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Crystal Meth - so gefährlich ist die Droge

Crystal Meth - so gefährlich ist die Droge
© Tanja Kernweiss
Crystal Meth verbreitet sich in Deutschland rasant. Zunächst macht die Droge wach und aktiv. Dann zerstört sie das Gehirn. Wir waren in einer Entzugsklinik.

Das Schlimmste, findet Mia*, wäre, für immer auf den Kick zu verzichten. Die Freunde aufgeben, weg ziehen aus ihrem Dorf in Sachsen - damit käme sie zurecht. Aber dieser Moment, in dem das Crystal Meth sie ins pralle Leben schießt; "wenn du das mal erlebt hast, willst du das immer wieder", sagt sie. Man schnupft die zerhackten Kristalle - Mia sagt: "Du rotzt eine Line" -, erst brennt die Nase, dann splittert etwas im Kopf. Danach ist alles weg, was runterzieht: Langeweile, Hunger, Müdigkeit, Traurigkeit, "du bist einfach nur glücklich, hast Fasching im Gesicht, du willst reden, losrennen, ausrasten, du weißt gar nicht, wo du dich lassen sollst", sagt Mia. Mit 14 hat sie zum ersten Mal Crystal Meth genommen, in der Dönerbude mit den Freunden ihres Bruders. Jetzt ist sie 28. Zuletzt musste sie Crystal nehmen, um noch die Kraft zu haben, fernzusehen.

Mia ist seit dreieinhalb Monaten Patientin im Bezirksklinikum Hochstadt in Oberfranken, das sich als erste Klinik in Deutschland auf Crystal-Süchtige spezialisiert hat. In der Therapie sollte sie eine Liste machen mit Dingen, für die es sich lohnt, kein Crystal zu nehmen, und solchen, von denen sie glaubt, dass sie dafür das Crystal noch braucht, und jedes mit 0 bis 10 Punkten bewerten. Dem Kick gab sie 10 Punkte; Familie, Gefühle, Führerschein machen kriegten nur 3 bis 5 Punkte. "Weiter bin ich noch nicht", sagt Mia. Es ist ihre dritte Therapie, die zwei davor hat sie nicht beendet. Aber diesmal will sie es schaffen.

Verheerende Wirkung: Unter Crystal gibt es keine echten Gefühle

Lange galt Crystal Meth als eine Droge, die man nur aus Amerika kannte. Die Bilder von dort waren erschreckend, man sah Abhängige, die in kürzester Zeit körperlich verfielen. Aber Crystal Meth, ein Methamphetamin, das um ein Vielfaches stärker wirkt als andere synthetische Drogen wie Speed oder Ecstacy und dabei viel billiger ist, ist längst in Deutschland angekommen, es verbreitet sich rasant. Von 2011 auf 2012 stieg die Zahl der Erstkonsumenten, die von der Polizei erwischt wurden, um 51 Prozent auf 2556.

Man sieht ihnen die Sucht nicht auf den ersten Blick an, anders als in den USA hat hier jeder eine Krankenversicherung und kann sich gegen die offensichtlichsten Schäden behandeln lassen. Aber man merkt, etwas geht mit ihnen vor. Crystal Meth macht, auch wenn man es schon eine Weile nicht mehr nimmt, hyperaktiv, vergesslich, gleichgültig, depressiv. Unter Crystal gibt es keinen Schlaf, keine Ruhe, keinen Hunger, kein Nachdenken, keine echten Gefühle. Das brennt sich tief in den Körper ein.

Wenn ich 45 Stunden arbeite und am Wochenende Crystal nehme, kann ich mit der Jugend mithalten

Früher, in den 90er Jahren, war Crystal eine Party-Droge, jetzt nimmt der Anteil der älteren Konsumenten zu. Die rund 60 Patienten im Bezirksklinikum Hochstadt sind zwischen 18 und 62. Mehr Männer als Frauen, weil Frauen meist lieber in reine Fraueneinrichtungen gehen. "Crystal schwemmt durch die ganze Gesellschaft", sagt Annegret Sievert, die psychologische Leiterin der Suchttherapie, eine bodenständige, resolute Frau Anfang 50. Seit neun Jahren ist sie in Hochstadt, und nach allem, was sie hier sieht und hört, hat sie den Eindruck, dass Crystal Meth sich so schnell verbreitet, weil es perfekt in unsere Zeit passt.

"Höher, schneller, weiter, wir leben in einer Leistungs- und Spaßgesellschaft", sagt Sievert. "Crystal Meth macht wach und aktiv, das ist gerade für Ältere attraktiv, die wollen auch mit 45 noch dazugehören. Bei der Arbeitszeitverdichtung, die wir heute haben, den vielen Überstunden - wenn ich 45 Stunden arbeite und am Wochenende eine Line Crystal nehme, kann ich mit der Jugend mithalten. Das ist so verführerisch." Sie hat eine interne Statistik über zwei Jahre geführt, danach lag das Durchschnittsalter der Patienten bei 32,6 Jahren, "weil zu den 18-Jährigen immer mehr 45-Jährige kommen", sagt sie.

