Ja, Corona hat uns zurückgeworfen. Und gezeigt, wo wir wirklich stehen in Sachen Gleichberechtigung. Und jetzt? Nutzen wir die Lage, um etwas zu verändern!
Diesen Text habe ich im Maschinenraum eines Schiffes geschrieben, das seit Monaten durch ein Unwetter pflügt, das als schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gilt. Zwar haben sich die Wogen inzwischen geglättet, auf Deck sind Pools und Bars wieder geöffnet – doch hier unten merkt man davon wenig. Zwischen den Laptops ihrer Eltern rennen noch immer Massen von Kindern herum, die bespaßt, beschult und in kaum koordinierbaren Intervallen für einige Stunden zur Schule oder Kita gebracht werden müssen. Weiter hinten schwitzen jene Millionen, die sich – oft zusätzlich zu den eigenen Kindern – unter Schichten von Schutzkleidung in Kliniken, Heimen und Privatwohnungen um Kranke und Alte kümmern, Essen kochen, Mülleimer leeren, Böden wischen.
Was uns eint: Wir sind schon jetzt ziemlich am Ende, dabei liegt das Ende unserer Reise noch im Nebel. Und: Wir sind größtenteils Frauen.
Die vergangenen Monate waren ein brutales – und inzwischen zum Glück auch viel beschriebenes und beklagtes – Lehrstück darüber, wie wenig gleichberechtigt wir sind. Da war die Selbstverständlichkeit, mit der mit den Schul- und Kitaschließungen meist die Väter in die Arbeitszimmer flohen, während die Mütter neben ihren Jobs mal eben unbezahlte Vollzeitstellen als Erzieherinnen und Lehrerinnen antraten. Da war der Aufmarsch fast nur männlicher Politiker und Experten, die sich in Talkshows und Pressekonferenzen als Welterklärer und künftige Kanzlerkandidaten plusterten, während Frauen bestenfalls als "Mutter, derzeit im Homeoffice" oder "Hotelchefin, kurz vor dem Aus" ihre Lage schildern durften. Da war der Anstieg von Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt – und das ewige Schweigen der Politik zur Wiedereröffnung von Kitas und Schulen. Nicht zu vergessen das Hickhack über die Boni für jene Pflegekräfte, ohne die wir auf dem Höhepunkt der Pandemie katastrophal gekentert wären.
Das Problem ist nicht erst durch die Krise entstanden
Kurz: Da war so einiges, was einen empören konnte und viele fürchten ließ, das Schiff würde direkt zurück in die 1950er steuern. Inzwischen zeigen Studien: Ganz so weit geht der Rollen-Rollback wohl nicht. Das Mehr an Kinderbetreuung etwa, das Millionen Familien wegen der Schul- und Kitaschließungen schultern mussten (und vielerorts immer noch müssen), teilten sich Mütter und Väter relativ fair auf, ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bielefeld.
Das Problem ist nur: Diese Arbeit war schon vor der Krise so dramatisch unfair zu Lasten der Frauen verteilt (weil die öfter Teilzeitjobs haben und ja: auch wegen traditioneller Rollenbilder), dass besonders die Mütter ob der Extra-Belastung bald dem Burn-out nahe waren – und sich vom Staat verschaukelt fühlen. "Gerade junge Frauen wurden in der Vergangenheit immer wieder ermutigt: Traut euch Kinder und Karriere, der Staat unterstützt euch", sagt die Soziologin Mareike Bünning vom Wissenschaftszentrum Berlin. "Dieses Versprechen hat sich in der Krise in Luft aufgelöst." Die Folge: Gut ein Viertel der Mütter, aber nur ein Sechstel der Väter musste im Shutdown betreuungsbedingt den Job reduzieren, ergab eine Studie der Hans Böckler Stiftung. Und weil die Rückkehr zur alten Arbeitszeit wegen der Rezession vermutlich schwierig wird, drohen weitere Rückschritte: die wachsende finanzielle Abhängigkeit der Frauen, die Vergrößerung des Gender Pay Gaps, die Verfestigung traditioneller Rollenmodelle.
