BRIGITTE: Frau Richter, Sie wollen Frauen helfen, sichtbarer zu werden. Ist das 2023 wirklich noch nötig?
Christina Richter: Ich beschäftige mich seit sieben Jahren mit dem Thema "Personal Branding" – und höre seither immer wieder dieselben Sätze: Ich habe doch gar nichts zu sagen, was soll ich denn schon posten, wen interessiert das da draußen überhaupt? Und ja: Das sind alles Aussagen von Frauen, nur sehr selten höre ich so etwas von Männern.
Frauen reden doch durchaus über ihren Job, über Erfolge.
Viele aber nur ungern abseits von Familie und Freundeskreis, weil sie fürchten, das könnte ihnen als Angeberei oder Prahlerei ausgelegt werden. "Ich möchte lieber meine Arbeit für mich sprechen lassen" – auch diesen Satz höre ich oft. Ich sage dann immer: "Die kann aber leider gar nicht sprechen, und wenn DU es nicht tust, kriegt höchstwahrscheinlich niemand mit, was du alles schaffst."
"Personal Branding" klingt für mich allerdings auch immer etwas nach einer "Me, myself and I"-Show, also recht Ich-bezogen.
Darum geht es mir überhaupt nicht. Ich möchte Frauen ermutigen, bessere Fürsprecherinnen zu werden, für sich selbst – und damit auch für andere. Denn jede sichtbare Frau kann ein Vorbild sein. Und etwas daran ändern, dass uns die Welt zu wenig von Frauen erklärt wird und weiterhin zu wenig Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten sitzen. Es lohnt sich, diese Selbstdarstellungsphobie zu überwinden.
Andere inspirieren – schön und gut, aber Aufsichtsrätin will ich vielleicht gar nicht werden.
Es muss ja auch nicht immer die große Bühne sein. Und nicht jede soll jetzt eine Influencer-Karriere starten. Sichtbarkeit ist auch in kleinerem Kreis möglich. Sie fängt da an, wo ich Kolleg:innen in meinem Unternehmen einfach mal erzähle, was ich eigentlich genau mache, was ich gerne noch machen würde. Und auch im Netz gibt es heute zum Glück sehr vielfältige und unterschiedliche Wege, sich zu zeigen.
Wo genau sollte ich da denn präsent sein? Gilt die Regel: Je mehr soziale Plattformen, desto besser?
Nein, weniger ist mehr. Ich habe mich auf LinkedIn fokussiert, weil ich dort im beruflichen Kontext über mein Thema eine große Bandbreite von Menschen erreichen kann, von Jobeinsteigerinnen bis zu Führungskräften. Im deutschsprachigen Raum sind da etwa 20 Millionen Nutzer:innen unterwegs.
Wie sollte ich mich denen am besten präsentieren?
Wenn Sie schon ein LinkedIn-Profil haben – für andere Plattformen gilt das aber genauso –, dann sollten Sie sich zunächst mal googeln, wie das auch Menschen tun, die Sie neu kennenlernen. Ist da alles aktuell und ausgefüllt? Haben Sie neben dem Profilbild auch ein Titelbild ausgewählt, das gleich klarmacht, in welcher Branche Sie arbeiten oder für was Sie stehen? Haben Sie sich in der Infobox mit einem kurzen Text vorgestellt? All diese Möglichkeiten nutzen erstaunlich wenige, sie haben aber großen Einfluss darauf, wie wir von außen wahrgenommen werden – viel stärker als etwa der Inhalt unseres Lebenslaufs, den oft nur eine Handvoll Menschen je zu Gesicht kriegen.
Ich soll rüberbringen, "für was ich stehe". Woher weiß ich das denn genau?
Da hilft eine ganz analoge Übung: Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und einen Stift und beantworten Sie sich folgende Fragen, allein oder mit einem Gegenüber: Worin bin ich richtig gut? Bei welchen Themen fragen mich Kolleg:innen und Bekannte um Rat? Was macht mir richtig Spaß, bei was blühe ich auf? Ich nenne das "Personal Brand DNA". Sichtbarkeit hat viel mit Selbstfindung zu tun und funktioniert am besten über ein Thema – etwa Trends in der Gesundheitsbranche oder Chancengleichheit für Kinder aus sozial schwachen Familien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das muss übrigens nicht zwingend aus dem Jobkontext kommen, das können zum Beispiel auch Erfahrungen aus einem Ehrenamt sein. Entscheidend ist, dass mich dieses Thema wirklich begeistert. Nur dann kann ich auch andere überzeugen.
Okay, das Herzensthema ist gefunden, das Profil ausgefüllt – jetzt muss ich aber auch noch was posten, oder?
