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Mutter erzählt: Mein Alltag mit einem kranken Kind

Ihr zweites Baby war ein echtes Wunschkind. Als die Tochter von Daniela Finke auf der Welt war, schrie sie die ganze Zeit. Nach einer Odysee bei Ärzten stand schließlich die Diagnose fest.

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Als unser Sohn im November 2013 auf die Welt kam, wusste ich bereits nach der letzten Presswehe, dass wir unbedingt ein zweites Baby möchten.

Gesagt, geplant und im Juli 2014 kam der positiver Schwangerschaftstest. Im März 2015 sollten wir eine Tochter bekommen und die Freude war grenzenlos. Wie schön muss es für die Kinder sein, zusammen groß zu werden, sich Schabernack auszudenken und zusammen Mama und Papa auf der Nase herum zu tanzen. Wir fühlten uns bereit für zwei sehr kleine Menschen.

Leider waren wir aber nicht für die Krankheit bereit, mit der unserer Tochter im März geboren wurde. „Hydrozephalus“ hieß die Diagnose im Juni 2015. Eine Hirnwasserzirkulationsstörung und niemand weiß, wieso unsere Tochter daran erkrankt ist. Elf Wochen lang hatte sie geschrien, geschrien, geschrien. Die Kinderärzte meinten, dass es die berühmten „Drei-Monats-Kolik“ sei. Nur gut, dass es diese Koliken gibt. Wie sonst sollten ahnungslose Ärzte ein schreiendes Baby wieder zurück in die Arme der Eltern geben.

Der lange Weg zur Diagnose

Außer unserer Hauskinderärztin machte sich niemand Sorgen, bis der schon viel zu großer Kopf meiner Tochter im Mai auf fast 47 Zentimeter unförmig gewachsen war. Elf Wochen lang litt unsere Tochter also unter schrecklichsten Kopfschmerzen ausgelöst durch einen viel zu hohen Druck im Gehirn. Das erklärte ihr Geschrei auf schmerzhafte Weise.

Zwei Tage nach der Diagnose wurde sie schon das erste Mal operiert. Sie bekam einen sogenannten Shunt, also ein ventilgeregeltes System, damit gestautes Hirnwasser aus dem Kopf in den Bauchraum fließen kann. Klingt simpel und es hilft auch, wenn das Hirnwasser gut abläuft. Aber hier kommt der Knackpunkt: Es läuft einfach nicht richtig ab.

Diese Problematik brachte uns sieben Krankenhausaufenthalte, fünf Magnetresonanztherapien, drei Operationen und viele Tränen. Ich war immer an ihrer Seite. Ich war diejenige die durch gezielte Beobachtungen bei der Diagnostik helfen sollte. Ein wenig muss ich bei diesem Satz schmunzeln, denn eine Mama die voller Sorgen ist, sieht auf einmal jedes erdenkliche Anzeichen bei ihrem Kind, die vom Arzt erklärt wurden.

Meine neue Rolle als Krankenschwester

Die Wahrheit ist: Es ist eine undankbare aber gleichzeitig so wichtige Stellung, die man als Begleitperson einnimmt. Ärzte und Schwestern suchten immer bei mir den ersten Kontakt. Ich konnte am besten Antworten geben und wusste, worauf zu achten ist. 24 Stunden ist man für das Kind da. Und trocknet die Tausende von Tränen. Sei es, bei Untersuchungen die durchgeführt wurden oder der beim Legen des nächsten venösen Zugangs.

Die besondere Nähe die das geliebte Kind braucht, wenn sie aus Narkosen aufgewacht ist oder um die Wartezeit zu überbrücken bis das Schmerzmittel wirkt - man ist für unzählige Angelegenheiten eigenverantwortlich. Das ist belastend.

Ganz davon abgesehen, muss man auch die emotionalen Ausbrüche und Reden von Familie und Freunden abfangen und Rede und Antwort stehen. Plötzlich sieht man sich von unzähligen, selbst ernannten Spezialisten umgeben die Fragen, ob „denn das gewählte Krankenhaus das Richtige sei“ und „der Freund einer Bekannten hatte das auch in der Familie, da war aber alles ganz anders“. Es wird einem als betreuendes Elternteil schlagartig bewusst, dass man immer auf seine innere Stimme hören muss, wenn es darum geht, spontan weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen.

Selbstzweifel und Überforderung

Wie geht es mir eigentlich? Die Frage traute ich mir gar nicht zu stellen. Ich fand es unfair mein Empfinden auch nur einen Moment lang der Situation, in der sich unsere Tochter befand, als wichtiger anzusehen.

Der Blick in den Spiegel war für mich nicht schön. Das Gesicht ist sehr rund geworden und der fünf Zentimeter Ansatz lässt mein Haar ungepflegt aussehen. Ein Frisörbesuch war ein Ding der Unmöglichkeit.

Und wieso war mein Gesicht von Pickeln überseht? Aus dem Alter sollte ich eigentlich raus sein?

Für eine genauere Beobachtung und Selbstzweifel war aber schnell keine Zeit mehr. Die Tochter wachte aus ihrem Zehn-Minuten-Schlaf auf. Oder es klopfte an der Tür.

Ein höfliches Klopfen, das mit der Zeit unerträglich wird. Stört es doch immer wieder die Ruhe, die ich so gut gebrauchen könnte.

Genauso unerträglich wird die Erwartung des Gegenübers, sofort eine ausführliche Berichterstattung zu bekommen. Der Alltag geht derweil weiter. Meinem Mann helfe ich via Telefon bei Papierkram oder bei der Frage „Wo finde ich eigentlich...“.

Es ist schmerzlich für mich, für unsere Tochter in solchen Ausnahmesituation da zu sein, aber für unseren Sohn nur drei Stunden. Besuch wollte ich kaum noch, ich war zu erschöpft.

Im Krankenhaus brach ich in Tränen aus, wenn sich mein Mann und mein Sohn wieder auf den Weg nach Hause machten.

Ich wollte nicht alles alleine durchstehen müssen und hätte gut noch eine Begleitperson gebrauchen können, die mich in den schwachen Momenten in den Arm genommen hätte.

Ganz langsam kommen wir damit klar, dass wir ein Leben auf Stand-by führen und mein Koffer immer gepackt und griffbereit da steht. Geht es unserem Mädchen schlecht, muss ich mit ihr ins Krankenhaus um einen erneuten Anstieg vom Hirndruck zu vermeiden. Wir lernen langsam mit dieser Krankheit umzugehen und lernen immer wieder dazu.

Trotzdem ist es eine extreme Situation, die geprägt ist von Warterei, dem Geruch von Desinfektionsmittel, Schwestern die mich schon Duzen.

Es ist unmöglich den Bedürfnissen nachzukommen, die für mein persönliches Wohlbefinden wichtig sind. Aber während ich über viele Sachen nachdenke und verzweifle, lächelt das kleine Mädchen mich an. Und das macht alles wieder gut.

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