Dutts, Vollbärte und gecremte Klavierhändchen
Letztens ging ich durch meinen Heimatwald im Taunus und mir kamen zwei Männer entgegen, was ja nun erst mal nichts Besonderes ist. Beide trugen verwaschene, zerfetzte Jeans, karierte Flanellhemden, Stiefel, schwere Stiefel, dicke Funktionsjacken, die einen wahrscheinlich bis minus vierzig Grad warmhalten und auch vorm Ertrinken retten, sollte man in einen reißenden Gebirgsfluss fallen. Ihre langen Haare waren zu einem Dutt geknotet und glänzende Vollbärte zierten die Gesichter.
Gut und schön, mag man nun im ersten Moment denken. So ein Wald muss ja auch gepflegt werden, und die Waldarbeiter kontrollieren, ob der Eichenprozessionsspinner oder die Wollige Napfschildlaus mal wieder böse waren.
Aber dann wurde dieser Eindruck von zwei Tatsachen getrübt: 1. Die Männer waren so dürr, dass sie die Babys, die sie vor sich in so Tragegurten hatten, kaum halten konnten. 2. Sie sahen defintiv nicht so aus, als hätten sie jemals eine Kettensäge oder einen Baum-Entaster auch nur angeschaut, aber man kann sich ja irren.
Au! Der Schnullerclip hatte sich im Bart verhakt
„Hilf mir doch mal“, sagte der linke und hielt seinem Gegenüber den Kopf hin. Er hatte in seinen Vollbart den Clip des Schnullers befestigt und der hatte sich verhakt. Es folgte der Satz: „Au, au, pass doch auf, du tust mir weh, das ziept, au, au“, und der passte nicht zum Outfit. Auch nicht die glänzenden, gecremten Klavierhändchen mit den manikürten Nägelchen. Hier passte gar nichts.
Ich schwöre: Noch nie habe ich etwas Lächerlicheres gesehen als das: Zwei unterernährte Männer mit Streichholzärmchen- und -beinchen, die ganz offenbar aussehen wollen wie kanadische Holzfäller, die selbst vor einem Kodiak-Bären nicht haltmachen. Die ohne mit der Wimper zu zucken zappelnde, schwarze Insekten verschlingen, um zu überleben, und aus dem Nichts ein Feuer entfachen können. Kerle, die für uns, die Frauen, ein Tier erlegen und uns aus dem Fell eine wärmende Decke gerben.
Männer sollten nicht aussehen wie überpflegte Vollbart-Trottel
Und dann das: „Au, au, es ziept“, weil ein Schnuller sich im Bart verhakt hat. Geht’s noch? Ich muss dazu sagen, dass ich in einer Jägersfamilie groß geworden bin. Ich habe meinen Vater, den alten Jäger, der übrigens einen Vollbart trug, und seine Jagdfreunde schwitzend Holz hacken sehen, es wurden Hochsitze gebaut, sich Daumen halb abgesägt, Holzsplitter unter die Nägel getrieben, vor Schmerz geschrien, Hirsche und Wildschweine wurden geschossen und vor Ort ausgenommen, und keiner der Männer, die ich jemals in Verbindung mit echter Wald- und Jagdarbeit gesehen habe, sah so aus wie diese überpflegten Vollbart-Trottel.
„Das sind diese Lumbersexual-Typen, die gibt es seit ein paar Jahren, der Begriff leitet sich von ‚Lumberjack’ ab, das heißt Holzfäller“, erklärte eine Bekannte, die sehr modeaffin ist.
Aha, wieder so ein Trend. Holzfäller. Schön und gut. Ich bin früher auch in gebatikten Latzhosen rumgelaufen und hatte Henna-Strähnchen in den Haaren, in meiner Klasse waren Popper und Freaks, auch „Ferdische“ genannt. Das waren halt auch Trends, aber hallo: Wir waren 14! Da darf man sowas. Und klar kann man auch als Erwachsener die Trends mitmachen. Aber es muss passen und nicht lächerlich rüberkommen.
Glauben die etwa, dass man sie sexuell anziehend findet?
Diese Männer hoffen doch wohl nicht, dass man sie (wie z.B. auch Liegeradfahrer) ernst nimmt oder gar sexuell anziehend findet. Glauben die wirklich, dass wir denken: ‚Oh, diese Männer heißen bestimmt Arbogast oder Roderich, sind im Wald geboren und aufgewachsen und werden mich vor der bösen Welt beschützen?“
Ich habe den Fehler gemacht, das Wort "Lumbersexual" zu googeln und gleich der erste Eintrag (Quelle: stylefruits.de) machte mich fassungslos: "Wer sich so stylt, verkörpert einen der männlichsten Berufe - verbunden mit Freiheit, Kraft und Rauheit. Der Lumbersexual erweckt den Eindruck, er käme gerade vom Baumfällen - auf direktem Weg in die nächste Bar, um einen Whiskey zu kippen und eine Zigarre zu rauchen. In Wirklichkeit sind die Lumbersexuals aber genauso umweltbewusst wie damals die Hipster - nur nicht so vegan. Sie kaufen regionale Bioprodukte, sind arbeitsam und trennen ihren Müll. Diese Kombination aus Testosteron und gutem Gewissen macht sie für Frauen nahezu unwiderstehlich."
Das meinen die doch nicht ernst, oder?
Aber vielleicht irre ich mich ja und die beiden dürren Männer sind sehnige, durchtrainierte Kerle, die das bloß nicht so raushängen lassen. Vielleicht sind sie wirklich … so.
Letzens traf ich sie tatsächlich wieder. Sie sahen genau so aus wie beim letzten Mal. Sie gingen langsam an mir vorbei, ohne verhakten Schnuller. Mit festem Schritt.
„Warte mal“, sagte da der eine zum anderen und sie blieben stehen. „Au, au“, sagte der. „Wir müssen eine Pause machen. Ich hab mir in den neuen Schuhen die Füße wund gelaufen.“ „Hoffentlich blutet es nicht“, sagte der andere. „Dann kipp ich um. Seitdem ich weizenintolerant bin, kann ich auch kein Blut mehr sehen.“
Ich irre mich. Nicht.


Steffi von Wolff war lange Jahre beim Radio, bevor sie 2003 ihren ersten Roman herausbrachte. Ihr neuestes Werk heißt "Später hat längst begonnen"; darin geht es um zwei Frauen, die es zusammen nochmal richtig krachen lassen, bevor das Unabänderliche passiert.
Steffi von Wolff selbst lässt es mittlerweile fast nur noch beim Schreiben krachen. Sie ist am liebsten daheim und macht es sich gemütlich mit Rotwein, einem leckeren Essen - und einer schönen Serie!
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