Manchmal kam Nina Hille ihr alter Job vor wie eine Runde "Monopoly". "Ich hatte ein grandioses Team und viele Möglichkeiten, kreativ zu sein", erinnert sich die 43-Jährige an ihre Zeit in der Geschäftsleitung des Langenscheidt-Verlages. "Aber ich fühlte mich, als würde ich ein Spiel spielen. Zwar mit großem Ehrgeiz und Einsatz – doch wenn ich verlöre, würde das keinen gesellschaftlichen Unterschied machen."
Nina Hille wollte einen Unterschied machen. Einen zum Guten. Damit ist sie nicht allein. Jobs, durch die die Welt ein bisschen besser wird, sind gefragt wie noch nie. Das gilt für Stellen bei großen Naturschutz-NGOs oder Stiftungen ebenso wie bei der kleinen Bio-Mühle, dem E-Mobility- Start-up oder in der Nachhaltigkeitsabteilung eines Konzerns.
Nicht erst seit die Corona-Krise alte Gewissheiten durcheinandergewirbelt hat, wird die Frage nach dem "Warum?" ihrer Arbeit für viele immer wichtiger. "Das liegt auch an gesellschaftlichen Entwicklungen wie dem Klimawandel", sagt die Frankfurter Politologin Friedericke Hardering, die zum Sinnerleben von Arbeit forscht. "Viele bekommen dadurch das Gefühl, sie sollten selbst etwas Gutes tun."
Jobs mit Sinn boomen
Zugleich entstehen immer mehr Organisationen und Unternehmen, die solche Jobs anbieten. Nach einer Analyse des Netzwerks LinkedIn stieg die Zahl der Stellenausschreibungen für Nachhaltigkeit 2019 in Europa um 49 Prozent. Inzwischen gibt es daher viele Anbieter, die Jobsuchende und grüne oder soziale Unternehmen zusammenbringen – Stellenportale wie greenjobs.de oder goodjobs.eu, Websites wie tbd.community oder Personalvermittlungen wie Talents4Good.
Dabei ist der Wunsch, beruflich Gutes zu tun, alles andere als neu. Altenpfleger*innen oder Sozialarbeiter*innen treibt er von jeher an. Jetzt allerdings packt er zunehmend Menschen außerhalb der klassischen Sozialberufe. Etwa in der Start-up-Szene. "Noch vor wenigen Jahren wollten alle einfach arbeiten", sagt Antonia Albert, die 2015 das Pflege-Portal Careship gegründet hat.
"Jetzt suchen immer mehr nach einer sinnstiftenden Tätigkeit. Sie wollen wissen, woran sie arbeiten, und dahinterstehen." Selbst die vielen befristen Verträge in der Branche und relativ niedrige Gehälter – im sozialen Sektor, egal ob Start-up oder Wohlfahrtsverband, liegt das Jahreseinkommen mit 45000 Euro 20 Prozent niedriger als der deutsche Durchschnitt – mindern die Begeisterung nicht.
Social Start-ups
Entsprechend viele Social Start-ups werden gegründet, junge Firmen also, die etwa gegen die Vermüllung der Meere kämpfen oder regionales Bio-Gemüse vermarkten. Nicht durch Spenden wollen sie ihre Ziele erreichen, sondern gewinnorientiert und mit wirtschaftlichen Mitteln. Und dafür stellen sie gern auch Mitarbeiter*innen mit BWL- oder PR-Hintergrund ein.
Schon klar: Die aktuelle Rezession wird auch hier die Arbeitslosenzahlen steigen lassen, mit Neueinstellungen werden die Firmen in den nächsten Monaten vorsichtig sein. Zumal viele krisengeschüttelte Social Start-ups durch die Raster der Förderprogramme fallen.
Neue Geschäftsmodelle
Doch es gibt auch Gründer*innen, die ihre Geschäftsmodelle schnell an die neue Situation angepasst oder gleich ganz neue Firmen an den Start gebracht haben. Zarah Bruhns etwa, die neben ihrer Jobvermittlungsfirma für Geflüchtete "Social Bee" seit April die Einkaufshilfe-App "Bring and Ring" managt.
Carola von Peinen, Mitgründerin von Talents4Good, sagt, ihre Firmenkunden würden auf jeden Fall weiter nach Bewerber*innen suchen, einen Auftragseinbruch gebe es bislang nicht. Im Gegenteil: Einige Firmen, etwa die Hersteller von Bio-Lebensmitteln, verzeichneten sogar Zuwächse. "Vieles in unserer Gesellschaft wirdgerade neu verhandelt. Für Menschen, die Dinge mitgestalten wollen, kann jetzt ein guter Zeitpunkt sein, um damit zu beginnen."
Was kann ich verändern?
Für Menschen also wie Nina Hille. Als der Wunsch der Managerin nach mehr Engagement größer wurde, besuchte sie einen Workshop bei Talents4Good. Dort riet man ihr, sich ehrenamtlich einzubringen, auf Veranstaltungen zu gehen, Kontakte zu knüpfen. Denn die klassische Karriereplanung funktioniert auf dem Weltretter-Jobmarkt nicht so gut: Dazu gibt es einfach noch zu wenige Stellen.
