Barbara: Frau Behrmann, wie kommt eine Paartherapeutin auf die Idee, sich auf Trennungen zu spezialisieren?
Dorothea Behrmann: Meine eigenen Eltern haben sich sehr böse und zerstritten getrennt, als ich sieben Jahre alt war. Das war schrecklich für mich, ich saß immer zwischen den Stühlen, meinen Vater durfte ich nur alle drei Wochen sehen, weil meine Mutter nicht wollte, dass ich ihn zwischendurch treffe. Und dann bin ich Paartherapeutin geworden, weil ich dachte: Alle Paare müssen gerettet werden.
Und?
Tja, wer kam zu mir in die Praxis? Paare, bei denen nichts mehr ging. Bei denen sich einer von beiden innerlich schon längst verabschiedet hatte, wo kein liebevoller Blick mehr ausgetauscht wurde. Wenn noch gestritten wird, ist ja wenigstens noch Energie da. Aber wenn da nur noch Schweigen ist, bleibt eigentlich nur die Frage: Wie gehen wir jetzt bestmöglich auseinander? Es gibt zwar ein paar Ansätze aus der Paartherapie, mit denen man den Leuten helfen kann. Aber ein ganz spezifisches Arbeiten für die emotionale Begleitung von Trennung habe ich nur in den USA gefunden, wo das Coaching für "Conscious Uncoupling" entwickelt wurde, also für "bewusstes Entpaaren". Darin habe ich mich dann fortgebildet.
Man hörte den Begriff vor einigen Jahren, als Gwyneth Paltrow und ihr Mann Chris Martin erklärten, sie hätten sich "bewusst entpaart". Ehrlich gesagt dachte ich damals: Ach, diese amerikanischen Promis mit ihrem Positiv-denken-Getue, selbst nach einer Trennung darf man nicht mal leiden und wütend sein…
Es ist nicht das Ziel, mit dem Ex-Partner noch befreundet sein zu müssen. Sondern die Beziehung so friedlich und wohlwollend wie möglich zu beenden und sich und dem anderen zu verzeihen. Damit man wieder wirklich frei wird und in die Zukunft blicken kann. Ich finde, jeder, der sich von einer wichtigen Beziehung trennt, ob mit Kindern oder ohne Kinder, sollte das machen.
Sie arbeiten nicht mit dem Paar, sondern nur mit der oder dem Einzelnen. Warum?
Es gibt eine Trennung, aber zwei Geschichten. Es ist ja selten so, dass der eine sagt: "Weißt du, Schatz, ich denke, es ist besser, wenn wir uns trennen", und der andere sagt dann: "Ja, Liebling, du hast so recht, das denke ich auch schon die ganze Zeit." Meist ist es nur einer, der gehen möchte oder schon gegangen ist. Und dem geht es meist auch etwas besser als der Person, die verlassen wurde. Zu mir kommen vor allem diejenigen, die verlassen wurden. Für sie ist das Programm auch eher zugeschnitten. Es rufen bei mir aber auch die Partner an, die gegangen sind, und sagen: Ich weiß, dass ich ihn oder sie sehr verletzt habe, wie kann ich helfen?
Wie läuft so eine "bewusste Entpaarung" denn konkret ab?
Sie besteht im Wesentlichen aus fünf Schritten, die der Reihe nach durchlaufen werden. Im ersten Schritt geht es um den Umgang mit negativen Gefühlen, also diesen überwältigenden Gefühlen von Wut, Trauer, Hilflosigkeit. Gibt es etwas, das ich mache, um diese Gefühle nicht so stark spüren zu müssen, wie zu viel trinken, zu viel essen? Wie kann ich mich stattdessen ohne selbstschädigendes Verhalten beruhigen, was brauche ich? Es geht nicht darum, diese Gefühle zu negieren. Sondern im Gegenteil darum, sie zu spüren: Was fühlst du, und was fühlst du noch? Wenn man Gefühle benennt, werden sie sofort als nicht mehr ganz so überwältigend empfunden.
Wie geht es dann weiter?
Im zweiten Schritt geht es darum, aus der Opferrolle herauszukommen. Die Geschichte, die wir uns – und meist auch anderen – immer wieder erzählen, ist die, was der oder die andere einem alles angetan hat. Aber das führt zu noch mehr Ohnmacht. Und daher frage ich als Nächstes: Wie sieht die gleiche Geschichte denn aus einer sachlicheren Perspektive aus, wenn man sich auf die Fakten konzentriert? Und: Wie habe ich selbst zu der Situation beigetragen? Wenn ich meinen eigenen Anteil erkenne, ohne mich dabei abzuwerten, dann kommen wir wirklich weiter.
