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Väterrechtsbewegung Sind die Kinder nicht besser beim Vater aufgehoben?

Väterrechtsbewegung: Kleines Mädchen hält ausgeschnittene Papierfiguren in der Hand
© ronstik / Adobe Stock
Das mag eine berechtigte Frage sein. Doch die selbsternannte "Väterrechtsbewegung" geht bei Sorgerechtsprozessen teils rabiat vor. Ihr Ziel: Zurück zu einem extrem konservativen Familienbild. Wie groß ist ihr Einfluss auf Justiz und Politik?

BRIGITTE: Väterrechtler – das klingt sympa­thisch, nach liebevollen Männern, die für Gleichstellung eintreten. Frau Keller, Sie sind Investigativreporterin, für das gemeinnützige Recher­chezentrum "Correctiv" haben Sie sich die Szene in den letzten Mona­ten intensiv angeschaut. Und festgestellt: Unter dem Deckmantel der Gleichberechti­gung soll es dort um Macht, Kon­trolle, sogar die Verharmlosung von Gewalt gehen. Wie kommen Sie zu dieser Beurteilung?

GABRIELA KELLER: Es begann mit einer Recherche zum Thema Fußballerfrauen. Mehrere Ex-Partnerinnen von Bundesligaprofis haben meinen Kolleg:innen und mir erzählt, dass sie sich nach gewaltvollen Trennungen von Familiengerichten im Stich gelassen fühlten. Das uns bekannte Muster war immer dasselbe: Erhob die Frau den Vorwurf, der Mann sei gewalttätig gegen sie geworden, geriet sie vor Gericht in die Defensive.

Wieso das?

Die Anwält:innen der Väter argumentierten oft so: Die Mutter manipuliere die Kinder und entfremde sie dem Vater. Das wird von den Gerichten dann häufig als Kindeswohlgefährdung interpretiert. Und sofort steht die Frage im Raum: Sind die Kinder nicht besser beim Vater aufgehoben? Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass es Sorgerechtsprozesse gibt, in denen Väter zu Unrecht beschuldigt werden. Aber wir haben uns Fälle angeschaut, in denen alles gegen diese Interpretation sprach.

Zum Beispiel?

Den Fall der Ex-Partnerin von Jérôme Boateng. Sie darf ihre gemeinsamen Kinder nur unter Aufsicht treffen, nachdem sie vor Gericht ausgesagt hatte, dass die Kinder von Gewalt in seinem Haus berichtet hätten. Dabei ist Boateng in zweiter Instanz wegen Körperverletzung verurteilt. Er selbst bestreitet nach wie vor die Vorwürfe, hat auch Revision* eingelegt. Am Anfang dachten wir, diese Entscheidungen hätten mit dem Promistatus der Väter zu tun. Aber dann stellten wir fest: Das passiert auch bei Trennungen, bei denen niemand im Rampenlicht steht.

Könnten das nicht einzelne Fehl­urteile sein?

Zur Häufigkeit können wir nichts Verlässliches sagen. Gerichte gewähren meist keine Akteneinsicht, da Familiengerichtsprozesse besonders geschützt sind. Statistiken zu dem Thema gibt es nicht. Natürlich sind die Rollen von Täter – oder Täterin – und Opfer nicht immer klar verteilt, und ja: Es gibt Frauen, die Väter nach einer Trennung am liebsten auch aus dem Leben ihrer Kinder streichen würden. Aber wir haben intensiv recherchiert, mit vielen Anwältinnen, Rechtswissenschaftlern, Menschen mit Expertise in Familienpolitik und Soziologie gesprochen und uns mehr als zehn strittige Prozesse in allen Einzelheiten angeschaut. Inzwischen kommen wir zu der Beurteilung: Es gibt eine organisierte Lobby, eben die "Väterrechtler", die Einfluss auf Richter:innen und Verfahrungsbeistände zu haben scheinen. Entscheidungen, die Mütter krass benachteiligen, sind wohl kein Zufall. 

