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Vanessa Nakate "Nennt mich nicht die Greta Afrikas"

Vanessa Nakate: Klimakämpferin Vanessa
© Verena Berg / Brigitte
"Diese Vergleiche löschen meine Identität aus", sagt die ugandische Klimakämpferin Vanessa Nakate. Damit hat sie Erfahrung, seit sie aus einem Foto mit weißen Aktivistinnen herausgeschnitten wurde.

Als Vanessa Nakate am 6. Januar 2019 zum ersten Mal mit einem selbst gemalten "Klimastreik jetzt"-Schild auf einem Marktplatz in Ugandas Hauptstadt Kampala stand, war sie so nervös, dass sie ihre Beine nicht mehr spürte. Klimastreik – in Europa war das ein freitägliches Ritual, mit Greta Thunberg als Symbolfigur. Eltern, Lehrende und Behörden drückten ein Auge zu, die Politik zollte Respekt.

Für Vanessa Nakate, die mit zwei Cousinen und ihren zwei Brüdern auf dem Marktplatz stand, war ihr erster Klimastreik – der erste überhaupt in ihrem Land – dagegen ein Risiko. Sie wusste nicht, ob man sie nicht festnehmen würde, in Uganda geht die Polizei immer wieder massiv gegen aufkeimende Aufstände und Versammlungen vor. Und überhaupt gehört es sich nach gängiger Landessitte nicht für eine junge Frau, an Straßenecken zu stehen, schon gar nicht mit einem Protestschild in der Hand. Sie rechnete mit allem, Haft, Anmache, übler Nachrede. Sie nahm viel auf sich an diesem Morgen. Aber sie fand: Es muss sein, eine muss den Anfang machen.

Vanessa Nakate: Klimaktivistin Vanessa Nakate
Besuch in Berlin Vanessa Nakate findet, Deutschland ist so mächtig, es müsse beim Klima mit gutem Beispiel vorangehen.
© Verena Berg / Brigitte

Es braucht ein bisschen, bis man in Vanessa Nakate, 25, diese taffe junge Frau erkennt. Erst mal wirkt sie vor allem schüchtern. Wir treffen uns in einem Berliner Biohotel, in dem sie für ein paar Tage wohnt; sie ist nach Europa gekommen, um sich mit Klimaaktivist*innen zu vernetzen und ihr Buch "Unser Haus steht längst in Flammen" (Rowohlt Polaris), das sie über Afrika und die Klimakrise geschrieben hat, vorzustellen. Ein paar Tage zuvor war sie beim Braunkohletagebau in Garzweiler, demonstrierte gemeinsam mit Fridays for Future in einem Dorf, das für den Tagebau weichen soll, trug dabei ein Shirt mit der Aufschrift: Kohle kann man nicht essen. Davor hatte sie beim Jugendklimagipfel in Mailand gesprochen, der den COP 26-Gipfel in Glasgow vorbereiten sollte, und gemeinsam mit Greta Thunberg den Protestmarsch angeführt.

Abwartend sitzt sie da, behält zunächst ihren Trenchcoat an, obwohl es warm ist im Raum, antwortet aber offen, mit vermittelndem Lächeln, auch wenn man merkt, dass sie den Blick lieber senken würde. Sie spricht ihre Schüchternheit von sich aus an, erzählt, dass sie oft nicht wisse, wie sie mit Leuten ins Gespräch kommen solle. "Das irritiert viele, sie sprechen mich dann lieber auch nicht an." Freund*innen würden manch-mal fragen, wie sie es schaffe, trotzdem auf großen Konferenzen aufzutreten. Sie sagt ihnen dann: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Früher, bei Gruppenreferaten in der Schule, stand sie lieber ganz hinten, und wenn sie dran war, hat das Blatt in ihren Händen gezittert.

Es war ein weiter Weg von der Straßenecke in Kampala auf die Klimakonferenz in Glasgow; von der scheuen Schülerin zur weltweit gehörten Aktivistin. Dass sie ihn in nicht mal drei Jahren schaffte, hat viel mit ihrer Entschlossenheit zu tun, die Dinge nicht auf sich beruhen zu lassen und, wenn nötig, dafür über ihre Grenzen zu gehen.

