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Saralisa Volm "Die Gesellschaft profitiert davon, dass Frauen unzufrieden mit sich sind"

Saralisa Volm, 37
Saralisa Volm, 37
© Svenja Trierscheid
Wie viel Hyaluron passt in das Gesicht einer intelligenten Frau? Wie viel Botox kann ich meiner politischen Haltung zumuten? Wie viel Hängebrust braucht meine feministische Agenda? Saralisa Volm, 37, hat ein Buch über weibliche Dilemmata geschrieben. 

Saralisa Volm hat ein erfülltes Leben: Die Vierfachmutter ist Schauspielerin, Filmproduzentin, Regisseurin ("Schweigend steht der Wald"), Autorin, Kuratorin – und trotzdem hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach einer Generalsanierung ihres Körpers und einem großen "Fuck you". Wer ist schuld am Schönheitsdilemma der Frauen? Und wie kommen wir da raus? Über diese Fragen hat Volm ein Buch geschrieben: "Das ewige Ungenügend. Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers".

BRIGITTE: Frauen investieren Geld und Lebenszeit in Schönheitsideale, die nicht erfüllbar sind. Wir leben in einer "Körperkratie", wie Sie schreiben, einer Gesellschaft, in der der schöne Körper regiert. Warum ist das Schönheitsdiktat allem Feminismus zum Trotz so unverwüstlich? 

Saralisa Volm: Das liegt daran, dass der Körper der Ort ist, wo Frauen Macht und Kontrolle ausüben können. Wir sind noch nicht weit genug mit der Gleichberechtigung. 

Können wir denn so viel Macht auf unsere Körper ausüben? Das Ideal ist doch unerreichbar. 

Natürlich ist das Ideal nicht erreichbar, aber es ist für Frauen leichter, sich diesem Ideal anzunähern, als in vielen anderen Bereichen erfolgreich zu sein. Es ist zum Beispiel schwieriger, zu sagen: Ich will, dass wir uns die Kindererziehung 50/50 aufteilen, oder ich möchte befördert werden oder das Gleiche verdienen wie der männliche Kollege. Kann man machen, sollte man auch versuchen, aber das alles wird Frauen durch viele äußere Faktoren erschwert. 

Statt mit Diäten und Botox gegen den eigenen Körper anzukämpfen, sollten wir besser gegen die Ungleichheit angehen. Warum tun wir das nicht? 

Wir sind alle gar nicht so frei, wie wir denken. Wir sind zum Beispiel einer Menge an Bildern ausgesetzt. Selbst im Journalismus wird die berufstätige Alleinerziehende mit einem geschminkten Model bebildert, das mit einem super Laptop in der weißen Bluse dasitzt und nachher noch die Kinder abholt. Wenn man den ganzen Tag mit diesen Bildern vollgeballert wird, ist es superschwierig, zu sagen: Mich tangiert das nicht. Da werden ganz klar unsere Instinkte bedient und unser Bedürfnis, geliebt zu werden und Teil einer Gemeinschaft zu sein. Weil solche Bilder und auch die Werbung an unsere innersten Sehnsüchte appellieren, kann man mit dem Intellekt nur schwer dagegen ankämpfen. Es gibt ja auch den Charlie's-Angels-Effekt: Je mehr gutaussehende Menschen ich sehe, umso hässlicher finde ich mich, und umso hässlicher finden wir auch unseren Partner oder unsere Partnerin. 

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Und die Werbung mit ihren Idealbildern ist quasi omnipräsent … 

Richtig. Aber es gibt inzwischen Städte ohne Werbung und das ist eine spannende Sache. Denn Werbung im öffentlichen Raum – why!? Wir müssen uns als Gesellschaft Gedanken machen, ob wir an jeder Wand Plakate mit übermäßig schönen Menschen haben möchten. Das Individuum kann sich nur ganz schwer dagegen behaupten. 

Solange die Wirtschaft so viel Macht hat, wird sich daran wenig ändern. 

Das ist genau das, was wir infrage stellen sollten. Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft mit dem angeblich freien Markt argumentiert und gleichzeitig entscheidet, was ich kaufe. Es wird ja durch die Unternehmen sehr stark gesteuert, was wir konsumieren, welche Trends gesetzt werden, was wir essen. Wir brauchen mehr Aufklärung und eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung, ob wir das eigentlich wollen.  

Wer profitiert davon, dass wir mit unserem Körper unzufrieden sind? 

Eigentlich alle. 

Das müssen Sie uns erklären. 