Aber wenn er nun mal Schuld und mich immer wieder betrogen hat …?
Selbst wenn der andere zu 97 Prozent Schuld hat, sollten Sie sich angucken, was die eigenen drei Prozent sind. Wenn Sie das nicht machen, kommen Sie nicht wieder in die Kraft. Es gibt ja gute Gründe, den anderen zu hassen und ewig auf ihn sauer zu sein. Aber helfen tut es nicht. Hass ist genauso stark wie Liebe, es ist ein Band.
Und was ist mit dem Gegenteil von Hass: Ich liebe ihn, und ich werde nie wieder jemanden so lieben wie ihn?
Es ist normal, dass man am Anfang so denkt. In Schritt vier frage ich Sie noch mal nach diesem Gefühl – Sie werden anders antworten. Sie wollen doch jemanden, mit dem Sie sein können, wie Sie sind, keine Rolle spielen müssen, sich weder über- noch unterordnen müssen. Wo Sie sich gesehen und geliebt fühlen. Und das ist nicht die Person, die sich von Ihnen getrennt hat.
Bislang ging’s noch nicht um den Ex-Partner oder die Ex-Partnerin, sondern nur um einen selbst.
Ja, in den ersten Schritten geht es ausschließlich um einen selbst, um eigene Gefühle, in Schritt drei dann um eigene Muster und Überzeugungen, die man aus der Kindheit mit in die Partnerschaft gebracht hat. Es hilft sehr, die zu erkennen – auch für zukünftige Beziehungen, die Sie wieder eingehen wollen. Um den Ex-Partner geht es erst in den letzten beiden Schritten. Da versetzen Sie sich in seine Lage: Wie ist es ihm wohl ergangen? Was schätzen Sie an ihm und an der gemeinsamen Zeit? Und welche alten Paar-Vereinbarungen wie "Ich bin immer für dich da" gelten nun nicht mehr, und wie könnten – Schritt vier – neue Vereinbarungen aussehen, zum Beispiel für die gemeinsame Elternschaft?
Und dann verabschiede ich mich?
Ja, mit einem Ritual. Der Partner muss dafür nicht anwesend sein, es reicht, ihn sich vorzustellen. Man bedankt sich bei dem Partner für die guten Dinge, die in der Beziehung stattgefunden haben, und verabschiedet ihn. Das kann man ausgestalten, wie man will. Eine Klientin hat beispielsweise Schiffchen mit Sätzen an ihren Ex in einem Fluss fortschwimmen lassen. Es ist sehr heilsam, etwas zu tun, das symbolisiert: Jetzt ist es wirklich vorbei.
Das Programm ist auf sechs Wochen angelegt. Das klingt ehrlich gesagt ganz schön ambitioniert.
Es kann sein, dass der eine oder die andere für einen Schritt etwas mehr Zeit braucht und wir eine Pause einlegen müssen, meist, wenn es darum geht, dem anderen wirklich zu verzeihen. Nicht indem man negiert, was er oder sie gemacht hat, aber indem man es loslässt. Und dann am Schluss, der Abschied – das tut noch mal weh. Da sagen einige: Ich merke, ich kann das noch nicht. Aber oft reichen die sechs Wochen doch aus. Man muss dazusagen, dass die meisten, die zu mir kommen, schon Vorarbeit geleistet und mit jemandem darüber gesprochen haben, und sie wollen nun wirklich aus dem Schmerz raus und weitergehen. Und wenn man sich ernsthaft der Trennung stellt, ist man ja schon ein Stück aus der kompletten Opferhaltung raus.
Ist tatsächlich jede gescheiterte Beziehung auch eine Chance?
Ich halte "scheitern" für das völlig falsche Wort. Ich glaube, jede Trennung ist eine Chance, eigenen Beziehungsmustern auf den Grund zu gehen. Und man kann sich immer gut trennen. Auch wenn man den anderen nie wieder sehen will. Auch wenn er einem übel mitgespielt hat. Dann kann man sagen: Du warst wichtig für mich. Danke, dass du mich aufgeweckt hast. Dass ich jetzt weiß, warum ich immer von Menschen angezogen werde, die mir gar nicht guttun.
Dorothea Behrmann ist ausgebildete Paartherapeutin und Trennungscoach. uncoupling.eu