Ich saß vor einigen Tagen im Auto, ein gutes Lied lief im Radio, ich drehte auf und sang mit. Schief, aber dennoch schön, denn es tat gut. Dabei machte sich ein warmes Gefühl in meiner Brust breit, das mir irgendwie bekannt und fremd zugleich vorkam. Wie ein alter Freund, den man früher gut kannte, nun aber schon wirklich lange nicht mehr gesehen hat. Oder der Geschmack von Grießbrei, den man selbst 20 Jahre verdrängt hat, der Gaumen aber sofort wiedererkennt. Ich hatte gute Laune.
Wie ein scheues Reh blieb diese im plötzlichen Scheinwerferlicht prompt stehen, um sich nach einem kurzen Schock lieber wieder im geschützten Gebüsch zu verstecken. Vorbei die Vorstellung, das war's schon wieder. Zurück blieb ich. Mit einer Erkenntnis, die mich nachdenken ließ, und doch unangenehm wenig beunruhigte: Gute Laune scheint für mich eine Rarität geworden zu sein. Das ist zwar nicht schön – aber irgendwie auch nicht überraschend angesichts der Weltlage der letzten Monate.
Corona hat uns unsere Launen geklaut.
Auf die kurze Höhe folgte also keine Tiefe. Stattdessen fühle ich mich, als hätte die Corona-Pandemie mir beide genommen. Ich schwimme seit knapp einem Jahr in einem trüben Meer, dessen Grund ich genauso wenig sehen kann, wie das nächste Ufer. Ich habe aufgehört, hektisch nach einer Insel zu suchen, bin aber auch zu ausgelaugt, um vor dem nächsten Sturm paddelnd in Panik zu verfallen. Ich lasse mich treiben, von Welle zu Welle.
Nun klingt dieser Zustand gar nicht so übel. Trotzdem weiß jeder, der sich schon einmal mit der menschlichen Psyche beschäftigt hat, dass das Fehlen von Gefühlsregungen eher ungesund ist. Also ist es Zeit für ein Gespräch mit einer Freundin, die praktischerweise Psychologin ist. Doch noch bevor ich ihr mein Leid klagen kann, bekomme ich eine Sprachnachricht von ihr:
"Heute war mega der schöne Tag – eigentlich wäre er perfekt gewesen, aber trotzdem gibt es so viele Kleinigkeiten, die mich nerven. Dabei hatte ich gestern noch so gute Laune wie ewig nicht mehr, was mir dann überhaupt erst aufgefallen ist."
Es geht uns nicht schlecht. Es geht uns aber auch nicht gut.
Gut, ich glaube schon länger, dass unsere Körper und Köpfe manchmal synchronisiert ablaufen. Tatsächlich schreibe ich aber über dieses Phänomen, weil ich nicht glaube, dass es nur uns beiden so geht. Vielmehr führe ich in den Tagen nach der Gute-Laune-Eskapade zahlreiche solcher Gespräche. Alle haben denselben Konsens: Es geht uns nicht schlecht. Es geht uns aber auch nicht gut.
Die Welt dreht noch einen Looping, während unser Globus stillsteht.
Obwohl das keine schöne Nachricht ist, verschafft sie uns erstmal ein positives Gefühl: Puh, wir sind damit nicht alleine. Corona nimmt unserem Leben die Höhen und Tiefen. Das ist nicht nett, aber normal, wenn man bedenkt, dass uns gerade die Grundlage sämtlicher Vorfreude fehlt. Konzerte? Urlaube? Familientreffen? Porzellanmalkurs? Was auch immer dich normalerweise glücklich macht – es fällt gerade weg. Gleichzeitig glaube ich, dass meine negativen Gefühle auch langsam überreizt sind. Täglich ein neuer Negativrekord? Steigende Todesfälle? Überlastete Krankenhäuser? Winkt meine Trauer müde ab – hatten wir doch gestern schon.
Generell passiert gerade enorm viel und unglaublich wenig zugleich in unserem Leben. Die Welt fährt Looping, während der Zuhause-Globus stillsteht. Und unsere Stimmung pendelt sich irgendwo dazwischen ein.
Einen Fluchtplan aus der Gefühls-Monotonie habe ich nicht. Aber während wir alle in unserem recht stürmischen Meer umhertreiben, können wir zumindest von der Schwarmintelligenz profitieren – und uns gegenseitig helfen, indem wir darüber sprechen. Oder schreiben. Meinetwegen auch singen. Letztendlich streben wir Menschen zwar alle nach Individualismus, durchleben aber am Ende doch ähnliche Gefühle. Und dann suchen wir uns eben ein Boot zum gemeinsamen Drinsitzen. Auf Abstand, versteht sich.
Eine letzte Anmerkung noch: Nur weil wir alle mit einer schwierigen Situation zu kämpfen haben, heißt das nicht, dass wir uns alleine damit auseinandersetzen müssen. Wenn du merkst, dass deine negativen Gefühle überhand nehmen oder du dich in einem Gedankenstrudel befindest, scheue nicht, dir professionelle Hilfe zu suchen. Zu Corona wurden spezielle Telefonhotlines eingerichtet, wo du mit Therapeuten über deine Sorgen sprechen kannst. Auch die Telefonseelsorge ist 24 Stunden am Tag für dich da.