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"Ist es jetzt eine Schande, aus Amstetten zu sein?"

Vor allem für die Kinder aus Amstetten ist die Tragödie der Familie Fritzl eine Belastung. Zwei Frauen aus Amstetten organisierten am Dienstagabend eine spontane Gedenkfeier: "Allein die Entscheidung, öffentlich darüber zu sprechen, war eine Befreiung", sagt Alexandra Eisenstöck.

Aus Amstetten berichtet BRIGITTE-Chefreporterin Meike Dinklage

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Noch am Morgen brennen die Kerzen auf dem Hauptplatz von Amstetten. Mehr als 200 Menschen hatten sich dort am Dienstagabend getroffen und Laternen und Lichter angezündet, sie hatten zusammen im Regen gestanden, still und nachdenklich, und versucht, sich darüber klar zu werden, was es von nun an heißt: ein Amstettener zu sein. "Von der Sprachlosigkeit zur Zuversicht", sagt Alexandra Eisenstöck, 35, "das war unser Motto, das wollten wir in Gang setzen." Und ihre Freundin Ursula Kloimüller, 45, sagt: "Noch vor ein paar Tagen hätte ich selbst gesagt: So was kann bei uns nicht passieren."

Es ist passiert. Der Fall Fritzl, das Inzest-Drama im Keller der Ybbsstraße 40, Amstetten. Die beiden Frauen haben die Initiative Lichtermeer gegründet, am Dienstagmorgen um 7.30 Uhr kam ihnen die Idee. "Wir brachten unsere neunjährigen Töchter in die Schule, die abgeschottet war durch die Polizei, zum Schutz der Schüler. Wir fanden die Atmosphäre so bedrückend, dass wir entschieden, schon um unserer Kinder willen: Wir müssen etwas machen."

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Die beiden Mütter organisierten die Gedenkfeier privat und so gut es ging, innerhalb von wenigen Stunden. "Auch wegen der Jugendlichen, die alles voll mitbekommen", sagt Ursula Kloimüller, "die haben Probleme, sich als Amstettener zu outen." Ihr 14-jährige Tochter hatte ihr gesagt: Es sei wohl von nun an eine Schande, aus Amstetten zu sein.

"Allein die Entscheidung, etwas zu tun, öffentlich darüber zu sprechen, war schon eine Befreiung", sagt Alexandra Eisenstöck. "Man wagte ja nur in kleinen Schritten darüber nachzudenken, was die Tragödie für jeden von uns heißt. Dabei müssen wir jetzt gerade mehr füreinander da sein und nicht weniger."

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Als dann abends die Ü-Wagen-Flotte, die sonst vor dem Haus der Fritzls parkt, in Richtung Hauptplatz zog, "da wurde uns schon mulmig", sagt Alexandra Eisenstöck: "Was, wenn kein Amstettener kommt?" Aber dann kamen Hunderte, mit Lichtern und Lampen, eine Fahrschule spendete Feuerzeuge, ein Möbelhaus Kerzen. Und hinterher war es wie eine gemeinsame Erleichterung. "Wir sind alle Teil dieses Ortes, und wir haben jetzt alle mit der Geschichte zu tun", sagt Alexandra Eisenstöck.

"Wir wollten auch ein Zeichen für die Familie setzen", setzt Ursula Kloimüller hinzu: "Wir wollten zeigen: Es ist euch passiert, aber es tut auch uns weh."

Am Mittwochmorgen sind die Kinder wieder in die Schule gegangen, ohne Polizeischutz.

Text: Meike DinklageFotos: Jens Passoth

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