Falle Homeoffice
Selbst das Homeoffice erweist sich unter solchen Bedingungen oft als Falle. Zerrieben zwischen Laptop und Laufstall reichten Wissenschaftlerinnen seit Krisenbeginn deutlich weniger Forschungsarbeiten bei Fachjournalen ein. Auch in Firmen drohen Frauen abgedrängt zu werden: Im Homeoffice brächten sie sich weniger zu Gehör, gaben Topmanagerinnen bei einer Umfrage zu Protokoll; informelle Zirkel, in denen vorrangig Männer das Sagen haben, gewännen an Einfluss. "In der Krise können so Nachteile entstehen, die sich nicht so schnell aufholen lassen", sagt Mareike Bünning.
Bei vielen Frauen geht es freilich gar nicht um den nächsten Karriereschritt, sondern um die Existenz. Als "She-cession" werden gerade die auffallend harten wirtschaftlichen Folgen der Krise für Frauen weltweit beschrieben. Dass sie – oft aus Vereinbarkeitsgründen – häufig in Mini- und Teilzeitjobs arbeiten und in Firmen ohne Tarifvertrag, lässt sie derzeit auch bei uns tief fallen: Ihr Kurzarbeitergeld wird seltener aufgestockt, sie werden öfter unbezahlt freigestellt, verlieren häufiger den Job, auch weil sie oft in krisengeschüttelten Branchen wie der Gastronomie arbeiten. Auch hier werden die Gräben zwischen den Geschlechtern also tiefer, die Chancen für Frauen schwinden.
All das macht nicht übel Lust auf eine deftige Meuterei. Allein: Nicht nur die Kraft dafür fehlt gerade vielen, sondern vor allem Kompliz*innen auf der Kommandobrücke: "Speziell erwerbstätige Mütter haben bei uns keine starke Lobby", sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Katharina Wrohlich vom DIW. "In den Gremien, die derzeit die Politik beraten und Einfluss haben, sind sie nicht wirklich vertreten."
Was also tun? Sich wutschnaubend damit abfinden, dass der Kahn auch nach dem Sturm seinem Kurs treu bleiben wird – mit noch weniger Frauen auf der Brücke und noch weniger Wertschätzung für die, die unter Deck schwitzen? Das wäre die eine, tieftraurige Option. Doch wenn man sich unter Aktivistinnen, Forscherinnen, Politikerinnen umhört, wächst die Hoffnung, dass es auch anders laufen könnte. Hier drei vorläufige Krisen-Learnings, die vorsichtig optimistisch stimmen:
1. Protest wirkt
Wochenlang schrieben sich #Coronaeltern und #Elterninderkrise die Finger wund – mit Rechnungen über Hunderte geleistete Stunden Homeschooling und dem Appell, doch endlich zu prüfen, ob Schul- und Kitakinder wirklich Superspreader des Virus sind. Familien demonstrierten in den Innenstädten. Unter dem Hashtag #stattblumen forderten Tausende mehr Gleichberechtigung. Und langsam, ganz langsam tut sich was. Nein, damit ist nicht der Kinderbonus gemeint, der höchstens kurzfristig und längst nicht allen hilft. Sondern die Tatsache, dass die Frage, was die Krise mit den Frauen macht, allmählich doch zum Politikum wird. Vor allem grüne Politikerinnen griffen das Thema auf und die erschreckend zurückhaltende Frauenministerin Franziska Giffey an, luden zum Schul- und Kita-Gipfel, forderten einen "Geschlechtergerechtigkeits-Check" für Hilfsmaßnahmen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gaben Studien zur Virusübertragung durch Kinder in Auftrag. Und mit den Steuerentlastungen für Alleinerziehende und dem Ausbau der Ganztagsbetreuung rang sich die Regierung zumindest zu einigen Maßnahmen durch, die speziell Frauen helfen werden. Schon klar, das ist noch beschämend wenig. Doch: Das Thema liegt nun auf dem Tisch. Bleibt der Druck, bleibt es dort. Und das ist wichtig, denn:
2. Die Krise ist eine Lupe
Wie unter einem Mikroskop lassen sich gerade die leidigen Strukturen studieren, die Frauen noch immer ausbremsen und kleinhalten. Nie zuvor war so klar, wie sehr alles mit allem zusammenhängt: Die wenigen Frauen auf der Kommandobrücke mit dem Schneckentempo bei der Wiedereröffnung von Schulen und Kitas. Der Gender Pay Gap mit dem Verschwinden der Mütter unter Deck. Das Ideal der aufopferungswilligen Frau mit den miesen Arbeitsbedingungen in der Pflege. Der Frauenmangel in Führungspositionen mit der schlechten Vereinbarkeit von Job und Familie. Und noch nie war so offensichtlich, wie sehr wir bis heute eine der wichtigsten Zukunftsfragen verdrängen: Wie können wir die Fürsorge für Kinder, Kranke, Alte endlich fair verteilen und bezahlen?
