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Heul doch!

Er sollte alles für uns sein. Er sollte Geld bringen und Erfüllung, Spaß, Sinn und überhaupt: unser Beruf. Aber jetzt ist leider gerade nicht die Zeit für Jobträume. Ist es schlimm, wenn die Selbstverwirklichung mal Pause machen muss?

Gequengel, wohin man blickt. Alle reden nur über das eine - die Krise. Wer betroffen ist, schüttet Frust aus: die Medizinerin, die Buchautorin und der Unternehmensberater. Nicht weil sie ihren Job verloren haben. Sondern weil ihnen etwas fehlt. Die Erfüllung, der Spaß. Vor ein paar Monaten hätte man Verständnis gehabt. Bei stundenlangen Gesprächen beim Rotwein überlegt, was zu ändern wäre. Vielleicht ein neuer Job. Eine Geschäftsidee. Oder auswandern. Aber jetzt, da draußen im Wirtschaftsleben der Wind härter weht, wird alles anders. Die Möglichkeiten. Und das Verständnis für Leute, die über ihre Jobs jammern.

50 000 Arbeitsplätze, die weltweit an einem einzigen Tag vernichtet werden, 500 Milliarden Euro neue Schulden. Das sind die Fakten, draußen, in der Wirtschaftswelt. Aber da gibt es noch die andere Krise, eine innere, im ganz privaten Arbeitsuniversum: Der Deutsche Gewerkschaftsbund untersuchte im vergangenen Jahr, wie zufrieden die Deutschen mit ihrer Arbeit sind. Das Ergebnis: Von 40 Millionen berufstätigen Menschen mögen 87 Prozent den eigenen Job nicht besonders. "Die Un-Arbeitslosen sind die eigentlichen Frustrierten!", schreiben Volker Kitz und Manuel Tusch in ihrem "Frustjobkillerbuch".

Der Frust trifft vor allem die, denen es scheinbar doch gut geht. Hervorragend ausgebildete, hoch bezahlte Genforscherinnen und Computerfachmänner, Ingenieurinnen und Lehrer lamentieren am Abend in der Bar: "Das hatte ich mir vor fünf Jahren aber anders vorgestellt. Alles Routine. Wo bleibe ich? Meine gestalterischen Möglichkeiten? Der Spaß?" Das beruflich selbstverwirklichte Ich gehört seit den 90ern zu den quasi inoffiziell verbrieften Arbeitnehmerrechten. Gut behütete Akademikerkinder verließen die Schule, um an den Unis dieser Welt zu studieren. Aufgewachsen in Wohlstand, mit Eltern, die ihren Kindern alles ermöglichen wollten und konnten, empfanden sie das Leben vor allem als sportlichen Wettkampf mit den Möglichkeiten: Es sollte perfekt sein. Erfüllte Liebe. Und natürlich der perfekte Job. Genau das zu tun, was zu einem passte - wofür man Talent besaß, worauf man Lust hatte und womit man Jahre später beim Klassentreffen am besten auch noch Eindruck schinden konnte - das war und ist eines der Jobauswahlkriterien schlechthin. Berufliche Kompromisse eingehen? Niemals!

Also wurden alle Optionen sondiert, die sich auf dem Weg ins Berufsleben irgendwie boten: Stipendien, Auslandsaufenthalte, Praktika, ein weiteres Studium. Und wer danach nur eine "Arbeit" und keinen "Beruf" bekam, der hatte definitiv etwas falsch gemacht. Sich in seinem Job verwirklichen zu können, ist ein wertvolles und wichtiges Privileg der Generation Golf. Krisensicher ist es allerdings nicht.

Geben Sie mal in einer Runde von Mittdreißigern auf einer Party offen zu, dass Sie Ihren Job vor allem als Brotjob sehen, der Ihre Familie und Sie ernährt, und dass Sie die ständige Suche nach dem beruflichen G-Punkt gerade nicht ganz zeitgemäß finden ... Mag da draußen Krise sein, die meisten von uns kreisen lieber um sich selbst wie der Schrott im All um die Erde. Bin ich glücklich? Erfüllt meine Arbeit mich? Aber was ist eigentlich ein erfüllter Job? Ist das nicht auch einer, der einen in guten Zeiten emotional so nährt und anfüllt, dass man ein Polster hat, um schlechtere Zeiten durchzustehen? Der Phasen der Routine hat, die einem Zeit gibt für andere, private Dinge? Phasen, in denen wir auch mal Dinge tun müssen, die wir nicht so gern tun, um dann wieder mit voller Leidenschaft in ein neues Projekt durchzustarten? Wir sollten der Realität einfach ein bisschen mehr die Hand reichen.

