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"Man bekommt viel zurück, wenn man hilft" - Arbeit im Pflegeheim

"Man bekommt viel zurück, wenn man hilft" - Arbeit im Pflegeheim
© Getty Images
Ruth (Name von der Redaktion geändert) hat mehrere Monate lang in einem Altenheim als Pflegehilfskraft gearbeitet. Heute erzählt sie uns von ihren Erfahrungen, Alltagserlebnissen, von Dingen, die schiefgelaufen sind und solchen, die den Job besonders machen. 
Protokoll: Charlotte Reppenhagen

Meine Mutter sagt immer: „Wenn du Glück hast, dann wirst du mal alt, kannst ein langes Leben genießen.“ Während meiner Arbeit in einem Altenheim fragte ich mich immer wieder, ob das Alter wirklich so ein großes Glück ist.  Eins möchte ich zu Beginn klarstellen: Nein, es war für mich kein Problem, die Bewohner zu waschen, sie zu füttern oder ihre Betten neu zu beziehen. Ich wusste, was auf mich zukommt, wenn ich den Job annehme. Auch die Schichtarbeit in Zusammenhang mit besonderen Arbeitszeiten war zwar gewöhnungsbedürftig, aber kein Weltuntergang. Ich habe immer den Gedanken im Hinterkopf gehabt, dass ich einmal an der Stelle eines Patienten sein könnte. Oder meine Eltern, da will man ja nur das Beste. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Job dadurch einfacher wird. 

Ein Wettrennen, das man nur verlieren kann

Meistens arbeitete ich in der Frühschicht, das heißt, Arbeitsbeginn war um sechs Uhr morgens. Nach der Schichtübergabe mit den vorherigen Pflegern und einem kurzen Gespräch über Auffälligkeiten in der Nacht haben die zuständigen Kollegen und ich uns auf die Bewohner aufgeteilt. Großartige Rechenkünste haben wir dafür nicht gebraucht: Bei 40 Patienten auf unserer Etage und zwei Mitarbeitern pro Schicht kommt man schnell auf 20 Bewohner, die man selbst zu pflegen hat. Kurz gesagt: Innerhalb von zweieinhalb bis drei Stunden rennt man von Zimmer zu Zimmer, immer mit einem Blick auf der Uhr, denn die Zeit für jeden einzelnen Menschen ist streng getaktet – und bei weitem nicht ausreichend. Das ist ein Wettrennen gegen die Zeit, das man nur verlieren kann. Besonders, wenn man versucht, sich für jeden die Zeit zu nehmen, die er oder sie braucht. Zwischen Rundgängen, Dokumentationen und dem Verabreichen von Medikamenten hat man kaum eine ruhige Minute, geschweige denn Zeit für eine Pause zum Essen. Und trotzdem – man macht weiter. 

Wir werden alle einmal alt sein

Dass die Unterbesetzung des Pflegepersonals leider kein Klischee ist, sondern Realität, muss ich an dieser Stelle wohl nicht erwähnen. Ich habe dort als Pflegehilfskraft gearbeitet, hatte also keine Ausbildung auf diesem Gebiet. Und trotzdem war es nicht selten, dass ich mich um 20 Bewohner gleichzeitig kümmern musste. Alleine. In dem Heim, in dem ich gearbeitet habe, gab es auch wesentlich mehr Hilfskräfte als ausgelerntes Fachpersonal. Wer will den Job denn auch auf Dauer machen? Die Schichtarbeit passt nicht zu jedem Alltag, auch die Bezahlung stimmt nicht. Bei mir wurden teilweise keine Zuschläge für Wochenend- oder Feiertags-Arbeit berechnet oder einfach ganz vergessen, das Gehalt zu überweisen. Aber selbst wenn das nicht passiert wäre, würden mir spontan 279 attraktivere Berufsfelder einfallen, und das geht offensichtlich nicht nur mir so. Sollte nicht bald etwas passieren, dann werden die Pflegeheime vor noch mehr Problemen stehen als sie es jetzt schon tun. Ein kleiner Reminder: Wir werden alle einmal alt sein und Pflege benötigen. Und dann?