Nicht unbedingt. Ich kann mich auch erst mal nur dafür entscheiden, mein Netzwerk zu erweitern, nette Kontaktanfragen zu verschicken und mich mit spannenden Menschen eins zu eins auszutauschen. Nicht unterschätzen sollte man auch den Kommentar-Button: Da kann ich meinen Fußabdruck hinterlassen, ohne selbst einen Beitrag erstellen zu müssen. Wenn ich mich so regelmäßig in Diskussionen einschalte, kann ich allein dadurch eine Sichtbarkeit aufbauen – zumindest, wenn ich inhaltlich mehr als "Finde ich auch" schreibe.
Aber mich einmal alle paar Monate bemerkbar zu machen, bringt es wahrscheinlich auch nicht, oder?
Nein, Kontinuität ist wichtig. Zehn Minuten am Tag reichen anfangs aber völlig. Pro Werktag ein Kommentar – da kommt man schon auf 20 Kommentare im Monat. 20 Mal: Hier bin ich. Diese kleinen Sichtbarkeiten sollte man nicht unterschätzen.
Also abends vorm Schlafengehen am besten noch schnell einen Kommentar raushauen?
Sie sollten dann aktiv sein, wenn es auch andere Menschen in Ihrem Netzwerk sind. Gute Tage sind beispielsweise Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag, etwa zwischen sieben und elf Uhr vormittags, samstags eher zwischen acht und halb zehn morgens.
Wie sichtbar ich bin, bestimme aber ja nicht nur ich, das ist auch abhängig von den Algorithmen der Plattformen. Ein Beitrag mit Foto etwa bekommt deutlich mehr Likes als einer ohne.
Mit bestimmten Techniken kann ich extrem schnell viel Sichtbarkeit aufbauen, ich empfehle aber nicht, den Algorithmus auf diese Weise "auszutricksen", denn wenn ich jede Woche auf einen neuen Trend aufspringe, laufe ich Gefahr, den Fokus auf mich und mein Thema zu verlieren. Es ist auch gar nicht schlimm, wenn nicht jede Meinungsäußerung gleich durch die Decke geht, das heißt noch lange nicht, dass ich nicht wahrgenommen wurde. Etwas Geduld braucht es schon, sich eine Netz-Sichtbarkeit aufzubauen.
Wie lang muss mein Atem da sein?
Vier bis sechs Wochen sollten Sie sich mindestens geben, ein paar Monate sind realistisch. Je regelmäßiger Sie dranbleiben, desto schneller können Sie von den richtigen Menschen, Projekten oder Jobs gefunden werden. Und die Chancen stehen wirklich gut: Nur ein Prozent aller LinkedIn-User:innen sind Menschen, die Content produzieren, also Inhalte posten, neun Prozent kommentieren aktiv. Alle anderen bleiben mehr oder weniger stille Lesende. Da ist also noch viel Platz für neue Gesichter und Themen.
Auf LinkedIn sind längst nicht alle Jobs vertreten. Wie kann etwa die Altenpflegerin oder die Bäckereibesitzerin besser auf sich aufmerksam machen?
Für eine Konditoreimeisterin oder Floristin kann es interessant sein, sich auf visuelleren Plattformen wie Instagram zu präsentieren. Sichtbarkeit aufbauen kann ich aber auch außerhalb sozialer Plattformen, über Offline-Netzwerke wie Verbände, Vereine oder Initiativen. Auch in kleineren, lokaleren Gruppen, über Lunch-Dates oder Mentoring-Programme finde ich Gleichgesinnte. Und wann immer es geht, raus aus der eigenen Bubble! Von Menschen, die einen ganz anderen Hintergrund haben, lerne und profitiere ich immer am meisten.
Woran merke ich denn, dass ich irgendwann sichtbar genug bin?
Wenn etwa neue Kund:innen auf Sie zukommen oder Sie als Expertin angefragt werden, haben Sie auf jeden Fall viel erreicht. Wichtiger als solche Erlebnisse ist aber die generelle Erfahrung, dass es einfach mehr Spaß macht, selbst die Initiative zu ergreifen, als darauf zu warten, dass man irgendwann zufällig "entdeckt" wird. Keine Frau muss sichtbar werden, die das nicht will, aber Sichtbarkeit kann das Leben bedeutend leichter machen.
Christina Richter
Nach Stationen in PR, Unternehmenskommunikation und Social Media gründete sie das Personal Branding Institut Berlin (personalbrandinginstitut.de). Seit 2015 berät sie Unternehmer:innen und Unternehmen rund um Sichtbarkeit und Corporate-Influencer-Strategien, also Wege für interne Markenbotschafter:innen. Mit ihrem neuen Buch macht sie Mut, sich aktiver zu positionieren: "Sichtbare Frauen" (260 S., 24 Euro, Campus Verlag)