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Alles aus den Fugen – Warum mich 2018 maximal verwirrt hat

Alles aus den Fugen – Warum mich 2018 maximal verwirrt hat
© Getty Images
Unsere Autorin hat das Jahr 2018 ordentlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Noch nie fiel es ihr so schwer wie jetzt, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.
von Miriam Kühnel

Noch nie in meinem Leben war ich so verwirrt. Noch nie hatte ich so wenig Ahnung, was richtig ist und was falsch. Noch nie fühlte sich die Welt für mich so wackelig an.

Wir zählten rückwärts ab 10. Wie immer. Sektkorken knallten. Wie immer. Feuerwerk erhellte zuckend den Nachthimmel. Wie immer. Und trotzdem fühlte sich dieser Jahreswechsel anders an, als jeder andere zuvor.

2018, das Strohhalm-Jahr

Wie sich am Silvesterabend herausstellte, war ich mit diesem Gefühl nicht alleine. Meine Freundin Eva nannte 2018 das "Strohhalm-Jahr". Das Jahr, in dem Dinge plötzlich in Frage gestellt wurden, die immer fest zu unserem Leben dazugehört hatten. "Und versteht mich nicht falsch, ich bin heilfroh, dass diese Plastik-Schweinerei ein Ende hat!", erklärte sie uns entschuldigend. "Aber dass es jetzt nie wieder gelbgestreifte Plastikstrohhalme gibt, verwirrt mich trotzdem irgendwie." Ich finde, der Strohhalm ist ein wirklich gutes Beispiel. Denn jede Veränderung wirft ja Fragen auf. Zunächst mal die nach Alternativen. Letztens habe ich zum Beispiel eine hohle Nudel in meinem Cocktail gefunden. Erst fand ich das prima. Dann wurde ich unsicher. Ist es ok, einen Cocktail mit einer hohlen Nudel zu schlürfen, obwohl anderswo Menschen hungern? Ist es überhaupt ok, einen Cocktail zu schlürfen, wenn andere Menschen hungern? Ich glaube, wer sich eine Frage stellt, bekommt als Antwort hundert weitere Fragen geschenkt. Und in diesem Jahr waren diese Fragen alles andere als bequem. 

Mein Freund, der AfD-Wähler

Ein anderes verwirrendes Feld: Politik. Es ist schon lange beängstigend, dass mit Trump, Erdogan, Putin, Prinz bin Salman, Kim Jong-un und Co. die Weltpolitik auf verstörend instabilen Beinen steht. 2018 drehte sich aber auch der Wind in unserem Umfeld. Wenn man wie ich ein dunkelhäutiges Kind großzieht, sind die Bilder und Parolen all der "besorgten Bürger" in Chemnitz schon schwer zu ertragen. Wenn dann aber im eigenen Ort – gefühlt immer ein bisschen Bullerbü – die AfD über elf Prozent der Stimmen holt, dann gerät ein sicher geglaubtes Zuhause-Gefühl plötzlich ins Wanken. Letztens erzählte mir ein guter Bekannter, dass er einer der vielen AfD-Wähler ist. Ich war wütend und enttäuscht. Nicht nur seinetwegen, sondern auch über meine eigenen Gedanken, die in diesem Moment sogar die Richtigkeit unserer Demokratie und dem damit verbundenen Wahlrecht anzweifelten. Unsere Demokratie, unser Wahlrecht: Grundfeste, an denen ich nie zu rütteln gedachte. Nicht mal gedanklich. Auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde.

Was darf ich essen? Wo kaufe ich wie ein?

Auch ein großes Thema 2018: Essen und Kleidung. Studien über Studien haben in den letzten Jahren die Medien überschwemmt. Rotes Fleisch soll plötzlich gesund sein. Low Carb lässt uns früher sterben. Soja und Avocados sind in puncto Umweltbilanz der Teufel. Obst ist so schädlich wie Süßigkeiten... die Liste ließe sich beliebig erweitern. Um ehrlich zu sein, wusste ich letztes Jahr echt nicht mehr, was ich essen soll. Saisonal und regional wäre wahrscheinlich die richtige Antwort. Aber was geschieht dann mit all den Menschen, deren Lebensgrundlage der Export exotischer Früchte ist? Und wie ordne ich den Fernsehbericht ein, in dem eine Näherin unter Tränen darum bat, nicht auf die billig im Ausland produzierten Waren zu verzichten, weil sie dann gar nichts mehr habe, um ihre Kinder zu ernähren? 

Ist Papier besser als Plastik?

Auch dass unser Supermarkt nur noch Papiertüten anbietet und nicht mal mehr am Gemüseregal Plastik verfügbar ist, hat mich erst jubeln lassen. Dann der Dämpfer. Haben wir nicht eigentlich auch ein Rodungsproblem? Wie viele Bäume sterben für all diese Papiertüten? Letztens habe ich bei GEO einen Artikel darüber gelesen, dass nachhaltiger Konsum nicht funktioniert, denn "wer Nachhaltigkeit will, muss auf Wirtschaftswachstum verzichten können", so die These des Autors. Uff. Aber was bedeutet das für mich als Privatperson? Wie soll ich leben? Was soll ich meinen Kindern beibringen? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht mehr.

Die Böller-Debatte war konsequent

Trotz aller Verwirrung und trotz all der dröhnenden Fragen im Kopf: 2018 war in vielerlei Hinsicht ein gutes Jahr. Was das Bewusstsein und das Verantwortungsgefühl zum Thema Umweltschutz angeht, bin ich beeindruckt von einem neuen Bewusstsein und der Bereitschaft, Gewohnheiten zu hinterfragen. Dass das private Feuerwerk zu Silvester von so vielen Menschen boykottiert wurde, ist beeindruckend konsequent und passt zu diesem Jahr, in dem sich so viel in Bewegung gesetzt hat. Die Nachricht von Alexander Gerst aus dem All ist wohl das, was der Welt in 100 Jahren einfallen wird, wenn man die Jahreszahl 2018 nennt. Zu Recht, denn der Wind dreht sich. Unsere Verwirrung? Vielleicht der notwendige Preis, den wir bezahlen, um die Welt doch noch vor uns selbst zu beschützen. Ich hoffe bloß, dass sie auch Vorbote einer neuen Klarheit ist, die auf uns zukommt. 

Ergo

Was ich persönlich mit meiner Verwirrung mache? Ich habe beschlossen, mich im nächsten Jahr gezielter zu informieren. Weniger www.mumpitz.de, mehr echte Gespräche mit Experten. Ich werde euch wissen lassen, was sie mir erzählt haben.

Auf bald, hier bei BARBARA. Dann hoffentlich mit mehr Antworten als Fragen. 

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