Auf Momente wie diesen war ich nicht vorbereitet

An einem Donnerstag hatte ich die Spätschicht. Meine zweite Kollegin war bereits gegangen, ich sollte doch bitte nur noch auf den Nachtdienst warten. Dass der krank war, wurde mir nicht gesagt. Und trotzdem konnte ich nicht einfach meinen Kittel in den Spint schmeißen und mir selbst den Feierabend erklären. Ich bin geblieben und habe mich um die Patienten gekümmert, war für sie da, so wie sonst auch. Nur eben ganz allein.  Und dann ist eine Bewohnerin ausgerastet. Sie war dement, irgendetwas hat sie gestört, war nicht richtig. Sie ist auf mich losgegangen und hat mir erst in die Schultern gekniffen, dann hat sie mich mit ihrem Rollator in eine Zimmerecke gedrängt. In diesem Moment war ich so hilflos wie noch nie vorher, denn ich war nicht vorbereitet auf solche Situationen. Und dann waren da ja auch noch 39 andere Bewohner, die auf meine Hilfe angewiesen waren.  Ich habe versucht, sie zu beruhigen, habe auf sie eingeredet, ich weiß nicht wie lange. Am Ende war der Schock größer als die Kratzer in der Schulter, alles halb so wild. Aber ich war noch nie so froh, nach Hause gehen zu können wie nach dieser Schicht. 

Man bekommt viel zurück 

Natürlich ist nicht alles schlecht gewesen, ich habe noch nie so viele herzerwärmende Momente erlebt wie in meiner Zeit dort. Eine Bewohnerin war 104 Jahre alt, als ich das in ihrer Akte zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, da sei etwas schiefgelaufen. Trotz ihres Alters war sie die fitteste von allen, sowohl physisch als auch psychisch. Sie hat sich morgens allein fertig gemacht, mit allem Drum und Dran, ist mit ihrem Rollator über die Gänge geflitzt und war immer die Erste, die morgens beim Frühstück saß. Einmal war sie wie vom Erdboden verschluckt, wir mussten das ganze Heim nach ihr absuchen, bis sie jemand draußen vor dem Haus entdeckte. Sie wollte einfach nur eine Runde spazieren gehen, denn „da drinnen wird man ja auf Dauer verrückt!“ 
Man darf nicht vergessen, dass man die Menschen begleitet. Dass man für sie da ist, denn manchmal haben sie keine Familie mehr – und dann erzählen sie uns ihre Geschichten, singen uns Lieder vor und zeigen ihre Dankbarkeit. Eine Patientin bedankte sich wortwörtlich für jede Socke, die ich ihr anzog. Man bekommt so viel Dankbarkeit zurück, wenn man ihnen hilft. 

Das Allerwichtigste 

Was ich aus meiner Zeit im Altersheim mitgenommen habe, neben Lebensweisheiten und Schicksalen, ist der Respekt vor dem Älterwerden. So einfach wie es klingen mag. Ich könnte nicht sagen, was ich schlimmer fand; Patienten, die im Kopf fit waren, aber bettlägerig, weil der Körper nicht mehr mitmachte, oder körperlich fitte Bewohner, die im Kopf nicht mehr mitkamen. Das Allerwichtigste ist und bleibt Gesundheit – und wenn man die nicht mehr hat, dann sind Menschen umso wichtiger, die sich gut um einen kümmern.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es noch viele Menschen da draußen gibt, die wie geschaffen für diesen Job wären, aber trotzdem lieber einen anderen Beruf ergreifen, bei dem die Arbeitsbedingungen weniger schlecht sind. Mein Appell an Politiker, Entscheider und Macher: Verändert etwas, macht den Beruf des Pflegers zu einem wertvollen Beruf und seht zu, wie Menschen Menschen helfen.

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