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Wie Pendeln die Beziehung belastet

Diplom-Psychologin Ruth Limmer von der Universität Bamberg hat untersucht, wie sich berufliche Mobilität auf Partnerschaft und Familie auswirkt.

BRIGITTE: Wer in Zeiten der Globalisierung erfolgreich sein will, muss mobil und flexibel sein, fordern Politiker und Arbeitgeber.

Ruth Limmer: Das Problem ist, dass der Begriff Mobilität zu einem modernen Mythos geworden ist, der von vornherein besonders positiv klingt. Wir haben uns dafür interessiert, wie es den betroffenen Menschen dabei wirklich geht. Denn die Folgen sind teilweise sehr negativ, zumindest ambivalent. Und wurden bislang kaum berücksichtigt und untersucht.

Wie viele Menschen sind denn betroffen?

Unter den Erwerbstätigen zwischen 25 und 55 Jahren, die in einer Partnerschaft oder Familie leben, ist jeder sechste beruflich mobil. Wir gehen jedoch davon aus, dass der Anteil in den nächsten Jahren stark steigen wird. Neu ist auch, dass immer mehr Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen dazu zählen, nicht wie früher hauptsächlich die Führungskräfte oder spezielle Gruppen wie Vertreter.

Geht es allen Betroffenen schlecht?

Nicht unbedingt. Aber zwei Drittel der Befragten fühlen sich immens belastet. Am meisten leiden die Fernpendler, die jeden Tag mit dem Auto oder dem Zug zwei, drei Stunden zum Arbeitsplatz fahren, 40 Prozent sind insgesamt sogar mehr als vier Stunden unterwegs. Nicht viel besser dran sind diejenigen, die nur am Wochenende nach Hause kommen und während der Woche am Arbeitsort ein kleines Zimmer gemietet haben. Oder auch Manager, Flugpersonal, Geschäftsreisende, die oft mehrere Wochen von zu Hause weg sind. Relativ gut klar kommen diejenigen, die zwei getrennte Haushalte in verschiedenen Städten haben und sich wechselseitig besuchen. Und am besten geht es den Paaren, die aus beruflichen Gründen gemeinsam umgezogen sind. Die profitieren sogar häufig davon.

Worüber klagen die Pendler?

Zum Beispiel darüber, dass sie kaum Zeit für Kontakte zu Freunden und Kollegen haben. Alles konzentriert sich auf den Partner, die Partnerin. Wenn der Mann pendelt, entsteht oft die klassische Rollenaufteilung, obwohl das gar nicht beabsichtigt war. Die Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder, verzichten auf eine Karriere.

Und wenn der Mann am Ort bleibt ...

... machen die Frauen dennoch eine Menge im Haushalt, kochen beispielsweise im Voraus. Jede sechste unter den Wochenend-Pendlerinnen fühlt sich total überfordert.

Und die Kinder?

Finden das alles natürlich nicht so klasse, vor allem, wenn sie noch klein sind. Erziehungsprobleme können entstehen. So berichtet ein Vater, dass er sich manchmal fremd in der eigenen Familie fühlt: "Meine Tochter gibt mir zu verstehen, dass ich hier quasi nur zu Besuch bin und nichts verbieten kann."

Verzichten manche Paare deshalb ganz auf Kinder?

Bei den Männern wird die Familiengründung nur hinausgeschoben, die Mehrheit der mobilen Frauen dagegen realisiert den Kinderwunsch wahrscheinlich nie. Drei von vier Wochenend-Pendlerinnen - im Durchschnitt immerhin 36 Jahre alt - sind kinderlos. Und zwar nicht, weil sie sich von vornherein für die Karriere und gegen eine Familie entschieden haben. Sie stellen einfach irgendwann fest, dass der Stress so groß ist, dass es nicht geht.

Gibt es häufig Trennungen?

Vor allem bei Pendlern haben wir ein höheres Risiko festgestellt, dass die Partnerschaft auseinander geht. Und Befragte aus allen Gruppen berichten, dass vieles auf der Strecke bleibt, was mal in Ruhe besprochen werden müsste. Die Angst, dass man sich auseinander lebt, ist da.

Welche Perspektiven sehen die Paare?

60 Prozent der Wochenend-Pendler und sogar 80 Prozent der Menschen mit Fernbeziehungen würden diese Situation gern beenden. Das klappt aber oft nicht. Schließlich hat sich nur ein Drittel davon aus freien Stücken zu dieser Lebensform entschieden; die anderen haben keine andere Arbeit gefunden oder Angst davor, den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie sich nicht darauf einlassen.

Wie ließe sich die Situation der Betroffenen verbessern?

Es müsste zum Beispiel möglich sein, dass sie ein oder zwei Tage pro Woche zu Hause arbeiten. Wenn das nicht geht, könnten sie Überstunden ansammeln und dann einen Montag oder Freitag für die Familie frei bekommen oder Zuschüsse zu Heimreisen. Studien aus den USA, wo den Menschen ja schon viel länger diese Lebensform abverlangt wird, belegen: Auch die Firmen profitieren davon - durch mehr Loyalität der Mitarbeiter.

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Die Studie "Berufsmobilität und Lebensform" im Auftrag des Bundesfamilienministeriums und des Bayerischen Familienministeriums wurde von Wissenschaftlern der Universität Mainz und Bamberg erarbeitet. Unter der Leitung von Professor Norbert Schneider wurden 900 Interviews mit mobilen Berufstätigen und ihren Partnern durchgeführt. Die Hälfte der Paare hatte Kinder.

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