Für ausgiebiges Networking fehlte Nina Hille vor fünf Jahren aber die Zeit, ihre Kinder waren noch klein. Also versuchte sie, erst die Spielräume zu nutzen, die ihr eigener Arbeitgeber ihr bot. Ein Weg, zu dem auch Friedericke Hardering rät: "Bevor ich kündige, würde ich überlegen: Gibt es vielleicht Dinge, die ich verändern kann? Kann ich neue Aufgaben übernehmen? Talente einbringen, die ich bisher nicht zeigen konnte, etwa indem ich die Abteilung wechsele?"
Nina Hilles Team brachte damals ein Wörterbuch mit Bildern für Geflüchtete heraus. Die Idee stammte von einer Kollegin. Für Hille war das ein weiterer Augenöffner: Sie hatte zum ersten Mal das Gefühl, mit ihrer Arbeit wirklich etwas zu verändern. Später wechselte sie ins Business Development des Verlags, entwickelte eine Weiterbildungsakademie. 2019 schließlich stieß sie auf eine Stellenausschreibung, die wie für sie geschaffen war: Gesucht wurde jemand mit Erfahrung im Verlag und im Business Development.
Das Gehalt war zwar deutlich niedriger als ihr damaliges Einkommen, doch ansonsten fühlte sich der Job für sie perfekt an. "Alles, was ich bisher getan hatte, hat auf diese Stelle hingeführt. Das war für mich wie ein Wink des Schicksals." Heute leitet Nina Hille in der Münchner SchlaU Werkstatt für Migrationspädagogik die Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Bekommen hat sie den Job nicht obwohl, sondern weil sie aus einer anderen Welt kommt.
Wer ist gefragt?
Das kommt immer häufiger vor. "Viele Organisationen wünschen sich eine unternehmerische Denke und eine andere Perspektive", sagt Carola von Peinen. Vor allem im Controlling, im Fundraising und in der kaufmännischen Leitung würden daher Jobs angeboten.
Ebenfalls gefragt seien Menschen mit Erfahrung in den Bereichen Einkauf, Personal, Logistik, PR, aber auch für die Geschäftsführung, Vorstand und Abteilungsleitung. In solchen Positionen ist nicht unbedingt Fachwissen nötig, dafür aber Erfahrung im Management – ein Thema, bei dem viele NGOs noch nicht so gut aufgestellt sind.
"Zuhören, Klappe halten"
Wenn BWLer-Welt und Öko- oder Menschenrechtsszene aufeinanderprallen, bleiben Reibungen natürlich nicht aus. Carola von Peinen rät Quereinsteiger*innen deshalb zu Zurückhaltung: "Ein typischer Fallstrick ist zu glauben, ich bringe da jetzt ein bisschen Tempo rein. Wir empfehlen für die ersten vier bis sechs Wochen: zuhören, Klappe halten." In einer Tierschutz-Organisation dauert vielleicht das eine oder andere länger als beim Bohrmaschinenhersteller.
Die Prozesse sind oft komplexer, viele NGOs sind aus Vereinen entstanden, in denen Partizipation großgeschrieben wird. Auch Management-Vokabeln wie Effizienz oder Opportunitätskosten können für Befremden sorgen. "Die Organisationen wünschen sich zwar frischen Wind, er muss aber in einer guten Dosis kommen."
Enttäuscht wird wohl auch, wer davon ausgeht, mit dem Wechsel automatisch in einer besseren Welt zu landen. So erging es Tina Binner*. Nach der Geburt ihrer Kinder hatte die PR-Frau den Schritt aus einer Marketing-Agentur in eine Naturschutzorganisation gewagt. Sie wollte eine Welt mitgestalten, in der ihre Kinder gut aufwachsen. Anfangs war sie förmlich berauscht, endlich auf der Seite der Guten zu stehen.
Doch schon bald begegnete ihr in ihrer NGO eine Ellbogenmentalität, die sie aus der Agenturszene nicht kannte. "Die Budgets sind immer knapp, deshalb gibt es viel Konkurrenz zwischen den Abteilungen. "Von den Kolleg*innen aus der Wissenschaft fühlt sie sich zudem als Marketingfrau nicht ernst genommen: Das Marketing habe in ihrer NGO einen schlechten Ruf, sagt sie, es werde mit wenig Substanz und Fachwissen verbunden.
Trotzdem ist Tina Binner bis heute geblieben. Die Inhalte, mit denen sie sich beschäftigt, interessieren sie einfach sehr; auch das Gefühl, tatsächlich dazu beizutragen, dass die Welt ein Stück besser wird, macht sie zufrieden. Sie überlegt aber, bei anderen Organisationen vorzufühlen, ob dort nicht eine wie sie gesucht wird. Denn am Ende ist es auch bei den Jobs mit Sinn nicht anders als in der Industrie oder im Einzelhandel: Wo die Unternehmenskultur nicht stimmt, mag man nicht ewig bleiben. Weltrettung hin oder her.
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