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"Hilfe, ich war eine Minute unproduktiv" Frauen und ihr überzogener Eigenanspruch

Hilfe, ich war eine Minute unproduktiv
© Getty Images
Unsere Autorin hat sich letztens aufs Sofa gesetzt und eine Minute nichts getan. Dabei ist ihr aufgefallen, dass sie das gar nicht mehr so richtig kann. Mit der Angst, unproduktiv zu sein, ist sie leider nicht allein. Fast alle Frauen kennen das hässliche schlechte Gewissen, das immer mit auf dem Sofa sitzt (wenn man denn überhaupt selbst mal draufsitzt...)

Sonntagmorgen, halb zehn in Deutschland. Ich habe gerade den Frühstückstisch abgeräumt und den Kindern beim Anziehen, Zähneputzen und Frisieren geholfen. Außerdem habe ich bereits gesaugt, eine Taschengeld-Diskussion und ein Teenie-Krisengespräch geführt. Vor ein paar Jahren hab ich um diese Zeit gar nichts getan. Ich hab maximal meinen Kiezrausch ausgeschlafen. Und selbst wenn ich nicht auf dem Kiez war, hab ich mich pudelwohl dabei gefühlt, ein gesamtes Wochenende in einer Jogginghose zu verbringen. Tatenlos. Ein Wort, das mein Kopf aus dem aktiven Sprachgebrauch gestrichen hat. 

Ist es die magische 30?

Ich glaube, das Talent, nichts zu tun, ist mir schleichend abhanden gekommen. Erst war es eine diffuse Unruhe nach der dritten Folge auf Netflix, dann der Drang, beim Rumsitzen wenigstens Wäsche zu falten und schließlich war es nicht mehr zu leugnen: Ich war eine Rastlose geworden. Erst dachte ich, sie hätte nur mich ereilt, diese Sache mit den immerhummelnden Hummeln im Hintern. Aber dann sah ich sie plötzlich überall: Telefonierende, Planende, Faltende, Organisierende, Wischende, Fegende, Kümmernde, Frauen halt. Ruhe scheint in der Ü30-Liga ein Luxus zu sein, den man sich offenbar nur noch selten leistet. Frau sein und ineffektiv rumgammeln funktioniert ab einem gewissen Alter irgendwie nicht mehr als Kombi. Während mein Mann sich nach getaner Arbeit noch immer völlig entspannt auf dem Sofa räkeln kann, bin ich zum Geschäftigkeitspsycho mutiert. Selbst jetzt, an einem Sonntagmorgen, sitze ich verkrampft zwischen Sofakissen und sehe überall Arbeit, To Dos und verpasste Chancen, etwas als erledigt abzuhaken. Es ist bescheuert. Ich weiß das auch. Und trotzdem kann ich es nicht besser.

Wir tragen die Verantwortung für alles. Nicht. 

Ja, es gibt viel zu tun auf der Welt. Um genau zu sein, mehr als wir jemals werden stemmen können. Doch seien wir mal ehrlich: Selbst wenn es blitzeblank um uns wäre und jeder alles hätte, was er braucht, uns würde trotzdem noch was einfallen, was getan werden muss. Weil wir Frauen - besonders gefährdet sind Mütter - uns insgeheim die Verantwortung für alles inklusive Weltfrieden aufbürden, werden wir niemals das Gefühl haben, fertig zu sein. Selbst wenn wir uns vorgenommen haben, entspannter zu werden, tragen wir uns feste Yoga-Zeiten in den Kalender und planen feste ICH-Zeiten ein. Entspannung als To Do. Ein netter Versuch, sich auszutricksen, aber eigentlich nicht die Lösung des Problems. Denn Entspannung als To Do ist keine Entspannung. Es erhöht den Druck und zermürbt uns noch mehr. Vor allem, wenn wir es nicht schaffen und wieder ein Häkchen nicht gesetzt wird.

All die verrückten Ansprüche an uns selbst

Ich glaube, die mangelnde Zeit für uns selbst ist gar nicht die Wurzel des Problems, sondern nur ein Symptom. Das eigentlich Übel sind diese verrückten Ansprüche, die wir in irgendeinem Moment der geistigen Umnachtung in uns aufgenommen haben. Wir wollen Karriere machen und gleichzeitig die 50-Jahre-Schweden-Mutti sein, die das Brot selbst backt. Wir wollen mit den Kindern durch den Wald ziehen und danach mit ihnen ein Herbstgesteck machen, nebenbei noch schnell 80 Mails aus dem Homeoffice schreiben und sich dann braucht man ja auch Zeit und Energie, um sich über sich selbst zu ärgern, weil man nicht ganz so achtsam im Moment war, wie die tiefenentspannte Uschi aus dem Podcast das predigt. "Sei immer im Moment" sagt die. Aber da sind wir selten. Meist kleben wir an unserer To-Do-Liste und planen im Geiste schon die nächsten 77 Punkte, die es heute unbedingt noch abzuhaken gilt. Keine Zeit für den Moment. Keine Zeit. Keine Zeit.

Erlaubs dir einfach mal wieder

Ob ich eine Lösung habe? Ich hab eine. Die Lösung heißt: Innere Erlaubnis. Unser Gehirn tickt nämlich gar nicht so viel anders als mit 5. Heimlich haben wir früher die Schokolade nur mit schlechtem Gewissen gegessen. Mit Erlaubnis war es gleich viel entspannter. Genauso ist es heute mit dem Entspannen. Wenn wir die Erlaubnis haben, uns etwas Gutes zu tun, indem wir gar nichts tun, können wir das auch genießen. Und das Gute am Erwachsensein ist, dass man sich diese Erlaubnis selbst geben kann. Man muss nur eine Minute mal drüber nachdenken und schon scheint es klar: Verantwortung tragen wir vor allem für uns selbst. Und der werden wir verdammt nochmal nicht gerecht, wenn wir ständig rumhetzen und all die Wunder der Welt als To Do sehen. Entspannung passt nicht in Zeitfenster. Ich-Zeit braucht keinen Platz im Kalender. Wir selbst brauchen einfach die Erlaubnis. Uns die zu geben, ist das vielleicht wichtigste To Do des Tages.

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