Die BRIGITTE Academy hat sich mit Ragnhild Struss über ihre Arbeit als Karriereberaterin unterhalten. Ihr Unternehmen Struss und Partner zählt zu den führenden Karriereberatungen Deutschlands. Beim BRIGITTE Academy Job-Symposium in Berlin am 28.09.2017 wird sie mit einigen anderen Gründerinnen zum Thema "Mein Leben, mein Job und ich" sprechen.
BRIGITTE Academy: Warum sind Sie Karriereberaterin geworden? Was hat Sie dazu bewogen?
Ragnhild Struss: Warum jemand ist, wie er ist, hat mich schon als Kind fasziniert. Als kleines Mädchen wollte ich lieber reden als spielen, ab dem Gymnasium war ich Kummerkasten meiner Mitschüler. Abgesehen von philosophischen, psychologischen und theologischen Inhalten hat mich Schule kaum interessiert – Wirtschaft hingegen sehr. In der Oberstufe habe ich einen Nachhilfezirkel gegründet, ein Konzept entwickelt, das Schülern binnen eines Halbjahres zur Gymnasialempfehlung verhalf, und an Stunden verdient, die andere nach meinem Ansatz erteilt haben. Der Entschluss, Unternehmerin zu werden, war damit gefasst. Also habe ich BWL studiert, mich in studentischen Initiativen engagiert und Unternehmertum inhaliert. Damals habe ich eine Bekannte zur Karriereberatung begleitet und gedacht: Das geht besser! Eine Marktanalyse und einen Business Plan später habe ich noch aus dem Studium heraus mein eigenes Unternehmen gegründet. Mit 24 Jahren. Wenn ich mich zurückerinnere, war ich unter meinen Kommilitonen immer die „Psychotante“, unter den Psychologen, auf die ich später in Weiterbildungen traf, immer die „Kapitalistin“. In meiner Arbeit schlage ich eine Brücke zwischen beiden Welten und betrachte die individuelle Persönlichkeit im Leistungskontext. Ich empfinde meinen Job als Privileg und freue mich jeden Tag, mit meinem 20-köpfigen Team dafür zu sorgen, dass Menschen Karriere neu denken, ihre Potenziale erkennen und zu mehr Selbstsicherheit finden. Außerdem inspiriert mich mein Beruf zu immer neuen Geschäftsideen. Zuletzt habe ich mit BeBrilliant eine Web-App auf den Markt gebracht, die Persönlichkeitsentwicklung, 360° Feedback und Coaching „to go“ anbietet. Weitere Pläne sind schon geschmiedet.
Was hat Sie in Ihrem Jobleben besonders vorangebracht?
Ich war sehr jung, als ich gegründet habe. Damals hat mir mein Mut weitergeholfen, meine innere Stimme zur Autorität zu machen. Auch heute vertraue ich in erster Linie meiner Intuition und halte an dem fest, was meinen Überzeugungen entspricht. Offen zu sein für Impulse von außen und gleichzeitig fest genug, um sich nicht von negativem Feedback und Kritik aus der Bahn werfen zu lassen, ist eine Eigenschaft, die mich als Unternehmerin auszeichnet. Genauso wichtig wie das Filtern ist das Aushalten. Vor Rückschlägen und Krisen ist niemand gefeit. Ich habe früh gelernt, mich auch mal in den Gegenwind zu stellen. Mein Blick ist immer nach vorne gerichtet ist. Ich kann nicht anders, als in Visionen zu denken. In diesem Jahr haben wir zusätzlich zu unserem Hamburger Büro einen Standort in München eröffnet. Wir haben unsere Mannschaft vergrößert und neue Formate etabliert wie Workshops für Unternehmen. Gleichzeitig digitalisieren wir unsere Leistung, was neue Chancen und Angebote bedeutet. Mich auf Möglichkeiten zu konzentrieren, lässt meinen Motor laufen.
Gab es eine Phase in Ihrem (Job-)Leben, in der Sie eine Richtungsänderung vorgenommen haben?
Änderungen verstehe ich weniger als U-Turn, sondern mehr als Weiterentwicklung. Der Markt, Kunden und Bedürfnisse verändern sich – und mit ihnen unser Angebot. Ursprünglich mit der Beratung von Schülern, Studenten und Absolventen gestartet, zählen wir heute zunehmend mehr berufserfahrene Klienten und Unternehmen zu unseren Kunden. Führungskräftecoaching, Teamentwicklung und Mitarbeiterevaluationen sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen. Für jedes Format stellen wir unser Set an Testverfahren passend zusammen, nehmen neue hinzu oder entwickeln eigene. Für mich persönlich hat sich mit dem Wachstum einiges verändert. Ich hasse Bürokratie und Vorgaben, aber irgendwann sind Strukturen und Zuständigkeiten einfach nötig. Inzwischen bin ich froh, einen Geschäftsführer und Ressortleiter an meiner Seite zu haben. Nach knapp 15 Jahren ist dadurch für mich eine neue Phase angebrochen: die der freien Wochenenden. Möglich geworden sind sie auch, weil ich mich schweren Herzens aus einem Business zurückgezogen habe, das ich mit Freunden auf den Weg gebracht hatte. Aussteigen ist tatsächlich neu für mich. Seit meiner Selbständigkeit habe ich viele Projekte angeschoben und zum Beispiel den Verein Step up! gegründet, der sich für die berufliche Orientierung benachteiligter Jugendlicher einsetzt. Mit BeBrilliant und geplanten digitalen Produkten von Struss und Partner bin ich ausgelastet. Vorerst jedenfalls.
