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Chaos in der Notaufnahme: Der vergessene Patient!

verarzteter Teddy – Notaufnahme
© Getty Images
Im Krankenhaus ist niemand gerne. Dass die dortigen Behandlungsmöglichkeiten durch Einsparungen immer schwieriger werden, macht es nicht besser. Unsere Autorin berichtet von ihren Erfahrungen aus der Notaufnahme.
von Julia Stock

8.20 Uhr: "Auto von links" – BUMS

Mehr erinnere ich nicht von meinem Unfall vor zwei Wochen. Es ging alles sehr schnell. Mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. Da war ein großes Auto, das mir die Sicht versperrte und plötzlich kam da dieser Smart. Dann wurde es dunkel. Als nächstes erinnere ich drei Köpfe schemenhaft über mir und dann den netten Rettungssanitäter. Auf dem Weg ins Krankenhaus fragte er mich, welcher Tag heute sei. Darauf hatte ich keine Antwort. "Ist nicht so schlimm, das kommt schon wieder.", sagte er. 

8.50 Uhr: Notaufnahme – "Wir machen ein CT"

Das schnappte ich in meiner Benommenheit auf. Da waren ein Arzt und eine junge Ärztin in Ausbildung, die mich begutachteten und Dinge fragten, die ich nicht einordnen konnte. Dann kam ich in den Flur der Notaufnahme, wartete im Liegen. 

10.00 Uhr: "Es dauert noch, bis Sie ins CT können"

Ein Mann, der hoch infektiös war, wurde von vermummten Pflegern ins CT begleitet. Eine Frau fragte, wann ihre Mutter endlich drankäme, sie seien nun schon 6 Stunden in der Notaufnahme. Die Apparatur müsse erst desinfiziert werden und dann trocknen, war die Antwort des Radiologen. Weiter warten. Irgendwann wurde ich aufgerufen und zum CT gefahren. Einmal drin, hieß es für mich einatmen, ausatmen und hoffen, dass alles heile ist.

11.12 Uhr – Übelkeit: "Kannst du mir eine Spukschale besorgen?"

Mein Kopf drückte, Gedanken drehten sich und ich lag wieder auf dem Flur der Notaufnahme. Eine Freundin kam vorbei. "Kannst du mir eine Spukschale besorgen?", fragte ich sie, weil mir nach dem CT ziemlich übel war. Von einer Schwester war nichts zu sehen.

11.40 Uhr: "Sie sind ein grenzwertiger Fall"

Na toll. Der Arzt erklärte, dass mein CT ohne Befund sei – Juhu! Wenn ich wollte, könnte ich nach Hause. Oder eben auf Station bleiben, 24 Stunden zur Beobachtung. Wegen meiner Übelkeit fände er das besser. Es gab mal einen Fall, erzählte er, da hätte jemand Zuhause ein Blutgerinnsel im Kopf bekommen, das sei dann doof gewesen. "Und Sie sehen auch nicht so gut aus.", ließ er noch anklingen. Also blieb ich. "Kann ich ein Schmerzmittel bekommen, und etwas Wasser?" fragte ich noch. Das ging.

12.05 Uhr: "Meine Güte, ist das viel Blut!"

Wir lagen meist zu fünft im Flur der Notaufnahme. Reizarm war das nicht. An Schlaf war nicht zu denken. Die Patienten waren ganz unterschiedlich. Fußverletzungen, stationäre Patienten, die nur zum Röntgen kamen, Handverletzungen, ein Bewusstloser. Bis dahin wenig Blut. Doch dann kam die Aufruhr: Ein älterer Mann, der schon länger sehr ruhig auf seinem Bett gelegen und sich den Rücken gehalten hatte, lag in einer Lache aus Blut. Eine Lernärztin rief schnell einen Pfleger und sie schoben ihn in einen Behandlungsraum. 

12.44 Uhr: "Also hören Sie mal, ich warte schon eine Stunde!"

Dann kam der Stinkstiefel. Ein älterer Mann mit einem dicken Arm lief durch die halbe Notaufnahme, um verärgert auf sich und seine Beschwerden aufmerksam zu machen. "Das ist hier im Krankenhaus passiert!", tobte er lautstark. Später erklärte mir ein Arzt, dass sich immer mehr Patienten in der Notaufnahme vorstellten, weil sie glaubten, schneller behandelt zu werden als beim Arzt. Und dann wundern sie sich, dass echte Notfälle Vorrang haben.

14.26 Uhr: "Ich besorge Ihnen ein Bett, aber es kann einen Moment dauern"

In den vergangenen Stunden konnte ich bereits beobachten, dass es immer eine Weile dauerte, bis Patienten auf Station gebracht wurden. Bei mir war das nicht anders. Ich bat um einen weiteren Cocktail gegen die Schmerzen und drehte mich um. Schlafen. Endlich mal schlafen.

15.40 Uhr: "Etwas eng hier, was?"

Als ich kurz austreten war, wurde ein älterer Mann neben mich geschoben. Er trug eine Maske, sah etwas ungepflegt aus. Unsere Betten standen Kante an Kante.  "Etwas eng hier, was?", sagte er während ich auf meine Liege kletterte. Was der wohl hat, fragte ich mich. Etwas Ansteckendes? Nicht drüber nachdenken... 

16.23 Uhr: "Mir wird schwarz vor Augen"

Da lag ein Mann, der zuvor bereits verwechselt wurde, weil er Tätowierungen an den Armen hatte (wie ein weiterer Patient). Er klagte über eine Schulterverletzung und eine Gehirnerschütterung. Ihm ging es die ganze Zeit schon nicht so gut. Die Schmerzmittel reichten ihm nicht, er musste auf Toilette, sollte aber noch warten. Als das Personal weg war, ging er eigenmächtig. Als er zurückkam wurde ihm schwindelig. Der Arzt schnellte herbei, hob seine Beine in die Höhe und gab ihm eine Kochsalzlösung. 

17.05 Uhr: Endlich etwas Feines zu essen!

Eine Freundin hatte mir angeboten, ein paar Klamotten vorbeizubringen – und brachte etwas zu essen mit. Endlich! Seit dem Frühstück war kein einziger Bissen bei mir gelandet. Und auf der Station war ich noch nicht angekommen. Ich hatte schon so lange nichts mehr gegessen, dass ich den Hunger kaum noch spürte. Was machen bloß Menschen, bei denen keiner mal kurz vorbeikommt?  

17.29 Uhr: "Sie sind ja immer noch hier!"

Ungläubig kam der Arzt auf mich zu und war verwundert, dass ich noch immer nicht auf Station war. "Sie sind ja immer noch hier!", sagte der aufgebracht. Fünf Minuten später kam dann aber tatsächlich der Patienten-Transport. Endlich!

18.12 Uhr: Allein auf Station

Der Mann vom Transport war völlig gestresst und meinte, dass bei ihnen 10 Mitarbeiter krank seien. Das erklärt, warum ich vier Stunden warten musste, um ein paar Stockwerke höher gebracht zu werden. Ich bekam ein Einzelzimmer in der Neurologie. Das Abendbrot wartete auch schon auf mich: zwei labberige Brotscheiben, Frikadellen und eine Scheibe Wurst. Ich hatte Durst! Bei Gehirnerschütterungen soll man viel trinken. Ein halber Liter in 10 Stunden Notaufnahme reichte da wohl nicht. Also stürzte ich erst einmal das runter, was da war. Wann ein Arzt komme? Morgen zwischen sieben und acht. Dann gäbe es auch Frühstück. Bis dahin: Ruhe.

Der Morgen danach

Um sieben Uhr am nächsten Morgen kam das Frühstück. Den Arzt sah ich erstmal nicht. Bis um kurz vor zehn. Ich könne nach Hause, wenn ich wollte. Allerdings wollte Frau Doktor noch einmal mit dem Bericht, Medikamenten und Handlungsempfehlungen zurückkommen. Passierte nicht. Dafür kam 30 Minuten später der Mann vom Stations-Empfang. Wann ich abgeholt würde? Ähm, also Frau Doktor wollte ja nochmal kommen. Die sei nun aber im OP. Also rief ich eine Freundin an, die mich nach Hause fahren wollte. Um 11 Uhr stand sie unten bereit. Ich nicht. Ich hatte noch einen Zugang im Arm. "Kommen Sie rum, den ziehe ich Ihnen eben so." Wirklich? Dann ging es endlich nach Hause, in ein dunkles Zimmer. Ich schlief drei Tage lang. Dann war ich gesund. 

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