Anzeige
Anzeige

Parisa Shahyari: Warum ist ein nachhaltiges Finanzsystem so wichtig?

Parisa Shahyari: Warum ist ein nachhaltiges Finanzsystem so wichtig?
© privat
Als junge Iranerin kam Parisa Shahyari als nach Deutschland, machte nach vier Jahren das deutsche Abitur, studierte anschließend Wirtschaftswissenschaften und startete eine Karriere im Bankensektor. Heute arbeitet sie für den WWF und setzt sich für Sustainable Finance – also ein nachhaltiges Finanzsystem – ein. Sie erzählt uns, wie wir alle etwas gegen den Klimawandel, Umweltverschmutzung und widrige Situationen in Entwicklungsländern tun können.

Frau Shahyari, was hat sie dazu bewogen, beim WWF anzufangen?
Es gibt ja mehrere Organisationen und NGO’s, bei denen man sich für nachhaltige Finanzierung einsetzen kann. 
Ich habe wirklich viel gesehen, im Finanzmarkt, bei einem Ministerium und auch im Solarsektor gearbeitet. Irgendwann habe ich festgestellt, ich habe zwar Spaß an meinem Job, aber eine wirkliche Erfüllung war es nicht. Schließlich habe ich die Stellenanzeige vom WWF gesehen und ich habe etwas Positives und Emotionales mit dem WWF verbunden. Sie suchten jemanden, der aus dem Finanzbereich kommt, den Sektor und die politischen Akteure kennt, welche ich in meiner Arbeit bei einem Solarunternehmen und meinem Job als Beraterin für Infrastrukturprojekte für das Verkehrsministerium bereits kennen lernen konnte. Ich wollte einfach etwas machen, bei dem ich einerseits wusste, dass meine Fähigkeiten gefragt sind und ich wollte mich mit der Marke und der Organisation identifizieren können. Und der WWF hat mir das gegeben, alle haben eine gemeinsame Vision und arbeiten mit ganzem Herzen an ihren Projekten. Sie sind alle vom gleichen Schlag: engagiert, energiegeladen, positiv, authentisch und präsent.

Sie haben lange im Finanzsektor in Deutschland gearbeitet. Hatten Sie aufgrund ihres Migrationshintergrundes und als Frau jemals Nachteile?
Es ist genau umgekehrt. Es hat nie eine große Rolle gespielt, aus welchem Land ich komme. Bei einer großen Bank ist ohnehin vieles international, weshalb Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen gebraucht werden. Für mich war es deshalb von Vorteil, dass ich einen anderen Hintergrund hatte. 

Trotzdem werden Sie viele Herausforderungen in Ihrem Leben gemeistert haben … 
Der größte Kampf war tatsächlich, die 11. Klasse in Deutschland zu überstehen und parallel die Sprache zu lernen. Die kulturellen Unterschiede zu verarbeiten, war schon rückblickend das, was mich am meisten angestrengt aber auch gestärkt hat. Denn wenn man so etwas einmal gemacht hat, dann weiß man, dass man andere Dinge auch schafft. Auch der Tod meines Vaters im Iran war sehr schwierig für mich. Ich war nicht bei ihm und konnte ihn die letzten Jahre nicht so pflegen, wie ich es gewollt hätte. Auf der anderen Seite war er derjenige, der mich so geformt hat, dass ich jetzt beim WWF bin: Er war der Meinung, dass der derzeitige Verbrauch von Ressourcen und der unendliche Konsum uns irgendwann in die Knie zwingen wird. Ich wäre so stolz, wenn ich ihm jetzt sagen könnte: Ich versuche, die Katastrophe zumindest ein wenig abzuwenden. 

Was meinen Sie, sind momentan die größten Chancen und Risiken in Deutschland bezüglich der Finanzpolitik?
Die größte Chance ist zu sehen, welche Hebelfunktion das Finanzsystem für unsere Umwelt, für unser Klima und auch für soziale Themen hat. Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) hat die Weltgemeinschaft dringend notwendige Entscheidungen für eine nachhaltigere Entwicklung für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft getroffen. Seitdem sind diese Themen ganz oben in der politischen und öffentlichen Diskussion angekommen. Es ist höchste Zeit, aktiv zu werden, um die notwendigen Schritte zur Erreichung dieser Vereinbarungen nun auch in die Tat umzusetzen. Der Finanzindustrie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn Banken und Investoren haben mit der bewussten Steuerung von Geldströmen einen enormen Einfluss auf die nachhaltige Transformation der Gesamtwirtschaft und vieler gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Sowohl die EU-Kommission als auch das Europa-Parlament arbeiten aktuell an verschiedenen Gesetzgebungsinitiativen, die konkrete Vorschläge beinhalten, wie die Finanzwirtschaft ihren Beitrag leisten kann.

Da kommen wir vom WWF ins Spiel: Wir sprechen mit den relevanten politischen Akteuren und machen auf die Notwendigkeit eines stärkeren Engagements aufmerksam, damit auch Deutschland die Aktivitäten auf der EU-Ebene unterstützt. Während andere EU-Mitgliedstaaten deutliche Schritte in die richtige Richtung unternehmen, hält sich die deutsche Regierung noch zurück. Dabei haben viele Akteure schon erkannt, dass Nachhaltigkeit keine Modethema mehr ist, sondern pure Notwendigkeit. Die Finanzakteure, also Banken und Investoren, brauchen vom Staat aber einheitliche Rahmenbedingungen.

