Ihr glaubt es mir ja jetzt vielleicht nicht, aber ich bin zu 97 Prozent ein vernünftiger Mensch. Ehrlich. Ich zügle meine Netflix-Rationen besser als ein Soldat seine Bundeswehr-Hartkekse. Eiserne Disziplin. Pizza – könnt ich mir intravenös geben – bestell ich aber nur so zweimal im Monat. Da freue ich mich dann aber auch drauf wie Pater Roland aus Pfullendorf damals auf den Messwein.
Nun denn, bei der ganzen Strammheit, die restlichen drei Prozent sind pures Chaos, in dem jede Selbstkontrolle flöten geht. Das hört sich jetzt psychopathisch an, schon klar. Aber keine Sorge, dieser Kontrollverlust äußert sich ausschließlich nach Feierabend, wenn ich "schnell" noch was "kleines" im Supermarkt hole. Richtig: Schnell geht das nicht – und klein auch nicht. Willkommen im Land des Geifers.
Einkaufen: Die schwerste Aufgabe der Welt
Einkaufen gehen ist ja wirklich nicht einfach. Kinder habens zum Beispiel überhaupt nicht drauf und Erwachsene kriegen es auch nur gerade so auf die Reihe, wenn sie entweder auf Model-Diät sind oder aber brav eine Liste abarbeiten, ohne auch nur rechts und links in die Regale zu linsen. Supermärkte sind ja auch die Spinnennetze des Kommerzes, sagt der Kommunist in mir. Spinnennetze, in denen die fetten, gierigen Lebensmittel-Konzerne die kleinen, hungrigen Menschlein mit ihren farbig-gelüstigen Versprechen fangen. Das soll gar nicht einfach sein.
Das Vorhaben, vernünftig shoppen zu gehen, ist also schon der Ironman des Alltags. Absolut lächerlich wird es dann, wenn man das Ganze mit Hunger versucht. Da ist man schlicht nicht zurechnungsfähig – und man erkennt es meist schon daran, wenn man am Eingang denkt, dass diese Einkaufskörbe eigentlich sehr sehr klein sind. Toll, die Odyssee kann losgehen.
Von Scheibenkäse und Schoko-Popcorn
Die ganze Gemüse- und Früchteabteilung lass ich erstmal links liegen. Das Reptiliengehirn regiert, und das mag weder Bananen noch dämlichen Bio-Lauch – außer, der ist mit Käse und Schinken überbacken und die Früchte kandiert und in einer doppelten Schicht auf Eiscreme gestreut. Vielleicht krall ich mir im Vorbeigehen ein paar Tomaten, in einem kurzen, vernünftigen Ausfallschritt – aber dabei suhle ich mich in Gedanken bereits in der Fleischabteilung wie ein Rollmops in der Sahne.
Es ist ja schon seltsam: Im Supermarkt scheint es dieses ganze Spektrum an Lebensmitteln zu geben, die nur existieren, wenn wir hungrig wie ein Raubtier durch die Gänge pirschen. Dreifach-Schokokeks, Wasabi-Flips, Marshmallow-Brotaufstrich, tropischer Früchtemix – sogar die farbigen Kuchenstreusel stehen ein wenig weiter vorne im Regal.
Fleisch und Käse! Erleuchtet liegen Wurst- und Molkereitheke im goldenen Licht der Abendstunde. Jeder Käse glüht vor lauter Sexappeal, Trockensalami und Fleisch-Peitschen rufen nach uns. Sogar der Scheibenkäse – den man sonst vor lauter dekadenter Scham ja nicht mal anschauen darf – wirkt jetzt wie Blattgold. Und die Tiefkühl-Produkte! Sobald die Dinger paniert sind, wünsche ich mir die in meinen Magen. Und Schlemmerfilet. Wer kauft schon Schlemmerfilet? Her damit, aber dalli!
Darf ich vorstellen, der Shopping-Kater
Supermärkte sind ja sowieso schon generisch darauf abgestimmt, die Kunden so sehr mit Reizen zu überfluten, damit sie sich gehirntot kaufen. Das Licht, die seichte, nichtssagende, aber muntermachende Musik, die blöden, oftmals irreführenden Aktionsschilder, die überall wie Pilze hervorquellen. Bei Hunger trifft jeder dieser Reize ins Schwarze. Es ist das schönste und dreckigste Gefühl der Welt.
Und dann sitze ich zuhause, sichtlich mitgenommen. Der Einkaufsbeutel liegt ausgeleert auf dem Küchentisch. Wirklich kochen kann man mit maximal 40 Prozent der Produkte, wenns hoch kommt. Der Kontostand wird die nächsten zwei Wochen sicher nicht mehr gecheckt, sagen mir die drei Kilo Lammkotelett vor mir. Ich habe es wieder getan, denke ich, und schiebe mir schlecht gelaunt ein Stück Nougat in den Mund.