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Ukrainerinnen auf der Flucht "Den größten Kampf führen die Frauen mit sich selbst"

Oksana B. mit ihrer Tochter. Sie sagt: "Zuhause habe ich immer anderen geholfen. Nun muss mir geholfen werden und ich fühle mich nicht wohl in dieser Rolle.“
Oksana B. mit ihrer Tochter. Sie sagt: "Zuhause habe ich immer anderen geholfen. Nun muss mir geholfen werden und ich fühle mich nicht wohl in dieser Rolle.“

© Svitlana Bovtenko
Seit Kriegsbeginn sind Millionen von Frauen und Müttern aus der Ukraine geflüchtet. Wie fühlt sich das Leben in der Fremde an?

Das hat sich auch die Journalistin Sandy Bossier-Steuerwald gefragt, als sie in Berlin auf geflüchtete Ukrainerinnen stieß. Um ihnen Stimme und Gesicht zu geben, startete sie den Blog "Frauen auf der Flucht", wo jede Woche eine andere Ukrainerin ihre Geschichte erzählt.  

BRIGITTE: Wie kam es zu Ihrem Projekt "Frauen auf der Flucht"?

Sandy Bossier-Steuerwald: Als der Krieg losging, gab es in meinem Bekanntenkreis eine riesige Solidarität. Eine Freundin hat die Ukrainerin Oksana mit ihrer Tochter aufgenommen, und wir haben uns ein paar Mal getroffen. Irgendwann hatte ich den Geistesblitz: Ich muss mit diesen geflüchteten Frauen sprechen, ihnen die Möglichkeit geben, ihr Gesicht zu zeigen und ihre Stimme zu erheben.

Wo finden Sie Ihre Protagonistinnen?

Zunächst habe ich im unmittelbaren Umfeld gesucht, dann auf Instagram und Facebook. Die Frauen, die auf meinem Blog zu Wort kommen, sind überall verstreut: in den USA, Portugal, Italien, Polen und natürlich in Deutschland.

Die Ukrainerin Olena Morozova sagt: "So gern ich gereist bin, ich habe es immer geliebt, nach Hause zu kommen. Jetzt weiß ich nicht mal mehr, ob es noch ein Zuhause gibt, in das ich zurückkehren kann.“
Die Ukrainerin Olena Morozova sagt: "So gern ich gereist bin, ich habe es immer geliebt, nach Hause zu kommen. Jetzt weiß ich nicht mal mehr, ob es noch ein Zuhause gibt, in das ich zurückkehren kann.“
© Olena Morozova

Gibt es etwas, das Sie an den Geschichten der geflüchteten Frauen besonders beeindruckt?

Die Frauen imponieren mir, weil sie so stark und so mutig sind. Sie befinden sich in einer erzwungenen Situation, die sich aussichtslos anfühlt, weil sie nicht wissen, wo es hingeht. Sie erleben einen totalen Umbruch in ihrer Biografie und müssen in einer Art Zwischenwelt zurechtkommen: Sie wollen in der Ukraine sein, müssen sich aber hier etwas aufbauen, ihre Kinder versorgen, einen Job suchen, die Sprache lernen. Ich empfinde ihre Geschichten als absolut kraftvoll und mutmachend.

Anzhelika Nizamova wurde von ihren Kindern auf die Flucht mitgenommen: „Ich hatte mein Leben lang Angst vor Krieg. Mit dem Alter wurde es besser – dann kam 2022“
Anzhelika Nizamova wurde von ihren Kindern auf die Flucht mitgenommen: „Ich hatte mein Leben lang Angst vor Krieg. Mit dem Alter wurde es besser – dann kam 2022“
© privat

Womit haben die Ukrainerinnen auf ihrer Flucht am meisten zu kämpfen?

Den größten Kampf führen die Frauen mit sich selbst, es ist eine Mischung aus Scham und Schuldgefühlen. Viele Frauen, die ich anfrage, sagen: "Meine Geschichte ist doch gar nicht besonders, ich habe großes Glück gehabt, ich bin ja in Sicherheit. Und ich schäme mich, weil mein Mann und meine Eltern noch in der Ukraine sind.“

Flucht hat für viele mit Wegrennen, mit Schwäche zu tun. Es ist krass für die Frauen, in einem Land zu sein, wo der Alltag einfach weitergeht – wo die Menschen in Straßencafés Cappuccino trinken, während in ihrem Land alles kaputtgeht.

Erst im Gespräch wird vielen Frauen bewusst, wie stark sie sind, und dass sie über sich hinauswachsen.

Hatten manche Frauen auch positive Erlebnisse?

Anzhelika Nizamova etwa hat ihr ganzes Leben in der Ukraine verbracht. Sie konnte keine Fremdsprachen und musste jetzt gezwungenermaßen raus in die Welt. Ihre Kinder haben sie einfach mitgenommen. Und dann war sie überwältigt, wie schön die Alpen sind! Sie sagte, ihr ganzes Weltbild sei auf den Kopf gestellt worden. Sie kommt aus einem Kriegsgebiet, aber betont: "Die Welt ist schön und positiv, ich habe von den Helfer:innen so viel Wohlwollen:innen erfahren." Besonders berührt hat mich, als sie während unseres Gesprächs ihrer Tochter eine Liebeserklärung machte. Sie schaute ihr Kind an und sagte: "Ich bin so stolz auf dich, du gibst mir alles zurück, was ich in dich investiert habe, alle Liebe, die ich dir gegeben habe."

Info: Auf dem Blog "Frauen auf der Flucht" könnt ihr alle Geschichten nachlesen, Bilder und Zitate findet ihr auch unter instagram.com/frauenaufderflucht/

Brigitte

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