Da fliegt es, mein Smartphone. In gefühlter Zeitlupe auf den Betonboden. Und ich weiß genau, wie dieses Horrorszenario enden wird. Splitter, Flüche, Display im Arsch. Sorry, aber "kaputt" spiegelt es nicht wider. Erst ist es neon-pink, dann grün-bunt und dann nur noch schwarz. "Meine Fotos!", rufe ich innerlich. Und: "Meine Chatverläufe!!!"
Auf meinem Handy sind 2024 Kamera-Fotos, 833 WhatsApp-Images, 57 Screenshots und 126 Uraltbilder aus alten Telefonen. Seit Jahren schreien sie mich an: Druck! Mich! Aus! Ich gehöre nämlich zu den Nostalgikern, die noch echte Fotoalben besitzen.
Seit der Smartphone-Epidemie aber komme ich damit nicht hinterher. Letztens habe ich 500 Fotos ausdrucken lassen, für 60 Euro. Jetzt schreien sie mich von einer Kiste aus an. Unnötig zu erwähnen, dass ich die Originale nicht lösche. Vielleicht brauche ich sie noch, wenn die Alben niederbrennen oder so.
Irgendwie sind wir doch alle digital abhängig
Die Wissenschaft nennt es "Datahoarding". Wenn man auf dem Laptop Unterordner von Unterordnern anlegt, von jedem Fotomotiv 37 Versionen hat oder 329 Lesezeichen von Artikeln, die man nie liest.
Trotzdem frage ich mich, ob ich ein Problem habe. Mit meinen Mails zum Beispiel. Mit denen ich eine längere Beziehung habe als mit dem Vater meiner Kinder. Die älteste ist vom 10.1.2009, Betreff: "Willkommen bei Youtube". Gefolgt von "Danke für deine Bewerbung als Studentische Aushilfe." Allein die Löschvorstellung bringt meine Schweißdrüsen in Wallung. Ich könnte die Mails noch brauchen! Neulich erst hatte ich meine Zeugnisse gesucht und sie in alten Mails an mich selbst gefunden. Oder uralte Passwörter! Ja, ja, ich merke schon: typisches Messie-Verhalten.
SMS sind wie alte Liebesbriefe
Meine WhatsApp-Verläufe nutze ich aber wirklich! Das Bananenmuffin-Rezept einer Freundin, das sie mir 2014 geschickt hat, zum Beispiel. Oder wenn ich in alten SMS-Erinnerungen zwischen mir und meinem Mann schwelge. Ist wie alte Liebesbriefe im Keller aufzubewahren. Nur dass der Keller in dem Fall eben die SD-Karte ist.
Meine Freundin Lilith hat die SMS früher sogar händisch in ein Büchlein notiert. Zugegebenermaßen nimmt das heute dann doch absurde Ausmaße an: Apps, die aus Chat-Verläufen ganze Fotobücher drucken zum Beispiel. Mit Dialogen wie "Bringst du ’ne Gurke mit? Mache ich." Oder der Trend, sämtliche Entwicklungsschritte seiner Kinder bis zur Volljährigkeit (!) in hübsch designte Bücher zu kritzeln. Oder Schwangerschaftsverläufe zu protokollieren, Tag für Tag für Tag.
Digitale Abhängigkeit: Wenn wir uns über das Wiedersehen mit unserem Daten-Müll freuen
Woher kommt dieser Drang, seine Lebenserinnerungen wirklich in den penibelsten Details festhalten zu müssen? Und diese irrsinnige Angst, etwas davon aus Versehen zu löschen?
Vielleicht ist das ganze Leben so schnelllebig geworden, dass wir das Bedürfnis haben, wenigstens unser eigenes festhalten zu müssen? Oder vielleicht haben wir vor lauter Dauer-Digi-Beschallung doch den Wunsch, die wirklich wichtigen Dinge herauszufiltern. Nur dass wir nicht wissen, was die wichtigsten Dinge sind.
Panisch, auch meine Lebensjahre im digitalen Nirvana verschwinden zu sehen, google ich "Display kaputt - Datensicherung" und versinke immer tiefer im Handy-Debugging-Foren-Wahnsinn.
Stunden später gebe ich auf. Und buche einen Dienst, der mir meine Daten eins zu eins auf ein neues Smartphone überträgt. Hach, da bist du wieder, mein Müll! Ich prüfe, ob alles da ist und tippe "Bananenmuffins" ein. So muss sich Glück anfühlen. Ob das die 89,95 Euro wert waren? Keine Ahnung, fragt mich 2029 noch mal.
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