Sievert hat Patienten behandelt, die Crystal nehmen, um trotz Bandscheibenvorfall im Job bleiben zu können, und Selbständige, die einen Abgabetermin schaffen müssen und mit Crystal drei Nächte durcharbeiten können. Sie kennt Mütter kurz vorm Burnout, die das Crystal von ihren Töchtern bekommen, nach dem Motto: Nimm mal, das macht dich fit. Sie kennt Patienten, die nehmen es, weil man darauf unendlich lange Sex hat, gerade Frauen mit einer Missbrauchserfahrung haben damit überhaupt wieder Lust.

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Drogensucht ist auch immer ein Selbstheilungsversuch. "Die 68er wollten ihr Bewusstsein erweitern, die haben gekifft", sagt Annegret Sievert. "In den siebziger Jahren kam als gesellschaftlicher Protest das Heroin hoch, und heute passen Amphetamine in den Zeitgeist, die machen, zumindest am Anfang, leistungsfähig. Man funktioniert erst mal wieder."

Hochstadt liegt 90 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, hinter der das Crystal tonnenweise billig gekocht wird: Tschechien hat eine lange Tradition in der chemischen Industrie, und der Besitz von bis zu zwei Gramm ist im Land straffrei. Die Kristalle, die wie kleine Eisbrocken aussehen, sind ein Destillat aus Erkältungsmitteln, Abflussreinigern und anderen hoch toxischen Substanzen. Sie werden zerstoßen und auf Märkten an der Grenze in kleinen Tütchen verkauft, der Stoff wird geschnupft wie Kokain oder, meist in einer späteren Phase der Sucht, gespritzt wie Heroin.

Fünf Tonnen, schätzt die EU-Drogenbeobachtungsstelle, drückt Tschechien jährlich in den Markt. Wer direkt vor Ort kauft, zahlt um die 40 Euro pro Gramm, etwa eine Tagesration für einen mittelschwer Abhängigen. Dealer verteilen den Stoff über das Land, je weiter ihr Weg, je teurer ist das Meth, weswegen ein Großteil der Konsumenten bisher nahe der Grenze in Sachsen, Bayern, Thüringen lebten. Das ändert sich gerade, Crystal kommt inzwischen in ganz Deutschland an. 75 Kilo wurden 2012 sichergestellt, 2009 waren es noch 600 Gramm.

Psychosen gehören zur Crystal-Sucht

Eine Weile kann man Crystal kontrolliert konsumieren, dann wird die Gier, in den Rausch zu kommen, unwiderstehlich. Man kann die Nacht durcharbeiten oder Party machen oder beides, wie Mia, sie ist abends feiern gegangen und um drei Uhr nachts zur Schicht als Aushilfsköchin. Manchmal hat sie dabei seltsame Sachen gesehen, Leute, die nicht da waren, gegen die sie sich dann gewehrt hat, auch mal zugeschlagen, und hat dabei Leute verletzt, die zufällig in der Nähe waren. Und sie hat Stimmen gehört, anfangs wusste sie noch, dass das Einbildung ist, Psychose, dann nicht mehr. Irgendwann wollte sie im Wahn aus dem Fenster springen. Da hat ihre Mutter sie das erste Mal zum Entzug gebracht.

Das Bezirksklinik Hochstadt ist in einem 400 Jahre alten Kloster untergebracht, das wie ein Landschulheim wirkt, wären da nicht die schalldichten Türen, hinter denen die Therapiegespräche stattfinden, und die Jungs in ihren Baggy Pants, die hier sind, weil die Reha eine Haftauflage ist. Viele der Patienten haben gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen, sie haben gedealt oder sind beim Einkaufen an der Grenze erwischt worden. Ein wenig erinnert die Klinik daher auch an eine JVA, gerade, wenn man mit Mia mittags in die katakombenartige Mensa geht, wo sie dann mit ihrer Freundin Leonie, 20, die wegen Drogenbesitz eine Jugendstrafe verbüßt, ziemlich verloren wirkt.

Für beide ist die Freundschaft etwas Besonderes. Wie die meisten süchtigen Frauen hatten auch sie sich Männer als Versorger gesucht, oft ist der Partner auch der Dealer, und andere Frauen werden eher als Konkurrenz empfunden. Das Muster wirkt nach, beide sind in Hochstadt sofort Beziehungen eingegangen. Um sich abzugrenzen, gibt es eine extra Frauengruppe. Dort lernen sie, aufrecht zu bleiben, wenn Männer sie anmachen, oder sie üben, zu zweit und selbstbewusst durch einen Raum zu gehen.

