Nach dem Sturz der Taliban durch die USA 2001 lebten Afghanistans Frauen 20 Jahre lang in relativer Freiheit – zumindest ein Teil der Mädchen konnte weiterführende Schulen besuchen, selbstbestimmte Lebensentscheidungen treffen, studieren und arbeiten. Doch seit dem Truppenabzug vor einem Jahr und der erneuten Machtübernahme der Taliban werden Frauen wieder systematisch ihrer Rechte beraubt. Allein zu diesem Zweck haben die Taliban 32 Dekrete erlassen.
Das Taliban-Regime beherrscht alle Lebensbereiche
Mädchen haben das Recht auf Schulbildung nach der sechsten Klasse verloren, und Frauen werden am Arbeiten gehindert. Mal dürfen sie nicht mehr mit ihren männlichen Kollegen sprechen, dann müssen selbst weibliche Filmrollen mit Männern besetzt werden, und TV-Moderatorinnen werden gezwungen, ihr Gesicht zu bedecken. Eine Journalistin spricht von einem "Tod in Zeitlupe".
Repressalien unterschiedlichster Art hindern Frauen auch zunehmend daran, am öffentlichen Leben teilzunehmen: Sie werden auf der Straße von Taliban-Kämpfern beschimpft oder geschlagen, weil sie "zu viel" Haut zeigen, oder dürfen laut "Mahram-Regel" ausschließlich in Begleitung eines Mannes das Haus verlassen.
Vielen bleibt nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben und Eigenständigkeit, Einkommen, Ambitionen und Träume zu begraben. Die ehemalige Schulleiterin Khaatol beschreibt ihre Gefühle in dem Bericht "Death in Slow Motion – Girls and Women under Taliban rule" von "Amnesty International" so:
Frauen laufen Gefahr, wegen "sittlicher Verdorbenheit" bestraft zu werden
Frauen, die versuchen, ihrem Studium oder ihrer Arbeit nachzugehen, müssen jederzeit damit rechnen, wegen "sittlicher Verdorbenheit" bestraft zu werden. Eine Studentin, die in Verbindung mit den Mahram-Regeln festgenommen wurde, sagte "Amnesty", dass Angehörige der Taliban sie mit Elektroschockern gequält hätten. "Sie beschimpften mich als Prostituierte [und] Schlampe ... Ein Mann mit einer Pistole drohte: 'Ich werde dich umbringen, und niemand wird deine Leiche finden'." Nur wenige Frauen wagen es noch, gegen die neuen alten Machthaber aufzubegehren. Wer sich wehrt, riskiert Schikane, Verhaftung und Folter.
Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von "Amnesty International" Deutschland, warnt:
Doch die westliche Staatengemeinschaft hat sich bereits bei der Machtübernahme der Taliban im August 2021 aus der Verantwortung gestohlen und sieht sich längst mit anderen Krisen konfrontiert, die auf das Konto machthungriger Männer gehen: Kiew sticht Kabul, Peking bedroht Taipeh, Ankara Athen. Die Frauen Afghanistans müssen befürchten, im Schatten der Vergessenheit alleine dazustehen.