Eine muss den Anfang machen.

Vanessa Nakate kommt aus Kampala, die Eltern besitzen einen Batteriehandel, sie hilft im Laden mit, seit sie 12 ist. Sie hat BWL studiert, wollte ins Marketing, aber dann kam die Klima-Sache. Wie die meisten Menschen in Uganda hatte sie lange nichts über das Ausmaß der Klimakrise gewusst. Ein "Problem in der Zukunft", hatte ihr Geografie-Lehrer die Erderwärmung genannt, und dass die Folgen Afrika nicht betreffen würden. Aber dann sah sie auf ihren Social- Media-Kanälen immer häufiger Bilder von Dürren und massiven Überflutungen in Ostafrika, von ruinierten Ernten, weggespülten Häusern; in Kenia etwa verloren 2018 rund 200 000 Menschen ihren gesamten Besitz. "Im Fernsehen sprachen sie immer nur von Extremwetter, nie vom Klimawandel", sagt Nakate. "Ein Onkel sagte mir: Die meisten Farmer wissen, dass mit dem Wetter etwas ganz Grundlegendes nicht stimmt, aber sie wissen nicht was."

Ja, eine andere Welt ist möglich, wenn man zusammenhält.

Das Thema ließ sie nicht mehr los. Sie las mehr dazu, erfuhr von den Pariser Klimazielen und dass sie eigentlich schon nicht mehr einhaltbar waren. Stieß auf das globale Ungleichgewicht zwischen den Hauptverursachern des Klimawandels und denen, die die Hauptlast tragen. "Wenn die Erderwärmung nur um zwei Grad steigt, heißt das für uns, dass Millionen ihre Heimat verlieren", sagt sie. Darum begann sie mit ihren Streiks: um die Menschen in ihrem Land aufzuklären – "denn nur wer Bescheid weiß, kann Regierungen wählen, die etwas verändern" – und die Welt über das, was die Industrieländer mit ihrem Lebensstil dem Süden antun.

So fing alles an 

Die Fotos ihres ersten Protestes verlinkte sie mit #FridaysForFuture; Greta Thunberg teilte sie. Am nächsten Morgen hatte Nakate Nachrichten aus aller Welt. "Das war der Anfang", sagt sie. "Ich dachte: Ja, eine andere Welt ist möglich, wenn man zusammenhält."

Sie ging weiter mit ihren Schildern auf die Straße, immer an andere Ecken der Stadt, in so kleinem Rahmen, dass die Polizei sie nicht beachtete. Auf Schulstreiks verzichtete sie, denn zur Schule zu gehen ist in Uganda ein Privileg, das man nicht aufs Spiel setzt. Stattdessen gründete sie "Youth for Future Africa", eine Organisation, die Kindern früh Umweltverantwortung beibringen will.

Vor allem aber agierte sie auf Social Media, vernetzte sich mit Aktivist*innen weltweit, twitterte, teilte, bekam Einladungen von NGOs zu Klimakonferenzen, flog nach New York, ohne warme Jacke und nur mit ein paar Dollar in der Tasche. Und hatte das Gefühl, als Vertreterin eines Kontinents eingeladen worden zu sein, nicht aber, weil man ihrer Stimme Gewicht beimaß. Manchmal empfand sie in allem Trubel eine bodenlose Einsamkeit, schwankte zwischen dem Wunsch sich zu äußern und lieber doch nicht in der ersten Reihe zu stehen. Manchmal bekam sie solche Kopfschmerzen, dass sie sich eine Weile zurückziehen musste.

Einen ganzen Kontinent einfach ausradiert

Anfang 2020 war Nakate in Davos, beim Weltwirtschaftsforum, ein Jahr nach ihrem ersten Streik. Ein AP-Fotograf nahm sie mit vier Klimaaktivistinnen aus Europa auf, eine davon Greta Thunberg, mit ihr hatte sie gerade eine Pressekonferenz gegeben. Als das Bild erschien, sah man von Nakate nur noch ein Stück ihres Mantels. Der Fotograf hatte sie herausgeschnitten – des Bildaufbaus wegen, ohne Ansehen der Person, wie die Agentur später erklärte.