Welche Impulse waren für Sie besonders wichtig?
Der ursprüngliche Impuls kam sicher von meiner Mutter, die immer an mich geglaubt und mich in meinen Kompetenzen, meiner Persönlichkeit und meinem Selbstwert bestärkt hat. Sie hat mir das Vertrauen in meine Kraft und ins Leben gegeben. Als Heilpraktikerin hat sie mein Interesse für spirituelle Themen geweckt, die mir bis heute Denkanstöße geben. Vielleicht kommt daher mein holistischer Ansatz, dass Karriereplanung immer auch Lebensplanung ist. Seitdem ich eine Beratung erlebt hatte, wollte ich einen Weg finden, beides miteinander zu verbinden, Entscheidungen aus der Persönlichkeit abzuleiten und damit nicht nur berufliche, sondern auch persönliche Zufriedenheit zu erreichen. Erfolgreich kann man sein, ohne sich mit dem Job zu identifizieren. Aber zufrieden ist nur, wer eins ist mit dem, was er tut. Dazu beizutragen, dass Menschen erfüllt sind, weil sie sich an der richtigen Stelle entfalten und entwickeln können, ist mein Anreiz. Und für jeden gibt es diese Stelle.
Gab es Phasen des Zweifels oder Rückschläge? Was hat Ihnen in diesen Momenten besonders weitergeholfen?
Ganz am Anfang habe ich Kunden bei mir zu Hause beraten. Karriereplanung auf der Wohnzimmer-Couch. Als die Nachfrage stieg und wir in neue Räume umgezogen sind, war das ein riesiger Sprung –auf 450qm. Unser Schritt fiel ausgerechnet in die Zeit der Finanzkrise 2009. Rückläufige Buchungen bei steigender Kreditlast haben mich oft nicht gut schlafen lassen. Beim Wort Kurzarbeit muss ich heute noch schlucken. Finanziell wie emotional eine schwierige Zeit. In solchen Momenten hilft es schon, wenn sich zur inneren Stimme, die gut zuredet, auch die ein oder andere aus dem Umfeld gesellt. Insbesondere meine Familie hat mir damals großen Rückhalt gegeben, für den ich unglaublich dankbar bin.
Was war der ermutigendste Satz in Ihrem (Job)-Leben und warum möchten Sie den weitergeben? // Gibt es ein Motto von Ihnen?
“The woman who does not require validation from anyone is the most feared individual on the planet” ist ein Satz von Mohadesa Najumi, den ich gerne weitergeben möchte. Insbesondere Frauen neigen dazu, sich zu unterschätzen und kleinreden zu lassen. In meinen Beratungen, aber auch in meinem privaten Umfeld erlebe ich oft, wie abhängig sie sich von den Meinungen anderer machen. Wenn das Denken und Handeln davon bestimmt ist, was vermeintlich erwünscht oder gesellschaftlich anerkannt ist, fällt es schwer, den eigenen Weg zu finden. Entscheidend ist das Verhältnis zu sich selbst. Sich selbst zu kennen, einen positiven Blick auf die eigenen Potenziale zu richten und sie wertzuschätzen, ist für mich die Grundlage für ein glückliches Leben und bewusste Entscheidungen. Diese Fähigkeit wünsche ich jeder Frau.
Was erwartet die Besucher des BRIGITTE Academy Job-Symposiums in Ihrem Speed-Talk?
Ich werde etwas aus dem Gründerkästchen plaudern und berichten, wie es ist, wenn man sehr jung Unternehmerin wird und sich seine Position erkämpfen muss. Inzwischen leite ich mein Unternehmen schon seit fast 15 Jahren und weiß daher auch, welche Herausforderungen auf persönlicher und geschäftlicher Ebene warten, wenn aus einem Start-up ein etabliertes Business wird. Als Mehrfach-Gründerin kenne ich das Gefühl, mit vielen Bällen gleichzeitig zu jonglieren – und sich einen dritten Arm zu wünschen. Vor allem aber werde ich in meinem Speed Talk über den Einklang von persönlichem Sein und beruflichem Tun sprechen. Denn den suche ich nicht nur für meine Kunden, sondern lebe ihn.