Das ist ein harter Vorwurf. Wie soll eine solche Einflussnahme denn konkret aussehen?

Die Väterrechtlerszene ist ein schwer durchschaubares Netz, das von einem kleinen Kern aus Akteuren geknüpft wird, die aber oft den Anspruch erheben, für "die Väter" zu sprechen. Es gibt Überschneidungen zur Szene der "Maskulinisten", also der Männerrechtler, die Männer prinzipiell für das unterdrückte Geschlecht halten – Gruppen mit Namen wie "Manndat" und "Agens". Man trifft sich auf Konferenzen, schreibt Thesenpapiere – und gibt eben auch Workshops für Väter und Verfahrensbeistände, die in Sorgerechtsprozessen Richter:innen bei der Entscheidungsfindung unterstützen.

Merken die Jurist:innen nicht, wenn ihre Entscheidungen so klar in eine bestimmte Richtung gelenkt werden? 

Es gibt Familiengerichte, an denen ist der Umgang mit häuslicher Gewalt vorbildlich. Anderswo mangelt es aber teils an grundlegendem Fachwissen – das sagen viele Rechtsexpert:innen. Und die Väterrechtler agieren geschickt. Sie stellen nicht sich selbst in den Mittelpunkt, sondern die vorgeblichen Bedürfnisse der Kinder. Sie argumentieren regelmäßig, dass ein Abbruch der Beziehung zum Kind für das Kind stets schädlich ist. Frauen, die sich und ihre Kinder vor Gewalt schützen wollen, werden oft als "bindungsintolerant" bezeichnet, teils wird ihnen "Entfremdung" vorgeworfen. Das klingt nach wissenschaftlichen Begriffen, obwohl sie in keinem Diagnosekatalog auftauchen.

Und in der Öffentlichkeit kommen sie auch damit durch?

Ja, auch da trommeln sie viel, sie sind gut vernetzt. Wenn in einem Medium wie der "Zeit" oder im ZDF Beiträge über Benachteiligung von Müttern erscheinen, machen sofort Links und Aufrufe zum Kommentieren auf Social Media die Runde – teils auch ganz offen und schon mit Muster-Leserbriefen. Das merken auch wir als Investigativreporter:innen, weil wir bei solchen Themen plötzlich häufiger Kommentare von Leuten bekommen, die unsere Themen sonst nicht zur Kenntnis nehmen. Weil sie über viele eigene Kanäle verfügen, fällt es den "Väterrechtlern" zudem leicht, Shitstorms zu entfachen. Aktivistinnen  schilderten uns, teils bis ins Privatleben verfolgt und eingeschüchtert zu werden. 

Wenn diese Gruppen so aggressiv vorgehen, müssten nicht Jurist:innen oder Väter, die Rat suchen, merken, auf wen sie sich da einlassen?

Nicht auf den ersten Blick. Nach außen geben sie sich meist nur ums Kindeswohl besorgt. Und die Namen der Organisationen, die sie gegründet haben, klingen oft anschlussfähig wie "Forum Soziale Inklusion" oder "International Council on Shared Parenting". Schaut man sich die Positionen der "Väterrechtler" aber genauer an, fällt auf: Es geht kaum um Rechte in bestehenden Beziehungen, etwa eine Arbeitsfreistellung nach der Geburt für Väter oder Teilzeit für Väter. Auch nicht um Familien außerhalb des traditionellen Rahmens, Patchworkfamilien, queere Eltern. Im Mittelpunkt stehen die biologische Kernfamilie – Vater, Mutter, Kind – und, nach unserer Einschätzung, auch die Frage nach Macht und Kontrolle. Vor diesem Hintergrund wird auch auf das Wechselmodell gepocht, also: die Doppelresidenz von Kindern, als Standard nach Trennungen.

Wieso wäre das problematisch?

