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Ich bin auch im Fitnessstudio. Als Karteileiche

Ich bin auch im Fitnessstudio. Als Karteileiche
© GettyImages
von Marie Stadler

Glorreich der Tag, an dem man sich im Fitnessstudio angemeldet hat. Weniger glorreich die zwei Vertragsjahre danach, in denen man in den Kursen zwar glänzt, aber das vor allem (oder eigentlich ausschließlich) durch Abwesenheit. Dabei hatte man gedanklich schon Freundschaft mit dem Sixpack geschlossen, den man unter den Ach-das-ist-ja-nur-ne-kleine-Tafel-Schichten vermutet. Wenn es bloß nicht diesen riesigen Schweinehund gäbe, der fett und behäbig auf der Sporttasche sitzt. Immer genau dann, wenn man los will. Unsere Autorin kennt das Problem. Es ist mal wieder soweit. Ich stehe vor meiner Sporttasche und starre sie an. Sie starrt zurück. Dann gehe ich zum Kühlschrank. So auf nüchternen Magen soll man ja auch gar keinen Sport machen, glaube ich. Und außerdem habe ich ja noch ein bisschen Zeit. Ich mache mir ein Käsebrot (Vollkorn mit Salatblättchen drauf, man will ja alles richtig machen) und setze mich kurz an den Tisch. Weil alleine essen fett macht, ziehe ich um aufs Sofa und schalte den Fernseher an. Gucke Gilmore Girls, hab ich lang nicht mehr gemacht. Ist aber ein Fehler, die essen die ganze Zeit und haben nicht mal ne Sporttasche. Ich schalte um auf "Designated Survivor", ist ne neue Serie. Megaspannend. Leider. Drei Stunden später hat leider das Studio geschlossen und ich fühle mich schrecklich. Ich hab ne Fitnessuhr. Ehrlich! An meiner Motivation liegt es echt nicht. Nur drückt sich meine Motivation leider nicht in Sporteinheiten, sondern eher im Erwerb hochwertiger Sportklamotten, einer Fitnessuhr und ebendieser vermaledeiten Unterschrift im Neujahrsenthusiasmus (und ehrlich gesagt noch halb besoffen) auf dem Fitnessstudiovertrag aus. Sobald es konkreter wird, finde ich grundsätzlich irgendwas, was ganz dringend erledigt werden muss. Essen zum Beispiel. Ich suche Rat bei einem Profi. Melanie Döring ist Fachfrau für Veränderungsprozesse und war sogar Mental Coach am Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli. Genau die richtige Frau für mein Problem. Wenn sie pubertäre Jungs dazu motivieren konnte, jeden Tag bei Wind, Regen, Sturm oder Hochsommerhitze 90 Minuten lang Hochleistungssport zu treiben anstatt am PC Fifa zu zocken, dann muss es für sie doch ein Kinderspiel sein, mich ein einziges Mal ins Fitnessstudio zu bringen. "Leider ist das nicht so einfach", sagt die Expertin. Und ich denke: Meine Rede. Mein Problem, sagt sie, seien meine Routinen. "Es gibt wirklich kaum etwas schwierigeres als Routinen zu durchbrechen und neue Routinen zu etablieren." Das beschwichtigt mein schlechtes Gewissen etwas. Diese Barriere, sagt Melanie Döring, ist so bekannt, dass man ihr einen Namen gegeben hat: Schweinehund. Ha, da ist er also wieder, der Schweinhund. Ich frage, was ich gegen dieses Mistviech unternehmen kann. "Bewusstes Handeln",  antwortet sie und erklärt mir, dass ich keine Chance gegen den Köter habe, wenn ich mir nicht darüber bewusst bin, warum ich überhaupt Sport treiben möchte. Meine Motivation hat Dellen Nachdem ich mir ein paar Tipps abgeholt habe, versuche ich es am nächsten Tag nochmal. Meine Tasche ist ja eh schon gepackt. Ich stelle mich nackt vor den Spiegel, um mir das lange Nachdenken über meine Motivation zu ersparen. Ich bin einfach ein effektiver Typ. Ein Blick, Motivation erkannt. Ich will endlich wieder in das Freibad um die Ecke gehen können, ohne Angst davor zu haben, jemanden zu treffen, den ich kenne. Ich will meinen Hintern angucken können, ohne über Schwerkraft nachdenken zu müssen und es wäre wirklich schön, wenn meine Oberarme nicht länger winken würden als ich. Im