"Ich habe keine guten Nachrichten. Sie haben Brustkrebs."
Das kann man schon als schlechte Nachricht bezeichnen. Es traf mich total unvorbereitet. Eine Zufallsdiagnose. Mit meinen 22 Jahren ging ich bislang jeden Arztbesuch ganz entspannt an, ohne auch nur daran zu denken, ich könnte einmal wirklich krank sein. So auch den harmlosen Routinebesuch bei meinem Gynäkologen, der sich dann doch als nicht ganz so harmlos entpuppte. Spätestens als die Ergebnisse der Stanzbiopsie vorlagen und ich meine schlechten Nachrichten erhielt, bekam ich die Realitätskeule mit voller Wucht über den Kopf gezogen. In meiner rechten Brust hatten sich zwei bösartige Karzinome hinter einem ausgedehnten Areal einer Krebsvorstufe versteckt. Shit happens.
Meine erste Reaktion war ein sehr unfeines Wort. Meine Mutter war bei mir, als ich die Diagnose erhielt. Darüber war und bin ich sehr froh. Ich hätte den Termin wahrscheinlich irgendwie auch allein überstanden. Aber so musste ich es ihr nicht selbst sagen. Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Geweint habe ich tagelang nicht. Ich konnte nicht. So etwas nennt man wohl einen Schock. Man muss erst einmal verdauen, wie ungerecht das Leben sein kann. Und wie hart das Leben sein kann. Und nicht nur sein kann, sondern tatsächlich auch ist. Und ich würde jetzt gerne sagen, dass das weg geht. Aber irgendwie warte ich darauf noch. Es wird natürlich leichter. Und man lacht trotz allem, feiert und lebt. Aber tief in einem sitzt ein kleines, ekliges, flennendes Kind, mitten in der Trotzphase, und protestiert: "Warum ich! Ich will das nicht. Ich will lieber ein Eis." Tja, Pech gehabt, das Leben ist keine Softeismaschine.
Gerade stehe ich in meiner Chemotherapie. Die Operationen habe ich hinter mir. Ein Riesenschritt ist schon geschafft! Alle zwei Wochen bekomme ich meine Dosis "Überlebensgift". Und, hey, das ist super! Ein echtes Problem hätte ich, wenn es keine Therapie für mich gäbe. Diese giftige Zeit in meinem Leben geht vorbei. Und dann habe ich es dem Krebs-Alien so richtig gezeigt. Chemotage sind gute Tage für mich. Ich habe wieder etwas gegen den Krebs getan und sichere mir Schritt für Schritt die Zukunft. Die ultimative Altersvorsorge. Meine Therapie wird voraussichtlich ein halbes Jahr dauern, inklusive Bestrahlung. Ich tausche ein halbes Jahr meiner Jugend gegen die Option auf ein ganzes Leben. Dieser Deal klingt fair. Wieso nur eine Option? Dabei denke ich nicht einmal nur an ein Rezidiv, also einen erneuten Besuch vom Herrn Krebs. Meine Prognose auf endgültige Heilung liegt bei überragenden 80 Prozent. Die 20 Prozent Restrisiko haben wir, meiner Meinung nach, alle ab dem Tag unserer Geburt. Den täglichen Straßenverkehr kann ich mindestens genauso wenig einschätzen wie meinen zukünftigen Gesundheitszustand.
Die Krankheit Brustkrebs ist vieles, aber nicht altersgerecht für mich. Das fängt schon damit an, dass es wirklich schwer ist, moderne Bademode für Brustamputierte zu finden. Schließlich möchte ich nicht aussehen wie 60, auch wenn sich mein Körper manchmal so anfühlt. Ich bin überall die Jüngste. Und auch wenn es wohl nicht absichtlich geschieht, lässt mein Umfeld mich das spüren. Ich habe es wirklich satt, überall angeschaut zu werden, als wäre ich ein verwundetes Lamm. Bitte behandelt mich einfach wie früher. Ich bin nicht Krebs, ich bin immer noch ich. Und aus Porzellan bin ich auch nicht. Würde ich aus Feinkeramik und nicht aus Zellen bestehen, dann hätte ich diese ganzen Probleme gerade nicht. Erzählt mir auch eure Sorgen. Krebs ist nicht das ultimative Super-Mega-Problem, dass alles andere unglaublich unwichtig macht. Auch ich habe noch andere Dinge, die mir den Kopf zermartern. Das fängt schon morgens damit an, was ich anziehen soll. Und ja, die Unsicherheit, ob ich die Kaffeemaschine ausgestellt habe (obwohl sie es bis jetzt immer war), kann mich immer noch in den Wahnsinn treiben.
Ich brauche alles, aber kein Mitleid. Schließlich bin ich nicht das Opfer meiner Krankheit. Ich will und kann selbst entscheiden, wessen Sklave ich bin. Der Krebs kann mich nicht versklaven. Er kann mir meine körperliche Gesundheit nehmen. Aber was ich fühle und denke, das kann keiner beeinflussen außer mir selbst. Wenn ich mein ganzes Leben beende, nicht mehr lache und einfach nicht mehr "Ich" bin, dann hat der Krebs doch genau das, was er möchte. Er tötet mich, innerlich. Denn wer aufhört zu leben, der ist tot, bevor er gestorben ist. Ich lebe jeden Tag so normal, wie es gerade geht. Und es ist immer noch ein verdammt gutes Leben! Ich lache mindestens genau so viel wie früher, erlebe alles viel intensiver. Jeder Tag, an dem ich mich einigermaßen gut fühle, ist ein glücklicher Tag. Wenn die Sonne scheint, ist das wirklich super. Wenn die Blutwerte es erlauben und ich machen kann, worauf ich Lust habe und was man mit 22 normalerweise macht, dann ist das so ein Wahnsinnsgefühl. Und ab und zu gönne ich meinem inneren Kind ein Eis, worüber es sich mehr zu freuen scheint als früher. Schließlich muss ich mir keine Gedanken mehr um meine Figur machen. Das regelt die Chemo für mich. ;-)
Ich weiß nicht, ob der Krebs eines Tages wieder kommen wird. Ich weiß nicht, was in zwei Jahren ist. Das wissen wir aber alle nicht. Schließlich ist das Leben so unberechenbar. Wir können planen so viel wir wollen, es steckt uns am Ende sowieso dort hin, wo es eben gerade möchte. Ich weiß nur eins: Irgendwann wache ich morgens auf und bin einfach nur gesund. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen!