Barbara: Annette! Eigentlich soll das hier ein Gespräch über das Glück werden, und ich könnte mir keine bessere Gesprächspartnerin dafür vorstellen als dich.
Annette: Aber?
Ich muss dann doch mit Unglück anfangen: Hast du inzwischen dein Pierre-Littbarski-Trauma überwunden?
Nein. Herrje.
Wir müssen das den Leserinnen und Lesern erklären: Als du so um und bei zwölf Jahre alt warst, hast du für den 1. FC Köln geschwärmt.
Das tue ich heute noch. Damals aber eben besonders für deren Spieler Littbarski. Ich war fest davon überzeugt, dass es nur zu seinem Besten wäre, wenn wir beide befreundet wären, und das habe ich ihm geschrieben. Mit fixen Terminvorschlägen, wann ich ihn jeweils nach der Schule treffen könnte.
Wie hat er reagiert?
Gar nicht.
Oh.
Ich habe jeden Tag auf Antwort gewartet, nichts passierte, und ich habe am Abendbrottisch so getan, als ob mir das alles nichts ausmachen würde. Aber innerlich …
Ich weiß. Ich erinnere mich noch ganz gut: Man ist nie mehr so verletzlich wie zwischen zwölf und 17, da passieren einem schon grauenvolle Dinge.
Und die besten Dinge – aber das vergisst man so leicht. Und hat sich das eigentlich geändert?
Wie meinst du das?
Nimm zum Beispiel Instagram. Da postet man was nach einem Auftritt, und Dutzende von Leuten schreiben: "Sie machen das super!", "Du siehst toll aus!", "Danke für den schönen Abend!" – aber dann ist da dieser eine Kommentar: "Die blöde Trulla kann ich schon seit zehn Jahren nicht mehr sehen …" Und mit diesem einen verdammten Kommentar bist du den ganzen nächsten Tag beschäftigt und vergisst die guten.
Geht mir auch so. Ist das nicht komisch? Denn mal im Ernst: Uns beiden ist in diesem Jahrtausend so viel Gutes passiert, wir sind super im Geschäft, haben keinerlei Mangel an Anerkennung und inzwischen das Alter für eine gewisse Gelassenheit – und trotzdem fasst uns an, wenn da irgendjemand anonym querschießt.
Das ist etwas ganz Profundes: Auf der einen Seite ist in uns dieser ewige Wunsch nach Anerkennung, auf der anderen Seite die ständige Ausschau nach Gefahr. Menschen haben Angst, und dagegen wappnen sie sich. Mich fasziniert tatsächlich schon lange die Frage, wie man diese Waffen ablegen kann. Wenn dir einer ein Messer hinterherwirft – wie schön wäre es, dann zu sagen: Mir doch wurscht, ist nur Gummi.
Und dennoch, um jetzt mal die Kurve zu bekommen, bin ich fest davon überzeugt: In unser beider Fällen kann man von einem glücklichen Verlauf sprechen, teils durch uns selbst, teils durch andere Menschen, teils durch Begünstigung durch das Universum.
Ja, es ist ein Riesenglück. Bei mir war das von Anfang an so, ich habe mich schon als Kind extrem geborgen gefühlt. Als Erwachsene habe ich gemerkt: Das ist wirklich selten. Da gab es diese eine Situation an der Schauspielschule: Wir Schüler sollten ein schlimmes Erlebnis aus der Kindheit aufschreiben und auch vortragen. Ich habe also geschrieben und dann zugehört, was die anderen erlebt hatten – die heftigsten, traumatischsten Sachen, irgendwann hab ich Rotz und Wasser geheult.
Und dann warst du an der Reihe.
Und ich sagte, ich würde meins jetzt lieber nicht vortragen.
Aber du musstest.
Klar, keine Chance auf Gnade. Meine Geschichte ging so: Ich bin als Fünfjährige in einem Babykostüm zum Karneval gegangen, und ich war fest davon überzeugt, dass ich die geilste Verkleidung hatte.
Lass mich raten: Die Kostüme wurden prämiert.
Richtig. Der dritte Platz wurde aufgerufen, der zweite – beide Male jemand anders, klar –, und als es dann hieß "Der erste Platz geht an …", hab ich mich schon auf den Weg nach vorn gemacht.
Sorry, wenn ich mitten in dein Kindheitstrauma lache, aber das ist jetzt schon sooo lustig …
Fand ich damals nicht, als "der jecke Cowboy" zum Sieger ausgerufen wurde. Aber dann!
Ich bin gespannt!
Ich bin direkt aus dem Saal gerannt, meine große Schwester mir hinterher, und sie fragte mich: "Annettchen, was ist los?" Ich habe mit bebenden Lippen was von "Kein erster Preis" geschluchzt. Und was sagt meine tolle Schwester?
Na?
"Stimmt doch gar nicht! Du bist doch auch auf dem ersten Platz, bist nur zu schnell weggelaufen, deshalb hast du’s nicht mehr mitbekommen!" Ist das nicht großartig? Sabine hat den einzigen Hebel gefunden, um mir in dieser Sache ein Happy End zu bereiten.
Schon. Aber jetzt stelle ich mir gerade die Leute an der Schauspielschule vor. Wenn das der größte anzunehmende Unfall deiner Kindheit war …
Die waren alle fassungslos, tja, was sollte ich machen. Natürlich habe ich wie wir alle auch ganz andere Verletzungen erfahren, aber spontan fiel mir nun mal diese ein. Aber ich kenne auch Beispiele von vielen glücklichen Menschen, die eine gruselige Kindheit hatten. Wie also misst man eigentlich Glück? Was sind die Parameter?
Da fragst du genau die Richtige, denn ich habe Internet, und ich habe recherchiert.
Kannst du dieses Recherchieren spezifizieren?
Natürlich: Ich habe den ersten Treffer bei Google zum Thema "Glück" angeklickt. Demnach gibt es vier Faktoren für ein glückliches Leben. Wollen wir die mal zusammen durchgehen?
Au ja!
Glücksfaktor eins: Gesundheit.
Okay. Wie sieht’s denn da bei dir so aus?
Ich habe mich gerade komplett durchchecken lassen. Es kam heraus, dass ich den Gesundheitsschnitt von ganz West-Berlin anhebe. Und ganz ehrlich: Ich lebe nur von Bio-Zeugs und habe seit 1986 keine Fanta mehr getrunken – wenn sich das nicht in den Werten widergespiegelt hätte, wäre ich ziemlich pissig geworden.
Aber wie schön, das mit den Werten.
Der Arzt war auf jeden Fall beeindruckt. Nur die Darmspiegelung musste ich zweimal machen. Ich hatte die Sache mit dem "Vorher nichts essen" nicht so ernst genommen … Egal. Jetzt drücke ich allen jedenfalls noch penetranter rein, wie Bombe mein Cholesterinspiegel ist.
Dann möchte ich bitte gerne nicht über meinen Cholesterinspiegel sprechen. Was hätten wir sonst noch? Ach ja, da wäre was: Seit dem ersten Tag Lockdown habe ich so ein Hüftdings linksseitig …
Kleines Zwicken? Das geht noch durch, finde ich. Gesundheit also: check! Glücksfaktor zwei wären dann Beziehungen. Da kann ich gleich mal vorlegen.
Und wie?
Indem ich sage: Meine Beziehung zu meinem Mann ist alternativlos. Einen Menschen gefunden zu haben, bei dem man ganz sicher ist, dass man wegen ihm nicht mit jemand anderem zusammen sein möchte – also jedenfalls nicht für längere Zeit –, das ist für mich eine wichtige Erkenntnis.
Gut! Ich habe meinen Mann jetzt ein paar Tage lang nicht gesehen, und weißt du was? Ich kann’s kaum erwarten, zu ihm nach Hause zu fahren. Und das nach 20 Jahren. Das sagt alles, glaube ich.
Er sieht aber auch wahnsinnig gut aus.
Er sieht wirklich gut aus. Manchmal ist er ein bisschen kindisch, aber insgesamt dann doch ein sehr netter Mensch, das finde ich auch nicht unwichtig. Ich glaube, auch dieses Kästchen können wir abhaken: Wir beide haben sehr viel Glück auf der Beziehungsebene.
Okay. Kommen wir zum Glücksfaktor drei: Beruf.
Tja. Hier verbietet sich jedes Wort. Wenn man so viel Schwein hat, wenn einem rein beruflich so viele Glückskekse aus der Fresse fliegen, dann sollte man die aufsammeln, aufessen und sich übers Dickwerden freuen.
Das, äh, ist jetzt ein ziemlich schiefes Bild.
Aber wir wissen, was gemeint ist. Faktor vier, bitte.
Gern. Der ist, warte eben … Ah, hier: Freiheit.
Oh. Interessant. Ich hätte jetzt eher Freundschaft erwartet, aber Freiheit ist natürlich auch spannend.
Das stimmt. Gerade wenn man drüber nachdenkt, was zuerst da ist. Also: Macht Freiheit glücklich? Oder ist es eher so, dass Glück frei macht?
Wär schön, wenn du das jetzt erklären könntest.
Ich denke, je wohler man sich in seinem eigenen Körper, in seinem eigenen Leben fühlt, desto mutiger ist man. Und so macht und sagt man Dinge, die man sich vorher nicht getraut hätte, weil man einen Schutz spürt, den das Glück einem verschafft.
Ah, okay. Ist was dran. Als 2003 mein Vater viel zu früh gestorben ist, ging es mir ein Jahr lang nicht gut, da habe ich an dieser Schutzlosigkeit geschnuppert. Das war der erste große Einschnitt, und ja, das Unglück hat mich gefangen genommen. Aber ich dachte gerade an eine andere Art von Freiheit.
Nämlich?
An unser Glück, in dieses Land hineingeboren worden zu sein. Wo man tatsächlich die Freiheit hat, alles denken und sagen zu dürfen, das haben wir ja in den vergangenen eineinhalb Jahren gesehen. Niemand ist für das verhaftet worden, was er oder sie öffentlich gesagt hat. Freiheit ist für mich aber auch, so arbeiten zu dürfen, wie ich es möchte, in einem Umfeld, das ich mir aussuchen darf.
Also auch hier: check. Haken an die Freiheit.
Krass, wie oft bei uns beiden der Jackpot die letzte Stunde geklingelt hat. Man muss sich uns beide wohl als glückliche Menschen vorstellen.
Aber wann bist du am glücklichsten?
Guck mal, ich hatte einen langen Tag, es ist halb zehn am Freitagabend, ich bin 500 Kilometer entfernt von zu Hause. Aber es ist so toll und lustig mit dir, wir haben es schön zusammen, und mir geht es gerade extrem gut. Ist das jetzt schon Glück? Weiß ich nicht, ist mir auch scheißegal, ich weiß nur: Es ist definitiv das Gegenteil von Unglück, und das darf ich sehr oft in meinem Leben erleben.
Vor ein paar Jahren habe ich so ein Gespräch wie heute mit dir mit Robbie Williams geführt. Der hat gesagt, er würde das Glück jederzeit gegen Zufriedenheit eintauschen.
Interessant. Das ist ein guter Grundzustand und wichtig für so einen extremen Typen wie Robbie, der ja auch lange mit Süchten zu kämpfen hatte. Spontan ist es mir zu wenig überschwänglich.
Ich bin auch mehr der Typ für bedingungslose Euphorie. Ich kenne Menschen, die antworten auf die Frage, wie es ihnen geht: Wir sind zufrieden. Ganz ehrlich: Das ist komplett inakzeptabel für mich. Ich liebe es, wenn Menschen grundlos zu begeistern sind!
Das kann ich sehr gut verstehen, ich finde auch Eskalation super und wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Aber dann kannst du ja bestimmt deine eigene Frage beantworten. Die nach dem glücklichsten Moment.
Das wurde ich neulich tatsächlich gefragt.
Was hast du gesagt?
Ich habe gesagt: Im Sommer in einem See in Schweden schwimmen. Dann habe ich eine kurze Pause gemacht und hinzugefügt: Nackt. Und weißt du, wer mich das gefragt hat?
Na?
Elon Musk.
Huch.
Das war in einer Runde von etwa 40 Männern, und ich konnte nicht widerstehen, denen ein Bild in den Kopf zu pflanzen.
Und seien wir doch mal ehrlich: So ein See in Schweden ist kalt, man kommt mit komischen Wasserpflanzen in Berührung, muss irgendwann bibbernd raus … Ob das wirklich Glück ist, wage ich zu bezweifeln. Aber diese 40 Männer, die sich über dich krankgelacht haben, hast du in diesem Moment sehr glücklich gemacht.
Und Elon Musk.
Und genau darum geht’s doch: auch mal ein bisschen Glück weiterzugeben. Sogar an Elon Musk.