Wer natürlich wahnsinnig profitiert, ist die Industrie, die uns sagt: Gönn dir was, kauf diese Schokolade, lieb dich selbst – und uns hinterher den Diätdrink verkauft. Die Frage ist auch, brauche ich acht Kollektionen im Jahr und muss mir jemand das Gefühl geben, dass ich die alle tragen muss? Da geht’s auch um Nachhaltigkeit und darum, wie viele Produkte uns verkauft werden, die absoluter Müll sind. Aber auch die Gesellschaft profitiert davon, dass Frauen unzufrieden mit sich sind. Wenn ich mich ungenügend fühle, versuche ich, zu gefallen, gemocht zu werden und den vermeintlichen Mangel auszubessern. Ich passe mich an, tue noch mehr, mache auch noch die Care-Arbeit, mache auch noch, dass ich gut aussehe und beschwere mich nicht, denn ich will ja nicht zickig oder hysterisch rüberkommen. Denn dass ich irgendwas nicht okay finde, liegt schließlich nur daran, dass ich selbst so verdammt ungenügend bin. Das System perpetuiert sich selbst und sorgt dafür, dass so wahnsinnig viel an den Frauen hängenbleibt. 

Wie kommen wir da raus? Haben Sie einen Weg gefunden? 

Ich habe viele Wege gefunden und gleichzeitig gar keine. Ich wiege mich zum Beispiel nicht mehr. Ich weiß gar nicht, warum man sich wiegen sollte, außer man ist Leistungssportler:in oder hat ein bestimmtes Krankheitsbild. Eine andere Frage ist: Gehe ich morgens ungeschminkt in ein Meeting oder schaffe ich es ohne? 

Schaffen Sie das manchmal? 

Ja. Heute zum Beispiel, da hatte ich einfach keinen Nerv dafür. Und auch wenn es nicht immer klappt: Jeder dieser kleinen Schritte ist absolut wertvoll. Obwohl das Abwälzen der ganzen Problematik auf das Individuum eine der kompliziertesten Sachen überhaupt ist, weil uns das immer nur auf unsere eigene Verantwortung zurückwirft. 

Sie selbst unterwerfen nicht nur sich selbst, sondern auch andere Frauen einem superkritischen Blick, Sie sprechen von "gelerntem Selbsthass". Wie werden wir den los?  

Es hilft schon, nicht mehr so mies über andere zu sprechen. Das Kommentieren von Körpern kommt in meinem heutigen Leben deutlich seltener vor als bei meinem 17-jährigen Ich. Ich glaube, wir haben noch viel zu tun, unsere verinnerlichte Misogynie, unser 'Oh wow, warum zieht die sowas an!' abzulegen und stattdessen zu sagen: 'Don't judge a body!' Manchmal hilft es auch, andere anzunehmen, wie sie sind, um sich dann selbst vor dem Spiegel fragen zu können: Wieso bin ich jetzt so gemein zu mir? 

Geht es bei all dem vielleicht weniger um Schönheit als um Fuckabilty? Um den männlichen Blick, dem wir uns nicht entziehen können? 

Es geht um das, was gerade als schön gilt, und das hat mit Sicherheit viel mit dem männlichen Blick zu tun. Wir haben bestimmte Normen verinnerlicht und bekommen diese die ganze Zeit reproduziert – bis wir glauben, dass es gut wäre, so auszusehen, um gemocht zu werden. Das ist das Verheerende. 

Frauen werden ja häufig erst als "richtige" Frauen betrachtet, wenn sie Mutter werden, aber dann wird der Mutterkörper auch sofort wieder entwertet. Muttersein "riecht nach Langeweile, Babykotze und Kartoffelbrei", wie Sie schreiben. Können wir es der Gesellschaft eigentlich nie recht machen?

Nee. Und deshalb ist es so wichtig, sich davon zu befreien. Wir brauchen möglichst viele unterschiedliche Lebensmodelle und müssen eine Vielfalt an Körpern sehen. Nur dann entstehen Freiräume, in denen Leute sich zugehörig fühlen können. Es ist total in Ordnung, Kinder zu bekommen und auszusehen wie Kartoffelbrei und drauf zu scheißen. Gleichzeitig soll eine Frau rumlaufen können wie die härteste Milf. Einer Mutter, die viel Zeit in ihr Aussehen investiert und vermeintlich zu sexy ist für ihr Alter, wird aber sofort abgesprochen, eine gute Mutter zu sein. Das ist komplett albern. Wir brauchen auf allen Ebenen viel mehr Freiräume.

Sie schreiben über schmerzhafte Dinge, die Ihnen und anderen Frauen widerfahren. Bulimie, Vergewaltigung, gewalttätige Partner, Geburten, Periodenschmerzen, Orgasm Gap – warum lassen wir zu, dass der weibliche Körper so viel Schmerz und Ungemach ausgesetzt ist?

Es fehlt uns an Wissen, Sprache und Zusammenhalt. Also an Aufklärung und an Worten, um darüber zu sprechen, was uns passiert, und an Räumen, wo uns zugehört und geglaubt wird. Häufig heißt es, was Frauen sagen, stimme nicht, sie seien nicht glaubwürdig. Unsere Schmerzen werden zum Beispiel auch deutlich weniger ernst genommen, wenn wir zu Ärzt:innen gehen. Es gibt ein großes Loch, das unsere Stimmen verschluckt. 

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Brigitte

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