Studie: Gewalt gegen Frauen in Europa
Gewalt gegen Frauen ist weltweit ein großes Problem, auch vor unserer eigenen Haustür. Eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) bringt erschütternde Zahlen ans Licht: Jede dritte Frau in Europa, die 15 Jahre oder älter ist, wurde Opfer von körperlicher Gewalt oder sexueller Misshandlung. Fünf Prozent der 42.000 befragten Frauen wurden vergewaltigt. Acht Prozent sagten, dass die Übergriffe innerhalb des letzten Jahres stattgefunden hätten.
Morten Kjaerum, Leiter der Agentur, fand für diese Ergebnisse deutliche Worte: "Gewalt gegen Frauen, und insbesondere geschlechtsbezogene Gewalt, die überproportional gegen Frauen ausgeübt wird, ist eine umfassende Verletzung der Menschenrechte, die die EU nicht länger übersehen darf", sagte er der britischen Zeitung "The Guardian".
Jede dritte Frau in Europa wurde Opfer von körperlicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen - das macht rund 62 Millionen. Bildeten misshandelte Frauen einen eigenen EU-Staat, wäre dieser so groß wie Frankreich.
Jede zehnte Frau, die 15 Jahre oder älter ist, wurde Opfer von sexueller Gewalt. Jede zwanzigste wurde vergewaltigt.
Jede zehnte Frau musste Stalking von einem Ex-Partner erleiden.
Die meiste Gewalt geht vom aktuellen Partner oder einem Ex-Partner aus. Insgesamt berichteten 22 Prozent der Frauen von Übergriffen in ihrer Beziehung.
Bei rund ein Drittel der Frauen, die von ihrem Partner vergewaltigt wurden, wiederholten sich diese Übergriffe noch sechs weitere Male (oder häufiger).
Kein Verbrechen wird so selten angezeigt wie Gewalt gegen Frauen. Nur 14 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt gingen nach den schlimmsten Übergriffen zur Polizei. Nur 13 Prozent der Gewaltopfer außerhalb von Beziehungen zeigten ihre Angreifer an.
Emanzipiertes Land - mehr Gewalt?
Auf den ersten Blick überraschend: In Ländern wie Dänemark, Finnland und Schweden, die bei der Gleichstellung Vorreiter sind, gaben besonders viele Frauen an, Gewaltopfer geworden zu sein (respektive 52 Prozent, 47 Prozent und 46 Prozent). Das hat vermutlich weniger damit zu tun, dass in fortschrittlichen Ländern gewalttätigere Männer leben, sondern damit, dass die Schamgrenze bei den betroffenen Frauen niedriger ist, über das Problem zu sprechen. So gesehen kann die höhere Zahl unterm Strich sogar positiv bewertet werden - sie bedeutet eine niedrigere Dunkelziffer von Missbrauchsopfern. Deutschland liegt mit 35 Prozent Gewaltopfern übrigens leicht über dem EU-Durchschnitt (33 Prozent).
Die Herausgeber der Studie stellen konkrete Forderungen an die europäischen Staatschefs: Alle EU-Mitglieder sollten umgehend die "Istanbul-Konvention" unterschreiben und ratifizieren - ein völkerrechtlicher Vertrag, der häusliche Gewalt und speziell Gewalt gegen Frauen bekämpfen soll. Kernforderungen dieser Konvention sind die Gleichstellung der Geschlechter in den jeweiligen Landesverfassungen, sowie die Abschaffung von diskriminierenden Gesetzen, bessere Hilfsangebote für betroffene Frauen und die Ablehnung von Zwangsehen.
Mehrere Staaten haben die Konvention bereits 2011 unterschrieben (u.a. Deutschland, Frankreich, Schweden, Spanien und die Türkei) - in Kraft tritt sie aber erst mit der Ratifikation, also wenn die jeweiligen Länder die Abmachung rechtlich bindend machen. In Italien, Portugal und der Türkei ist das bereits geschehen - in Deutschland nicht.
Noch wichtiger als eine EU-Konvention ist jedoch ein Kulturwandel: Dass immer noch die meisten Frauen aus Scham oder Angst nichts gegen ihre Angreifer unternehmen ist ein gewaltiges Problem, denn schweigende Opfer sind die größte Unterstützer der Täter. Mehr denn je müssen betroffene Frauen Aktzeptanz, Hilfe und Unterstützung bekommen.
Was macht Gewalt mit uns? Frauen erzählen
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Täglich erleben Frauen Gewalt, auch in Deutschland. Wie leben sie mit ihren Erfahrungen? Was wünschen sie sich und worauf sind sie stolz? Das zeigen die Porträts der Ausstellung "Die Hälfte des Himmels".