Leonie muss darüber lachen, ihre blauen Augen blitzen dann. Sie hat mit 15 mit dem Crystal angefangen, das erste Mal beim Ausgehen, beim zweiten Mal ist sie kollabiert, sie hat eine Depression, die das Crystal zum Ausbruch brachte, später brauchte sie die Droge, um die Traurigkeit zu übertünchen. Als ihr Freund wegen Dealens festgenommen wurde, ist sie selbst nach Tschechien gefahren, immer mit dem Zug. Sie ist auf den Markt gegangen und hat sich kurz über die Nase gerieben, das reicht als Erkennungszeichen. Irgendwann hat ihr Freund sie im Knast verpfiffen.

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An der Wand der Mensa ist ein Spruch gemalt: "Essen ist ein Bedürfnis, Genuss ist eine Kunst", es soll die Patienten in eine Welt zurückholen, die im normalen Tempo dreht. "Normal kenne ich ja nicht", sagt Mia. "Ich kenne ja nur den Kick und Party machen." "Die Patienten müssen lernen, sich wieder selbst auszuhalten", sagt Annegret Sievert. Deshalb steht nach 16 Uhr, nach der letzten Therapiesitzung, nichts mehr auf dem Programm.

Lange Stunden ohne Ablenkung, ein harter Kontrast zum alten Leben. Unter Crystal geht jedes Zeitgefühl verloren, die Süchtigen bleiben auf sinnlosen Beschäftigungen hängen: Mia hat zu Hause oft stundenlang dieselbe Tischplatte gewischt, Leonie die Deko auf ihrem Fensterbrett umgeräumt, zwei Stunden lang eine kleine Plastikkatze hin und her geschoben.

Hier müssen sie Langeweile ertragen, sie hocken in den Küchen der Wohngruppen zusammen, backen Kuchen, spielen Karten, sitzen an den Computern im Eingangsbereich oder rauchen und feixen im Innenhof. Für Pünktlichkeit, regelmäßige Teilnahme an den Arbeitsdiensten bekommen die Patienten Punkte. Wer die ersten 100 zusammen hat, darf ohne Begleitung in den Supermarkt gegenüber der Klinik, den Sünkel. Wenn Suchtdruck kommt, sagt Mia, geht sie in die Sporthalle: Es kann schon reichen, dass aus einem Zimmer laute Techno-Musik kommt. "Das triggert", sagt sie, "weil es mich ans Partymachen erinnert, dann kommt die Gier." Trotzdem ist Musik nicht verboten, die Klinik arbeitet nach den Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, die Patienten sollen lernen, mit allen Risiken umzugehen, die sie draußen allein bewältigen müssen.

Die Leute müssen konsumieren, um überhaupt etwas Positives zu fühlen.

Die erste Crystal-Welle schwappte mit den Grenzlockerungen zu Tschechien Ende der 90er in die Region. Auf die Entgiftungsstation der Krankenhäuser kamen weniger Heroin-, aber immer mehr Crystal-Abhängige. "Die haben ganz andere Bedürfnisse als herkömmliche Suchtkranke. Gedächtnis, Konzentration, das hat alles gelitten. Die konnten sich ihre Termine für Gespräche oder Untersuchungen nicht merken", sagt Sievert. In der Therapie lernen die Patienten, was die Droge in ihrem Körper, vor allem aber mit ihrem Gehirn anrichtet.

Crystal Meth macht nicht physisch abhängig, aber es zerstört die Nervenverbindungen im Belohnungssystem, die für die Dopamin-Ausschüttung zuständig sind. Die tausend kleinen, banalen Freuden, die ein Gesunder am Tag erlebt, weil das Essen schmeckt oder der Bus pünktlich kommt, finden in einem Crystal-Gehirn nicht statt. Der Impuls kann nicht übermittelt werden, die Nervenenden sind kaputt. "Deshalb müssen die Leute weiter konsumieren, um überhaupt etwas Positives zu fühlen. Selbst wer vorher keine Depression hatte, fühlt sich dann, als hätte er eine", sagt Sievert. In diesem Zustand befinden sich die Süchtigen dann über Jahre - emotional ausgehöhlt, aber körperlich intakt. "Sie müssen wieder lernen zu unterscheiden: Ist meine Trauer angemessen oder von meinem Crystal-Gehirn gesteuert?"

