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Leserin erzählt Neuanfänge? Vorsicht, Suchtgefahr!

Andrea Gedwien liebt Neuanfänge
Andrea Gedwien
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Andrea Gedwien (55) liebt Neuanfänge über alles - und ordnet ihr Leben immer wieder radikal neu.

Diese Art, mein Leben zu gestalten und immer wieder komplett zu verändern, war nicht plötzlich da, sie hat sich über die Jahrzehnte entwickelt.

Eine Kindheit mit Schicksalsschlägen

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Ort in Ostwestfalen in einem Einfamilienhaus mit großem Garten. Meine ältere Schwester starb in jungen Jahren an Krebs. Als zweites Kind habe ich keine Erinnerung daran, dass es sie gab. Aber die dunklen Wolken, die seitdem über unserem Haus hingen, die habe ich schon als Kind gespürt.

Als ich 20 war, einen festen Freund hatte und wir (wie erwartet wurde) bei meinen Eltern ins Haus gezogen sind, und eigentlich alles gut hätte sein können, wurde bei meinem Vater Krebs festgestellt. Er hatte eine Lebenserwartung von sechs Monaten. Daraufhin hat sich meine Mutter umgebracht. Mein Vater ist kurz darauf verstorben.

Innerhalb eines Jahres stand ich also vor einer völlig neuen Situation. Gemeinsam mit meinem zukünftigen Ehemann habe ich das Leben neu geordnet. Was früher niemals in Frage gekommen wäre, haben wir umgesetzt: Wir verkauften mein Elternhaus und bauten im Nachbarort neu, um den dunklen Wolken zu entfliehen. Dies war unser allererster wirklicher Neuanfang. Unsere beiden Töchter wurden geboren und sie hatten eine wirklich glückliche Kindheit, es gab keine dunklen Wolken mehr. Wir hatten tolle Nachbarn, es war eine wunderbare Zeit.

Hunde, Hühner, Lagerfeuer: Wir wollten aufs Land!

Je älter die Kinder wurden, desto mehr nervte uns alle allerdings die enge Bebauung des Wohngebiets. Wir wollten Hunde, Katzen, Hühner, Baumhaus, Lagerfeuer … unsere Prioritäten verschoben sich.

Wie der Zufall es wollte (sagte ich schon, dass ich nicht an Zufälle glaube?), trafen wir Bekannte wieder, die nach Costa Rica auswandern wollten und, oh Wunder, sie besaßen ein Haus in Alleinlage auf dem Land.

Wir haben das Haus gekauft, renoviert und ein Landhaus daraus gemacht. Die Mädchen sind nach ein paar Jahren jeweils für ein Jahr als Austauschschülerinnen in die USA gegangen - immer wieder Neuanfänge, traurige bei der Verabschiedung, glückliche beim Wiederkommen. Und ganz plötzlich (so etwas ist ja wie Weihnachten und kommt ganz überraschend) waren die Mädels komplett aus dem Haus. Die eine studierte in München, die andere zog es zum Studieren in die USA zurück. Die Karten wurden neu gemischt.

Alleingelassen vom Nachwuchs blieben mein Mann, unsere zwei Rauhaardackel und ich übrig. Also blickten wir uns tief in die Augen und trafen eine sehr weitreichende Entscheidung.

Mit dem Wohnmobil ins Blaue hinein

Wir verkauften unser Haus auf dem Land und tauschten es gegen ein Wohnmobil ein. Wir kündigten unsere Jobs, verkauften den Hausrat und sind losgefahren - ein Jahr lang ging es durch Europa. Das war von allen Neuanfängen eindeutig das spannendste und risikoreichste Abenteuer, aber auch das emotionalste! Denn was nach dem Jahr werden sollte, war völlig unklar.

Wir haben Vieles erlebt und gesehen und neue Erfahrungen gemacht. Man muss sich aber sehr genau überlegen, ob man das so radikal macht wie wir und alles verkauft und einfach losfährt. Es ist eine echte Herausforderung und mit nichts anderem zu vergleichen.

In Bayern wurden wir erstmal sesshaft  

Nach dem Jahr Auszeit sind wir in Bayern gelandet. Dort hat mein Mann wieder einen guten Job bekommen, und ich saß nun im Allgäu und hatte keine Arbeit. Das Studium unserer Kleinen in den USA wurde immer teurer, also musste Geld her.

Zufälligerweise suchte die Bundeswehr zu dem Zeitpunkt eine Arzthelferin, und obwohl ich schon ziemlich lange raus war aus dem Job und auf die 50 zuging, habe ich mich beworben. Zack, war ich bei der Bundeswehr. Im Gegensatz zu anderen Arbeitgebern fand mich die Bundeswehr klasse, weil ich zur normalen Ausbildung noch ganz andere Erfahrungen mitbrachte. Jahrelange Auszeit für Kindererziehung – kein Problem! Ein Jahr durch Europa? Noch besser! Fast 50? Die Lebenserfahrung können wir brauchen und wissen sie zu nutzen!

Im Laufe der Jahre habe ich mehrmals meine Dienstposten gewechselt (natürlich immer mit Umzügen, also Bayern kennen wir nun ziemlich gut), bis ich zuletzt als Laborleiterin der Naturwissenschaften an einer Bundeswehr-Fachschule bei Augsburg angestellt war. Mein Mann arbeitete in der Oberpfalz, wir lebten eine Wochenendehe. Für uns aber überhaupt kein Problem.

Die Karten wurden neu gemischt

Dann kam Corona und wir fühlten uns in unserer Mietwohnung nicht mehr wohl. Die Prioritäten verschoben sich erneut. Mein Mann wollte gern einen MAN als Wohnmobil-Explorer umbauen, und mir fehlten ein großer Garten und das freie Leben. Also haben wir uns wieder tief in die Augen gesehen – und die Karten wurden nochmals neu gemischt.

Wir kauften einen kleinen Pferdehof im Vogtland, ich habe meinen Job bei der Bundeswehr gekündigt und nun bauen wir diesen Hof wieder eigenhändig um. Also wieder ein Neuanfang, mit Gemüsegarten, Lagerfeuer, Hühnern, Hunden und Katzen, das volle Programm. Wir haben diesen Neuanfang „Projekt X“ genannt. In diesem Fall das lateinische „X“ für zehn, denn in zehn Jahren werden wir neu überlegen, was wir weiterhin tun werden.

Bis dahin ist der MAN-Explorer ausgebaut und mein Mann im Ruhestand. Eine Wohnmobiltour wäre schön – Südamerika reizt uns sehr. Eigentlich könnte es auch sofort wieder losgehen … Schauen wir mal.

Und plötzlich weißt du, es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen (Meister Eckhardt)

Mein persönliches Fazit: Neuanfänge sind sehr lehrreich und spannend. Man verlässt seine Komfortzone zu 100 Prozent und muss sich zu 100 Prozent auf neue Situationen einstellen. Viele Türen schließen sich traurigerweise, aber wenn man achtsam ist und jede neue Chance nutzt, öffnen sich mindestens genauso viele neue Türen und Möglichkeiten.

Die Autorin: Andrea Gedwien (55), gebürtige Ostwestfälin, im Herzen ein "bayrisches Madl", wie sie sagt, ist jetzt überzeugte Sächsin, Wohnmobilfan und Hobby-Gärtnerin. Sie liebt die französische Küche, kann einfach jedes Phänomen mit Physik oder Chemie erklären und bezeichnet sich selbst als Idealistin.

Brigitte

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