Ideen gibt es viele, seit Jahren: Von der 32-Stunden-Woche, die Zeit ließe für Care-Arbeit und Ehrenamt, bis zur Abschaffung des Ehegattensplittings, das Pay Gaps und traditionelle Rollenmodelle zementiert. Von Quoten, die den Anteil von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in Gremien und Chefetagen sichern könnten, bis zur Tarifbindung von Pflegeberufen, die für bessere Arbeitsbedingungen und fairere Löhne sorgen würde. "Was Müttern, Menschen in Pflegeberufen und von Gewalt bedrohten Frauen in dieser Krise widerfährt, ist ja kein Schicksal, das wir hinnehmen müssen", sagt Cordelia Röders-Arnold, Mitinitiatorin der #stattblumen-Kampagne. "Wir können unseren Frust über das Chaos, in das die Pandemie viele von uns stürzt, nutzen, um wirklich etwas zu verändern."
3. Die Rechnung muss kommen
Blöd nur, dass viele gerade in die Gegenrichtung steuern. Eine Ausweitung der Frauenquote für Firmen? Nicht in der Krise, blockt der Wirtschaftsminister ab. Ein Corona-Elterngeld, das die faire Aufteilung der Fürsorge in Familien fördern könnte? Wird nicht mal diskutiert.
Janina Kugel, ehemalige Siemens- Personalchefin, nervt dieses Festhalten am Status quo: "Wie wollen wir für die Zukunft fit werden, wenn wir jetzt keinen Schritt nach vorn gehen?" Bei Firmen und Politiker*innen wirbt die Unternehmensberaterin derzeit dafür, Diversity gerade jetzt zu forcieren. Doch ohne Rückhalt aus dem Maschinenraum könnten auch Reformer*innen auf der Brücke nichts ausrichten: "Mein Wunsch wäre, dass die Leute jetzt genau hinschauen: Welcher Politiker verhält sich wie, gerade gegenüber Frauen? Und dass sie sich daran erinnern, wenn sie das nächste Mal wählen."
Die nächste Wahl ist – noch sehr weit weg. Erst im März geht es los mit den Landtagen; zwischen heute und der Bundestagswahl im Herbst 2021 liegt ein Meer von Zeit. Doch auf der Reise wird uns das Virus begleiten. Es wird vermutlich weitere Infektionswellen geben, weitere Shutdowns. Das klingt wie ein Albtraum. Aber vielleicht ist es das Gegenteil: ein ständiges Rütteln, das uns wach und wütend hält für noch mehr Tweets, Demos, Petitionen. Damit die auf der Brücke uns sehen und wissen: Verflucht, sind das viele. Und die sehen uns auch.
Acht Stunden pro Woche gingen Kristina Maroldts Kinder im Juni zur Schule. Stoff blieb da wenig hängen. Dafür können die zwei nun "Die drei ???" mitsprechen. Ihre Eltern auch.
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