Was ist beim Hinblick auf nachhaltige Finanzierung für Industrienationen wie Deutschland wichtig?
Industrienationen machen von der Bevölkerungszahl einen kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung aus. Aber diese Nationen verbrauchen die meisten Ressourcen und verursachen die höchsten CO2-Emissionen weltweit. Und wenn wir so weitermachen,  verursachen wir genau in den Entwicklungsländern, die kaum Ressourcen verbrauchen, ökologische und letztlich auch ökonomische und soziale Probleme. Das heißt, wir haben die Verantwortung in den Industrieländern die Dinge zu verändern und zum Beispiel Prozesse bei der Produktion und beim Verbrauch von Energie umzustellen, damit die CO2-Emissionen sinken. Die Rolle des Finanzsystems ist, zu überlegen, wie eigentlich das Unternehmen arbeitet, das ich finanziere: Wie produziert es? Werden Umweltaspekte und soziale Kriterien beachtet? Es ist nicht nur eine moralische Frage, sondern betrifft auch langfristige Kredite der Bank: Verbraucht das finanzierte Unternehmen zu viel CO2, wird es vom Gesetzgeber irgendwann limitiert und Werke könnten geschlossen werden. Dann können Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden und die Bank macht Verluste. Um das eigene Überleben zu sichern, muss das Finanzsystem genau hinschauen, wohin die Gelder fließen – und mit Blick auf Umweltthemen tut es das noch nicht genug. 

Was ist momentan Ihr Herzensprojekt?
Welche Ziele verfolgen sie gerade? Generell wollen wir beim WWF darauf aufmerksam machen, welchen Hebel die Finanzwelt hat, um bestimmte Dinge zu korrigieren oder anders zu machen. In dem Zusammenhang möchten wir besonders auf die nachhaltige Geldanlage einzelner Verbraucher eingehen. Millionen Deutsche können zu ihrem Kundenberater gehen und bei ihrer Bank angeben, das eigene Geld nicht in Unternehmen zu investieren, die umweltschädliche Produktionen haben oder Kinderarbeit betreiben. Heute ist es so, dass man zu seinem Kundenberater geht, und dieser vier oder fünf Aktienfonds oder andere Produkte zur Auswahl hat, die man vorgestellt bekommt und man daraus auswählen muss. Es wäre großartig, wenn alle, die sich mit ihrer Altersvorsorge oder Kapitalanlage auseinandersetzen, auf Nachhaltigkeit achten. Wenn der Kundenberater zum Beispiel von 500 Kunden diese Wünsche hört und irgendwann verzweifelt zu seinem Filialleiter geht, dann erreicht das den Vorstand der Bank. So kann unsere Nachfrage dafür sorgen, dass der Bankvorstand sich darüber Gedanken macht, wie das Angebot an nachhaltigen Geldanlagen erweitert werden kann. Wie bei unserem Gang in den Bio-Markt können wir auch unser Konsumverhalten bei unserer Kapitalanlage steuern. 

Glauben Sie, dass nachhaltige Geldanlage vor allem für Frauen wichtig ist?
Nachhaltige Geldanlagen haben mit dem Geschlecht wenig zu tun. Aber wir Frauen kümmern uns generell viel zu wenig um unsere Altersvorsorge und es wird sich viel zu sehr auf die Partner oder Ehemänner verlassen. Wir machen Teilzeitverträge, bekommen Kinder, treten zurück und glauben dabei, dass alles gut geht. Es ist natürlich schön, wenn wirklich alles gut geht, aber häufig tut es das leider nicht. Genau diese Frauen - und das ist statistisch belegt - sind von Altersarmut betroffen. Da man sich als Frau sowieso um seine Altersvorsorge kümmern sollte, kann man es auch nachhaltig tun. Fragt euren Kundenberater bei der Bank, was es für nachhaltige Ideen gibt.

Welche drei Tipps würden Sie Frauen für ihre Finanzen geben?

  • Schon zu Beginn des Arbeitslebens sollte jede Frau sich selbständig um ihre Finanzen und Altersvorsorge kümmern. Die Garantie, von jemand anderem versorgt zu werden, gibt es leider nicht. 
  • Fragt beim Arbeitgeber, welche Formen der betrieblichen Altersvorsorge angeboten werden. Ein Arbeitnehmer hat ein Recht darauf, über den Betrieb für das Alter vorzusorgen. Aber in welcher Form und über welchen Vertrag das geschieht, entscheidet der Arbeitgeber. In vielen Unternehmen zahlt der Arbeitgeber auch einen bestimmten Geldbetrag, den man für die Altersvorsorge in Anspruch nehmen kann. Diese sog. Vermögenswirksamen Leistungen werden leider von vielen Arbeitsnehmern nicht in Anspruch genommen. 
  • Achtet auf die Nachhaltigkeit bei euren Finanzprodukten. So könnt ihr nicht nur finanziell für eure Zukunft vorsorgen, sondern helft mit, das gesamte System fit für die Zukunft zu machen.  Aber wie bei allen Investmententscheidungen gilt auch bei nachhaltigen Produkten, die Risiken abzuwägen. Vor jeder großen und langfristigen Investition ist daher Rat von vertrauenswürdigen Experten sinnvoll.

Welche Fragen können wir bei dem nächsten Termin unserem Bankberater stellen?

  1. Welche nachhaltigen Geldanlagen werden angeboten?
  2. Wie wird dabei Nachhaltigkeit definiert? Wird zum Beispiel nur in Pioniere in Sachen Umweltschutz etc. investiert oder gibt es eine Negativliste – also Unternehmen und Branchen, in die nicht investiert werden? 
  3. Wie trägt das Produkt zum Erreichen der Klimaziele bei?
  4. Werden soziale Kriterien berücksichtigt (z.B. Ausschluss von Kinderarbeit)?
  5. Gibt es Geldanlageprodukte, die ein Nachhaltigkeitssiegel haben, beispielsweise vom Forum nachhaltige Geldanlagen?

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Shahyari. 

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel