Schleswig-Holsteins Gleichstellungsministerin Aminata Touré (Grüne) setzt sich für eine uneingeschränkte Anerkennung der Genitalverstümmelung als Asylgrund in Deutschland ein. Wenn die Bundesregierung die Istanbuler Konvention vorbehaltlos umsetzen wolle, bedeute dies, "dass die Rechte von geflüchteten Frauen und Mädchen nun auch stärker Berücksichtigung finden müssen und geschlechtsspezifische Gewalt als Asylgrund anerkannt werden muss", sagte die Grünenpolitikerin der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Weibliche Genitalverstümmelung ist nicht so weit weg, wie wir glauben
Laut Unicef leiden schätzungsweise 200 Millionen Frauen weltweit unter der grausamen Praxis. Und es kommen immer mehr betroffene Mädchen und Frauen zu uns. Die Menschenrechtsorganisation "Terre des Femmes" ging im vergangenen Jahr von mehr als 100.000 genitalverstümmelten Mädchen und Frauen in Deutschland aus, weitere 17.000 gelten als gefährdet. Bis heute ist diese Menschenrechtsverletzung jedoch kein Asylgrund.
Wir haben mit der in Benin geborenen Sozialpädagogin Gwladys Awo, Mitbegründerin und erste Vorständin von Lessan e.V., über weibliche Genitalverstümmelung gesprochen. Der Verein setzt sich für die gesellschaftliche Eingliederung von Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie ein.
BRIGITTE: Warum hält sich die Genitalverstümmelung so hartnäckig – hat das religiöse Gründe?
Nein, weibliche Genitalverstümmelung hat nichts mit dem Glauben zu tun. Wir wissen, dass die Beschneidung schon vor 5000 Jahren in Ägypten durchgeführt wurde, zuerst an Frauen, die einen Pharao heiraten sollten. Damit sollte sichergestellt werden, dass sie Jungfrauen bleiben. Heute wird sie unter anderem von Christen, Muslimen und Hindus praktiziert.
Es geht also darum, dass Frauen keinen Sex vor der Ehe haben?
Es geht darum, weibliche Lust zu unterdrücken und die Frauen klein zu halten. Es geht um Macht. Übrigens: Im 19. Jahrhundert war die chirurgische Verstümmelung der Klitoris ein anerkanntes Vorgehen in Europa, um Nymphomanie, Epilepsie oder Masturbation zu "heilen."
Wie alt sind die Mädchen, wenn sie verstümmelt werden?
Das wird in jedem Land, in jeder Region und in jedem Dorf anders gehandhabt. Manche Mädchen werden schon drei Tage nach ihrer Geburt verstümmelt, andere vor dem Einsetzen der Pubertät oder später. Die Beschneidung findet oft ohne Betäubung statt und ist äußerst traumatisch.
Was sind die Folgen?
Viele Mädchen sterben durch die Prozedur. Überlebende leiden unter Blutungen, HIV, Tetanus, Infektionen, Gangrän, Fisteln, Verletzungen der Harnwege oder großer Arterien. Manche bekommen auch Krebs. Viele haben lebenslänglich Schmerzen, Depressionen und Angstzustände.
Wie kann den betroffenen Frauen in Deutschland geholfen werden?
Wer abhängig ist, kann sich nicht wehren. Daher brauchen die Frauen eine gute Ausbildung und eine Arbeit, die ihnen ein eigenes Einkommen ermöglicht. Erst dann sind sie in der Lage, für sich und ihre Rechte einzustehen. Es gibt viele freie Ausbildungsplätze in Deutschland, aber die Frauen finden nur unterbezahlte Hilfstätigkeiten, sie sind in der Gesellschaft quasi unsichtbar. Eine gute Ausbildung, zum Bespiel im Gesundheitsbereich, gepaart mit dem Wissen über weibliche Genitalverstümmelung, würde sie ermächtigen, gegen diese Praktik vorzugehen und die Menschen in ihren Communitys für das Thema zu sensibilisieren. Wenn sie vermitteln können, was die Genitalverstümmelung mit Frauen macht und wie Mütter ihre Töchter davor schützen können, glaubt man ihnen viel eher als einer Frau ohne Ausbildung.
Hinweis: Das Interview wurde zu einem früheren Zeitpunkt geführt