sich um ihr Geld zu kümmern, es gewinnbringend anzulegen – und sich dabei nicht beirren zu lassen. Schon gar nicht von Männern. In einem Essay echauffierte sich die Finanz-Feministin vor Kurzem über die Ratschläge, die Frauen bekommen. Etwa den: Verzichtet doch auf euren täglichen Coffee to go, und ihr habt genug Geld, um es zu investieren und reich zu werden. Simple Rechnung: Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit ein Latte macchiato für drei Euro, macht (bei 230 Arbeitstagen im Jahr) in zehn Jahren 6900 Euro, einfach so weggeschlürft. Das Geld stattdessen in einem Fondssparplan mit durchschnittlich fünf Prozent Rendite angelegt – und nach zehn Jahren hat man mehr als 9000 Euro.
Solche Zahlenspiele mit den kleinen Summen, die man täglich achtlos aus gibt, sind als "Latte-Faktor" bekannt; und so heißt auch das Buch zweier männlicher Autoren, das es auf die Bestsellerliste der "New York Times" gebracht hat. Die Handlung: Älterer Mann erklärt jüngerer Frau, wie man vernünftig mit Geld umgeht.
"Mansplaining" sei das, schäumt Krawcheck, männliche Bevormundung. Und fragt rhetorisch: Würde man umgekehrt Männern ernsthaft raten, auf ihren Milchkaffee oder neue Schuhe (den Feierabend-Martini? Ein neues technisches Gimmick?) zu verzichten, damit sie besser für ihren Ruhestand vorsorgen können? "Es geht nicht um den Kaffee. Es ging nie um den Kaffee", so Krawcheck. Den Frauen zu sagen, dass sie ihr Verhalten ändern sollen, hält sie für ein Ablenkungsmanöver. "Dieser ganze Unsinn über Milchkaffees und Schuhe lenkt die Aufmerksamkeit und damit die Schuld auf die Frauen selbst." Von Kindheit an rede man ihnen ein, sie könnten halt nicht so gut mit Zahlen; mit Jungs spreche man darüber, wie man "Geld macht" und investiert, mit Mädchen, wie man spart und es sorgsam zusammenhält.
Viele Frauen, meint sie, empfänden vor allem Scham, wenn es um Geld geht. "Wir schämen uns, wenn wir in Schulden stecken; oder weil wir zu viel ausgeben, oder weil wir zu wenig verdienen, oder weil wir zu viel verdienen." Dabei müssten ganz andere Probleme gelöst werden: die strukturellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Bezahlung, der Verteilung von Vermögen, den Aufstiegschancen. Deshalb ihr Aufruf an die Frauen: Kauft euch den verdammten Kaffee. Lasst euch den kleinen Alltagsluxus nicht ausreden. Aber verliert die großen Ziele nicht aus den Augen.
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