Einfach mal arbeiten. Vielleicht wäre das eine Lösung, wenigstens für eine Weile. Erwachsensein bedeutet schließlich auch, die Zähne zusammenzubeißen und schlechte Phasen durchzustehen. Auch ich mag manchmal nicht, was ich mache. Dann halte ich meine Arbeit für belanglos, albern oder schlimmstenfalls überflüssig. Dann ärgere ich mich, dass ich vor 14 Jahren nicht zum Medizinertest gegangen bin und jetzt nicht als Ärztin im Kongo arbeite. Dann sehe ich das Loch im Schuh meines Sohnes, die ausstehende Überweisung für die Wartung der Gastherme und denke: "Das ist dein Leben jetzt und hier. Du hast das so gewollt. Also weitermachen. Hilft ja nix." Das mag preußisch klingen, aber auf der Glatze Locken drehen, hat noch nie funktioniert.

Und mal ganz abgesehen von der Wirtschaftskrise: Wer sagt überhaupt, dass es in einem anderen Job, in einer anderen Firma auf Dauer besser wäre? Die Autoren Volker Kitz und Manuel Tusch stellen sogar die Behauptung auf, dass der Beruf, den man gerade ausübt "der Beste ist, den man bekommen konnte und dass es völlig egal ist, für wen wir arbeiten. Irgendwann wird eben alles zur Routine.

Das eigentliche Problem ist doch die falsche Erwartung: Wir wollen alles von unserem Job, er soll uns glücklich machen, erfüllen, fordern, das Konto füllen. Nur: Das funktioniert nicht - genauso wenig, wie ein einziger Mensch alle Bedürfnisse erfüllen kann, die wir so haben. Auch in Beziehungen gibt's Durststrecken, Zeiten, in denen es mal nicht so läuft. Wechseln wir deshalb sofort den Partner aus und zweifeln an unserem Lebenssinn? Nein.

Das Café, das wir vielleicht irgendwann noch mal eröffnen wollen, kann ja ruhig im Hinterkopf bleiben. Das Sabbatical muss man nicht ein für alle Mal abschreiben und die Frage nach einer sinnstiftenderen Arbeit nicht für immer vergessen. Aber ein erfüllender Job ist auch einer, den man mal eine Zeit lang unter nicht so guten Bedingungen machen kann. Also: ran an die Arbeit.

Buchtipp: Volker Kitz, Manuel Tusch, "Das Frustjobkillerbuch ", 254 S., 19,90 Euro, Campus-Verlag

Wollen wir zu viel vom Job?

Erfüllung: Fast alle befragten Männer und Frauen sind der Meinung, dass ein Job kein Wunschkonzert sei - man müsse auch zurückstecken und Dinge tun, die einem nicht so gut gefallen.

Sicherheit: Mehr als zwei Drittel aller Befragten sagen, dass ihnen Routine im Job wichtig ist, weil sie ihnen Sicherheit gibt.

Geld: Ums pure Geldverdienen geht es bei den Männern einem guten Drittel, die Frauen gehen den Job idealistischer an: Hier sagen 22 Prozent, der Job sei nur fürs Materielle da.

Liebe: Mehr als die Hälfte der Frauen (53 Prozent) sagt: Mein Job ist genauso wichtig wie meine Beziehung. Bei den Männern sind es nur 43 Prozent. Jede dritte Frau fände einen Jobverlust deshalb auch schlimmer als ein Beziehungsende.

Familie: Immerhin 17 Prozent der befragten Männer meinen, Frauen sollten Erfüllung lieber in der Familie als im Job suchen. Allerdings teilen gerade einmal 9 Prozent der Frauen diese Ansicht.

Eigenständig: 91 Prozent aller Befragten sagen: Finanzielle Unabhängigkeit ist mir sehr wichtig - Männer und Frauen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht.

Quelle: Forsa, April 2009

Text: Merle Wuttke Ein Artikel aus der BRIGITTE BALANCE 02/09

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