selben Moment kommt mir eine Idee. Freibad! Jetzt noch nicht das um die Ecke (bewusstes Handeln allein hilft nicht gegen Cellulite - schon klar), aber das im anderen Stadtteil wäre super. Vielleicht bin ich einfach nicht der Fitnessstudio-Typ. Ehe ich es mir anders überlege, rufe ich "Kindeeeeeeer, Freibaaaaaad!" durchs Haus. Wenn irgendwer noch erfolgreicher seinen Willen durchsetzen kann als der Schweinehund, dann nur meine starrköpfige Brut. Wir packen alles ein und düsen ins Freibad. Nicht das um die Ecke, um das nochmal zu erwähnen. Da ist sie, die Trainerin aus dem Fitnessstudio Zufrieden räkele ich mich in der Sonne und fühle mich allein deshalb schön, weil ich es geschafft habe, den Schweineköter auszutricksen. Nur noch fünf Minuten, dann werde ich wie ein Pfeil durchs Wasser gleiten. Mindestens eine Stunde. Wenn nicht zwei. Ich raffe mich auf und laufe erhaben und gut verhüllt in meinem Saunatuch zum Beckenrand. Sekunden, bevor ich die Hüllen fallen lasse, höre ich meinen Namen. Es ist Lisa, meine Nachbarin. Natürlich Lisa, wer auch sonst? Alle anderen Menschen, die ich kenne, haben ja auch ein paar Problemzonen. Wieso sollte ich die im Freibad am anderen Ende der Stadt treffen? Nein, die Dramaturgie meines Lebens sieht natürlich Lisa vor. Die, die nicht mal weiß, wie sich Speck anfühlt. Die, die sechs Wochen nach der Geburt ihres zweiten Kindes den Großen in Hotpants aus der Kita abholte und schon wieder Body Combat-Kurse im Studio gab. Weiß ich ja leider nur vom Hörensagen. Lisa fällt mir herzlich um den saunatuchverhüllten Körper. "Na?", fragt sie. "Was machst du denn hier?" Ich sage ihr nicht, dass ich einfach niemanden treffen wollte. Vor allem nicht sie. "Komm mit!", sagt sie geheimnisvoll und zieht mich zu ihrem Liegestuhl. Sie hat Schokokekse und Dosenprosecco in der Tasche. "Ich hatte mich eigentlich mit einer Freundin verabredet", erzählt sie. Aber die sei offensichtlich auf dem Sofa versackt. Schokokekse statt Bahnen ziehen Wir versacken auch. Erzählen uns von unseren Männern, unseren Jugendsünden und träumen von Cluburlaub in der Karibik, um dem Alltag zu entfliehen. Und ich merke: Sogar eine Lisa hat Sorgen. Von Minute zu Minute fühle ich mich wohler und lasse langsam das Saunatuch sinken. Mir fällt auf, dass Lisa mir die ganze Zeit einfach nur ins Gesicht schaut. Meine Dellen interessieren sie nicht die Bohne. Wir lachen und scherzen, die Kinder liefern sich währenddessen eine wilde Wasserschlacht. "Irgendwie verrückt, dass wir uns noch nie wirklich unterhalten haben", sage ich nach der zweiten Proseccodose. "Ja total", findet Lisa. "Dabei sind wir uns so ähnlich!" Das Verrückteste ist: Sie hat Recht! Nach einer Ausnüchterungsstunde gehen wir doch noch ein paar Bahnen ziehen. Entschlossen stehe ich auf und laufe ohne Handtuch voran. Ich bin gut. Auch mit Dellen. Am Abend liege ich stolz in meinem Bett. Ich habe heute Sport gemacht, ja, aber das ist es gar nicht. Ich habe heute die Routine gebrochen, mich für mich selbst zu schämen. Und ich habe gemerkt, dass es den anderen ziemlich egal ist, wie ich aussehe. Aber das Schönste ist: Das Schwimmen hat mir Spaß gemacht. Ich beschließe, den Fitnessstudiovertrag zu kündigen. Dann schlüpfe ich nochmal kurz ins Kinderzimmer und wecke den Jüngsten auf. "Hey, morgen gehen wir wieder ins Freibad", sage ich, um mit dem Schweinehund ganz sicher zu gehen. "Ist gut, Mama!", flüstert er verschlafen und ich weiß, er wird dafür sorgen, dass ich mein Versprechen einlöse. Zurück im eigenen Bett schmiede ich den verwegensten Plan, den ich je geschmiedet habe: Ich beschließe, morgen in das Freibad um die Ecke zu gehen. Vielleicht treffe ich ja Lisa. Oder wen auch immer. Ist mir völlig egal.

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