Mia würde man es zutrauen, dass sie den Ausstieg packt. Hier, ohne Drogen, ist sie eine aufgeschlossene junge Frau, die gegen die Gleichgültigkeit, die mit dem Crystal einhergeht, kämpft. Die Düsternis halten Antidepressiva in Schach und die Gespräche mit Annegret Sievert. Pro Woche hat jeder Patient mindestens ein Einzelgespräch, um herauszufinden, was zur Sucht geführt hat: Wer weiß, was er kompensiert hat, weiß irgendwann auch, was er ändern muss, damit er die Droge nicht mehr braucht. "Sie stößt mich mit der Nase in die Scheiße, wie einen Hund, der in die Wohnung gemacht hat", sagt Mia. Sie rutscht dann auf ihrem Stuhl umher, spielt mit den Bändern ihres Kapuzenshirts oder kaut auf ihrem Unterlippen-Piercing.

Sie hat einiges rausgefunden über sich, über die Mutter, die so überfürsorglich war, und ihren Vater, der immer Leistung von ihr wollte, sie sollte aufs Gymnasium, obwohl sie da nicht hingehörte, und dann wurde sie Leistungsschwimmerin, damit wenigstens etwas überdurchschnittlich war an ihr. Sie teilt ihre Sucht in drei Phasen. Die erste bis 18, da hat sie jeden zweiten Tag Crystal genommen, die Dealer standen am Spielplatz neben dem Rewe, sie hat auf dem Schulweg eingekauft. Dann ist sie ausgezogen, zu ihrem Freund, das hielt nicht lange, sie ist zu ihren Eltern zurück, "die haben nichts gemerkt, ich hab mich gut im Griff", sagt sie. Phase zwei: täglich Crystal, ihre Zähne wurden schlecht, die Haare fielen aus.

Ab 22 dann: keine Zeit mehr zum Schlafen, illegale Partys unter der Autobahnbrücke, die Freunde von damals sind heute fast alle im Gefängnis. Sie wog keine 40 Kilo mehr, hat trotzdem immer gearbeitet, bei Edeka in der Feinkostabteilung, in der Altenpflege, als Hilfsköchin. Nach dem versuchten Sprung aus dem Fenster kam Mia in die Entgiftung, eine Woche hat sie durchgeschlafen, dann kam die große Leere. In der Reha gab es Streit mit einer Mitpatientin, Mia schlug zu, flog aus der Einrichtung.

"Ich kannte nur, dass es mir komisch geht oder gut."

Drei Monate blieb sie clean, dann wieder: Meth, Entzug, Reha, und wieder musste sie nach einer Schlägerei gehen, "ich habe dieselbe Scheiße noch mal gebaut", sagt sie. Danach fand sie einen Job am Fließband, sie hat Stecker für Autobremssensoren montiert, abends war sie müde, "aber normale Müdigkeit kannte ich nicht, ich kannte nur, dass es mir komisch geht oder gut". Also hat sie wieder Meth gerotzt, gegen das komische Gefühl, ein, zwei Gramm am Tag. Etwa eineinhalb Jahre dauert es, bis sich die Nervenbahnen im Gehirn regeneriert haben. Bei einer Veranlagung zur Schizophrenie können die Psychosen bleiben; bei den meisten Süchtigen verschwinden sie nach einigen Monaten wieder.

Mia hat die Chance, noch mal die Kurve zu kriegen. Wenn man in ihrer Gegenwart über Rückfälle spricht - die Quote liegt weit über 70 Prozent, 40 Prozent stehen in Hochstadt schon die Reha nicht durch -, dann hält sie sich die Ohren zu und singt. Diesmal will sie es schaffen. Mia ist schwanger, von Benno, der Crystal nahm, um die Extraschichten auf dem Bau durchzustehen. Sie haben sich nachts nach der letzten Zimmerkontrolle verabredet, "und Kondome hat der Sünkel nicht, die gibt's an der Tankstelle, aber da dürfen wir nicht hin, weil da mal gedealt wurde", sagt Mia und schaut, als gäbe es Unausweichlichkeiten im Leben, die man einfach annehmen muss.

Also wurde sie schwanger, man sieht es schon unter ihrem Kapuzenshirt, die beiden suchen eine Wohnung in der Nähe, sie wollen hier ihr neues Leben anfangen. Mia freut sich. Benno kann überall auf dem Bau arbeiten, und sie will sich später einen Job in der Altenpflege suchen. Annegret Sievert sagt, es ist Mias Entscheidung, Mutter zu werden, "sie bekommt von uns jede Unterstützung. Natürlich sind die Zimmer Tabuzone, aber wenn die Patienten irgendwo Sex haben wollen, können wir das nicht verhindern. Wenn sie sich verliebt fühlen, dann ist das gut, sie sollen ihre Gefühle ja kennen lernen". Auf Mias Punkte-Liste gibt es jetzt noch eine weitere Zehn.

*NAMEN DER PATIENTEN VON DER REDAKTION GEÄNDERT

Text: Meike Dinklage Fotos: Tanja Kernweiss

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