Frau von Miquel, das ist jetzt schon der zweite Weltfrauentag mitten in der Pandemie: Ging es bei uns in dieser Zeit tatsächlich rückwärts mit der Gleichstellung, wie anfangs viele befürchteten?
Das kann man so sagen. Schon vor der Corona-Krise waren die Frauen den Männern ja nicht gleichgestellt. Jetzt zeigt sich, dass besonders Frauen mit Sorgeverantwortung, also Mütter oder Pflegende oder Frauen in systemrelevanten Berufen am Limit sind. Und de facto schlechter dastehen als vor der Krise.
Wie zeigt sich das?
Im Januar trat zum Beispiel jede fünfte Mutter beruflich kürzer, um die zusätzliche Betreuungsarbeit durch Quarantänen oder geschlossene Schulen und Kitas aufzufangen. Weniger Väter als vor der Krise finden es gut, wenn Mütter einen Beruf ausüben. Und die Zahl der Familien, in denen Mütter alleine für die Kinderbetreuung zuständig sind, hat sich verdoppelt.
Aber haben nicht auch Väter in der Krise mehr Sorgearbeit übernommen?
Ja, doch Studien zeigen, dass das fast nur im ersten Lockdown der Fall war. Aktuell liegt der Löwenanteil wieder bei den Müttern. Das hat nicht nur negative Auswirkungen auf ihr Gehalt, ihre Rente, ihre Karrierechancen. Es verfestigt auch das längst überwunden geglaubte Rollenbild: Die Mütter kümmern sich. Und: Das ständige Jonglieren von Pandemie, Familie und Beruf macht die Frauen krank. Vom Müttergenesungswerk wissen wir, dass Frauen mit Sorgeverantwortung Mutter-Kind-Kuren wesentlich kränker antreten als noch vor der Pandemie.
Was müsste geschehen?
Die Frauen brauchen eine Erholungsperspektive - und zwar jenseits von Kinderkrankentagen und der Aussicht auf ein abklingendes Infektionsgeschehen im Sommer. Zum Beispiel indem der Zugang zu Kuren und zu Gesundheitsleistungen leichter wird. Und dann brauchen sie ein echtes Aufholprogramm: Als erstes muss die Bundesregierung die partnerschaftliche Verteilung von Sorgearbeit fördern. Wären bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen gleich verteilt, hätte die Krise Frauen nicht so getroffen.
Im Koalitionsvertrag wurden dazu schon einige Maßnahmen angekündigt. Etwa die bezahlte Freistellung von Vätern rund um die Geburt, eine bezahlte Pflegeauszeit oder die Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen. Würde das denn helfen?
Es wären wichtige und dringend notwendige Schritte. Aber sie müssten jetzt auch zügig umgesetzt werden. Auch als Signal in Richtung der Frauen, die sich in der Pandemie so aufgerieben haben.
Sie finden also: Die neue Regierung könnte ruhig mehr Dampf machen?
Wir sehen durchaus, dass die Regierung wichtige Schritte unternommen hat. Die Abschaffung von Paragraf 219a StGB zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen ist in Arbeit. Die Erhöhung des Mindestlohns wurde beschlossen, auch das wird vielen Frauen helfen. Und wir verbinden große Hoffnungen mit dem Gleichstellungscheck für Gesetze, den die Frauenministerin angekündigt hat. Er wäre ein wichtiges Instrument, um bei künftigen Gesetzen sicher zu stellen, dass sie der Gleichstellung nicht schaden. Doch es gibt auch Beschlüsse der Regierung in diesen ersten hundert Tagen, die wir kritisch sehen. Etwa dass die Verdienstgrenze bei Minijobs, in denen ja vor allem Frauen feststecken, steigen soll. Ein solcher Schritt konterkariert schlicht alle Bemühungen für mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen. Denn das sind Jobs, von denen man nicht leben kann. Da hätten wir uns von der Ministerin mehr Gegenwind gewünscht. Grundsätzlich muss allen im Kabinett klar sein: Gleichstellung und Frauenrechte sind keine Luxusgüter für gute Zeiten. Sie sind Menschenrecht und Verfassungsauftrag.