Zwei Fragen und ein Laptop waren nötig, um das Leben von Modesta Joseph vor sieben Jahren zu verändern. Wenn daher heute ein Mädchen vor ihr sitzt, um von ihr zu lernen, wie man Apps programmiert, stellt sie ihr genau dieselben Fragen: "Was ist das größte Problem in deiner Nachbarschaft? Und wie willst du es lösen?"
Die Welt durch Programmierung verändern?
Modesta Joseph, 22, ist Tech- und Frauenrechtsaktivistin aus Tansanias Metropole Daressalam. Ihre Geschichte zeigt, was digitale Technik in jenen Ländern bewegen kann, die viele noch kaum damit verbinden – obwohl die Szene in Tansania oder Nigeria schon lange boomt. Denn die, die hier an neuen Tools tüfteln, eint eine Idee: Wer programmieren kann, beherrscht ein universelles Alphabet. Was braucht es mehr, um die Welt zu verändern?
Joseph wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Der Vater arbeitete in einem Elektrogeschäft, die Mutter war Hausfrau, oft gab es nur eine Mahlzeit am Tag. Die Tochter solle studieren, es besser haben, wünschten sich die Eltern. Und tatsächlich wurde Joseph für ein Gymnasium im Stadtzentrum zugelassen. Doch die dreiviertelstündige Fahrt dorthin war ein Albtraum: In den vollen Bussen wurden ihre Freundinnen und sie begrapscht, bekamen obszöne Sprüche zugeflüstert. "Und die Leute schauten weg."
Als Joseph 15 war, stellte die ugandische NGO "Apps and Girls" an ihrer Schule einen Programmierclub für Mädchen vor. Sie meldete sich an – und hörte dort die beiden Fragen, die ihr Leben auf den Kopf stellen sollten. "Es war, als hätte man mir ein weißes Blatt Papier und einen Stift gegeben. Und gesagt: Überlege, was deine Leidenschaft ist und was du damit für dich und andere tun kannst."
Meldung von 600 Übergriffen im ersten Jahr
Sie sitzt an diesem Tag im Schulungsraum von "Apps und Girls". Mittlerweile gibt sie hier selbst Coding-Kurse, damals jedoch war HTML für sie Neuland. Trotzdem baute sie schon bald eine Website. Die sollte das Problem lösen, das sie am meisten umtrieb: Wer auf dem Schulweg belästigt worden war, konnte den Vorfall dort melden. Die Beschwerden wurden an Stadtverwaltung und Polizei weitergeleitet, beide waren vorher von der NGO informiert worden. Ein Vorhaben mit Tragweite: Besonders die sexuelle Gewalt gegen Kinder ist in Tansania ein Problem. Zusätzlich stellte Joseph in Schulen Kästen auf, in die Kinder ohne Internetzugang Beschwerdezettel werfen konnten. "Our Cries" nannte sie ihr Projekt – unsere Schreie. Rund 600 Übergriffe wurden im ersten Jahr gemeldet.
Eine wirklich durchschlagende Wirkung hatten die Meldungen aber nicht. Dafür braucht es Unterstützung aus der Politik, merkte Joseph rasch, und Menschen, die in das Projekt investieren. Doch sie war schon immer eine, die nicht lockerließ. Bei einem Workshop lernte sie den Leiter einer Roboterwerkstatt kennen, mit seiner Hilfe organisierte sie im Sommer 2017 zwei Veranstaltungen mit fast 1000 Schüler:innen und Vertreter:innen von Stadt, Polizei und Busunternehmen. Einige Tage lang habe ganz Daressalam über das Thema gesprochen, erinnert sie sich. Vielen Mädchen sei klar geworden, dass es wichtig ist, sich zu wehren. Busfahrer und Fahrgäste seien sensibilisiert worden.
Josephs Leben hat seither an Fahrt aufgenommen. Für ihr Engagement wurde sie ausgezeichnet, unterstützt von Stipendien nahm sie an einem Sommercamp am Massachusetts Institute of Technology teil und besuchte die African Leadership Academy in Johannesburg. Seit einem Jahr studiert sie mit einem Stipendium in Ruanda International Business.
Ihr eigener Weg ist Grund genug für weitere Veränderung
Aus "Our Cries" hat sie inzwischen eine NGO gemacht, finanziert von der US-amerikanischen We Are Family Foundation. Zwei Mitarbeitende sollen bald fest angestellt werden, die anderen arbeiten ehrenamtlich. "OVAH" – der Name steht für "Unsere Stimmen gegen Belästigung" – bietet Seminare und Videos, in denen Mädchen lernen, welche Rechte sie haben und wie sie Übergriffe melden können. Und wenn Joseph Zeit hat, ist sie auch heute noch für "Apps and Girls" im Einsatz, veranstaltet Hackathons oder versucht, Investor:innen zu überzeugen, die Coding-Kurse zu finanzieren. Wenn sie Argumente braucht, reicht es, wenn sie auf ihren eigenen Weg verweist.
Modesta Joseph (22 ) ...
... ist Gründerin der NGO "OVAH", die sich gegen die sexuelle Belästigung von Mädchen einsetzt (ovah.ourcries.org). Geboren in Daressalam lebt sie heute in Kigali, Ruanda. In den Ferien kehrt sie regelmäßig nach Hause zurück und trifft sich dort mit den Frauen, die mit ihr Coden lernten. Sie sind ihre engsten Freundinnen.
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