Nakate war fassungslos. "Heißt das, dass die Bevölkerung Afrikas generell nicht von Bedeutung ist?", fragte sie in einem Video unter Tränen und erklärte, sie verstehe nun zum ersten Mal "die Definition des Wortes Rassismus". Ihr Post dazu ging um die Welt: Man habe mit ihr einen ganzen Kontinent eliminiert, aber sie sei stärker denn je.

Es fühlt sich nicht gut an, das Mädchen zu sein, das herausgeschnitten wurde.

Dieses Foto ist in ihrem Kampf die stärkste Waffe, weil es vor Augen führt, dass Europa den globalen Süden nur wahrnimmt, wenn er ins Bild passt. Und es ist ihre größte Kränkung – die einer jungen Frau, die so hart an sich gearbeitet hat, um sich zu trauen, sichtbar zu werden, und dann stößt ein Foto sie zurück in die hinterste Reihe. Sie redet nicht gern darüber, "es reißt die Wunde jedes Mal wieder auf", sagt sie. "Es fühlt sich nicht gut an, das Mädchen zu sein, das herausgeschnitten wurde."

Das Foto hat sie berühmt gemacht, manche Medien nennen sie jetzt die "Greta Afrikas". Sie mag das nicht, "es löscht meine Identität", sagt sie. "Ich stehe auch nicht für Afrika, allenfalls für Uganda, aber es gibt auch dort viele, die sich engagieren." Wenn man sie Greta nennt, sagt sie: Ich bin Vanessa aus Uganda. Zugleich hat Davos ihren Standpunkt geschärft, lässt sie jetzt radikaler denken. Klimagerechtigkeit, das ist ihr Maßstab, und ihn anzulegen fordert sie von allen Akteur*innen ein. Man merkt, wie viel lieber sie darüber spricht als über sich selbst, viel lebendiger wirkt sie, expliziter. Der globale Norden müsse endlich Verantwortung übernehmen, sagt sie, nicht durch Bäumepflanzen, das oft nur eine Rechtfertigung dafür sei, den Indigenen das Land zu stehlen. "Wir müssen die ganze Klimabewegung entkolonialisieren, der Maßstab muss sein: Was bedeuten grüne Technologien für die Menschen, die die Rohstoffe liefern? Fördern sie Kinderarbeit? Gewalt gegen Frauen? Es gibt nichts abzuwägen, wenn Menschen ausgebeutet werden, damit man im globalen Norden E-Autos fahren kann."

Wenn man nach dem Gespräch auf die Straße tritt und zur U-Bahn läuft, vorbei an den Ladestationen, den E- und Sharing-Autos, dem ganzen grünen Lifestyle, dann spürt man, dass sich die Wahrnehmung ein bisschen verschoben hat, der Blick von innen nach außen wandert. Vanessa Nakate würde sagen: Ein Anfang ist gemacht.

Eine, die handelt

Vanessa Nakate, 25, wuchs in Kampala auf, als älteste von fünf Geschwistern. Sie gründete mehrere Jugendorganisationen, klärt in Schulen über den Klimawandel auf und kämpft für den Erhalt des Regenwaldes im Kongo. Die BBC setzte sie 2020 auf ihre Liste der 100 bemerkenswertesten Frauen. Sie lebt bei ihren Eltern in Kampala.

Und wie wird man Aktivistin?

Und vor allem: Wie hält man das durch? "Unser Haus steht längst in Flammen" ist eine Mischung aus Streitschrift und Biografie. Vanessa Nakate erzählt von ihrem Weg und stellt Forderungen zu mehr Klima- und Geschlechtergerechtigkeit. Lebhaft, ehrlich und kontrovers; ein Buch, das den Blick auf das Klima-Thema schärft und weitet (240 S., 16 Euro, Rowohlt Polaris)

Brigitte

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