Das Wechselmodell kann eine gute Lösung sein, wenn die Kommunikation zwischen den Eltern gut funktioniert und es eine Beziehung auf Augenhöhe ist. Aber eben nicht als Schablone, die auch gegen den Willen von Müttern und Kindern durchgesetzt wird, sogar wenn Gewalt im Spiel ist. Im Zusammenhang mit anderen Forderungen wird deutlich: Hier wird etwas, das nach Gleichberechtigung klingt, genutzt, um die Selbstbestimmungsrechte von Frauen einzuschränken. Einige machen auch Stimmung gegen Frauenhäuser, manche fordern, dass "elterliche Entfremdung" Straftatbestand wird. Übrigens sind auch Frauen in der Väterrechtsbewegung aktiv – etwa Juristinnen, die das Familien- und Geschlechterbild teilen. 

Reicht ihr Einfluss auch bis in die Politik?

Ja, nachweislich hat die Szene gute Kontakte zur AfD, auch in die FDP. Da gab und gibt es personelle Überschneidungen, Austausch, Gespräche, Schriftverkehr, der uns vorliegt, Treffen im FDP-geführten Bundesjustizministerium, mit denen sich die "Väterrechtler" auch auf Facebook brüsten. Es fällt aktuell auch auf, dass der Entwurf zum neuen Unterhaltsrecht die Handschrift von Väterrechtlergruppen trägt. Dieser Entwurf begünstigt Väter finanziell, während sich für Mütter das Armutsrisiko erhöht, und er deckt sich teils mit den Forderungen aus Thesenpapieren von "Väterrechtlern", die wir in den Ministeriumsakten einsehen konnten. 

Sie wollen jetzt aber nicht behaup­ten, Justizminister Marco Buschmann sei ein verkappter Väterrechtler? 

Nein, sicher nicht. Über die Unterhaltsrechtsreform kann man ja streiten, teils gehen die Forderungen der Väterrechtler-Gruppen viel weiter, und die bekommen sie nicht durch. Unser Eindruck ist eher: Die Ministeriumsspitze will es sich nicht mit Gruppen in der eigenen Partei verderben, etwa den "Liberalen Männern", einem Zusammenschluss von FDP-Mitgliedern und FDP-nahen Personen, die zum Teil Verbindung zu Väterrechtlern haben. Man fasst das Thema daher kaum an und macht ab und an Zugeständnisse. Auffällig ist zudem: Wenn es um den Schutz von Frauen und Kindern geht, ist die aktuelle Regierungskoalition erstaunlich tatenlos. 

Nämlich?

Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es: Der Gewaltschutz vor Gericht sei zu stärken, im Umgangsverfahren sei zwingend zu berücksichtigen, wenn häusliche Gewalt festgestellt wird. Zudem hat Deutschland 2017 die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung häuslicher Gewalt ratifiziert. Wenn nun einseitig die Forderungen von Väterrechtlern berücksichtigt werden, dann verstoßen Politik und Justiz damit gegen ihre eigenen Ziele und Vorgaben. Das muss sich dringend ändern.

Wer steckt hinter der Recherche zur "Väterrechtsbewegung"?

"Correctiv", 2014 gegründet, ist ein gemeinnütziges Medienunternehmen, finanziert durch Spenden und Stiftungen wie die Schöpflin Stiftung. Das Team recherchiert zu Themen wie Machtmissbrauch und Korruption, die Ergebnisse werden kostenlos im Netz veröffentlicht. Gabriela Keller arbeitet seit 2020 für "Correctiv", vorher war sie u.a. freie Nahost-Korrespondentin. Die Väterrechtler- Recherche findet man unter: correctiv.org/vaeterrechtler

*Hinweis der Redaktion: Am 21.9. (zwei Wochen nach Redaktionsschluss für diesen Artikel, der aus der BRIGITTE #21 stammt) wurde das letzte Urteil gegen Boateng vom Bayerischen Obersten Landgericht wegen eines Fehlers des zuständigen Richters im Berufungsprozess aufgehoben. Der Prozess wird nun am Landgericht neu aufgerollt.

Brigitte

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