Der Coolidge-Effekt sagt aus, dass unsere Erregung beim Sex mit dem gleichen Partner oder der gleichen Partnerin immer weiter abnimmt. Tauschen wir die Sexpartner:innen aber aus, hält die Lust weiter an. Aber kann da wirklich etwas dran sein? Darüber haben wir mit Beziehungscoach Dominik Borde gesprochen. Seit mehr als zehn Jahren unterstützt er Paare, Singles und Familien bei Beziehungsproblemen. Nun wollen wir von dem Experten wissen, ob der Coolidge-Effekt rechtfertigt, all unsere partnerschaftlichen Probleme auf die Biologie zu schieben, und was es wirklich damit auf sich hat. In seiner Beziehungs Academy SozialDynamik bringt er Menschen bei, erfüllte Beziehungen zu führen – und da gehört Fremdgehen im Normalfall nicht dazu.
BARBARA: Der Coolidge-Effekt klingt schon etwas demotivierend für so ziemlich alle Menschen in Langzeitbeziehungen. Woher kommt dieser Effekt denn überhaupt, der uns zur Untreue verdammt?
Dominik Borde: Benannt ist der Coolidge-Effekt nach folgender Anekdote: Der US-Präsident Calvin Coolidge soll in den Zwanzigerjahren mit seiner Frau eine Hühnerfarm besucht haben. Die beiden wurden getrennt herumgeführt. Mrs. Coolidge staunte darüber, dass es in dem Hühnerstall nur einen einzigen Hahn gab. Daraufhin erklärte der Farmer: 'Dieser Hahn kann bis zu zwölf Mal am Tag Sex haben.' Darauf meinte die Frau des Präsidenten: 'Na, sagen Sie das mal meinem Mann.' Der Präsident soll daraufhin den Farmer gefragt haben, ob der Hahn denn jedes Mal dieselbe Henne besteige, worauf der Farmer antwortete: 'Nein, jedes Mal eine andere.' Daraufhin sagte der Präsident: 'Erzählen Sie das bitte Mrs. Coolidge.'
Nun soll das aber auch auf uns Menschen zutreffen. Ist das bei jedem so, egal welchen Geschlechts?
Ursprünglich wurde bei Experimenten mit Ratten nachgewiesen, dass die sexuelle Lust des Männchens sinkt, wenn es immer nur mit demselben Weibchen Sex haben kann. Der gleiche Effekt wurde in Experimenten mit Hamstern beobachtet. Dabei wurde festgestellt, dass der Effekt auch bei Weibchen auftritt. Bei Menschen ist es genauso. Der Effekt betrifft sowohl Männer als auch Frauen und das ist ganz spannend, weil den Männern das Fremdgehen eher nachgesagt wird. Frauen empfinden aber die Vorstellung von Sex mit einem Fremden nachweislich als deutlich erregender als mit ihrem eigenen Partner. Bis zu acht Mal mehr wird die Vagina beim Anblick eines attraktiven Fremden durchblutet als bei einem attraktiven Freund oder dem eigenen Partner.
Heißt das nun, dass Frauen sogar eher zum Fremdgehen neigen als Männer?
Es gibt Überlegungen dazu, ob der Coolidge-Effekt bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern, da der Sexualtrieb bei Frauen in einer Beziehung durchschnittlich auch schneller nachlässt. Die Wahrheit ist: Männer sind eher monogam, weil Männer eher auf ein Ziel hinarbeiten, beispielsweise: 'Ich finde die richtige Partnerin, dann baue ich mir mein Haus, bekomme noch zwei Kinder und das soll dann immer so bleiben.' Frauen hingegen brauchen mehr Abwechslung und Veränderung. Sie sind viel offener für Abenteuer und außergewöhnliche sexuelle Erfahrungen, als man ihnen das allgemein zugesteht. Das heißt aber nicht, dass sie untreu sind. Sie wissen den Wert beständiger Beziehungen selbstverständlich auch zu schätzen, wünschen sich aber insgeheim oft, dass der Mann an ihrer Seite mehr sexuelle Abenteuer wagt.
Also wird es dem Hahn mit derselben Henne langweilig – und uns Menschen fehlt es übersetzt auch irgendwann an Abwechslung im Liebesleben?
Das Problem mit dem Kennenlernen ist: Irgendwann kennt man sich. Und die größte Herausforderung in Langzeitbeziehungen ist es, dauerhaft zu wollen, was wir schon haben. Damit eine Paarbeziehung auf Dauer gelingen kann, müssen wir zwei menschliche Grundbedürfnisse unter einen Hut bringen. Das eine ist das Grundbedürfnis nach Sicherheit: Wir wollen die gleichen Dinge, haben die gleichen Werte, Vorstellungen und Ziele im Leben, wollen uns geborgen und nah fühlen und streben nach Harmonie. Außerdem wollen wir uns auf den anderen verlassen können, wissen, was er oder sie denkt und brauchen eine gewisse Routine. Andererseits ist es aber so: Wenn du weißt, was passiert, wie es passiert und wann es passiert, dann wird das auf Dauer fade. Darum sehnen wir uns nach dem zweiten menschlichen Grundbedürfnis: Unsicherheit und Abenteuer. 'Sei mal eine Überraschung, sei mal nicht so berechenbar, sei mal ein bisschen weiter weg, damit ich dich auch mal vermissen kann oder auch mal schwer zu haben und nicht ganz so verbindlich.'
Wenn man das so hört, klingt es jetzt erst mal so, als würden die meisten Beziehungen uns nicht zufriedenstellen. Wir sollten uns also eingestehen, dass wir nicht nur Augen für unseren Partner oder unsere Partnerin haben?
Es ist so, dass wir nicht wirklich zur Monogamie gemacht sind. Sogar ein vorgestellter Kuss mit jemand Neuem kann spannender sein als ein echter und gleichzeitig fühlt man sich schuldig: Denn wenn das der Partner wüsste, wäre das vermutlich nicht so toll. Doch die meisten Menschen sehnen sich nach mehr Leidenschaft und mehr Abenteuer im Alltag. Da kann es helfen, wenn wir unser Monogamie-Denken ein wenig öffnen, beispielsweise indem ich mir mit meinem Partner einen Porno ansehe und wir uns davon gemeinsam antörnen lassen. Oder ich greife es auf, wenn ich bemerke, dass meine Partnerin den Kellner im Restaurant offenbar attraktiv findet und ermutige sie ehrlich dazu zu stehen mit einem: 'Den Kellner hast du schon ganz schnuckelig gefunden, oder?' Wenn wir offen darüber sprechen können, können wir den Kellner vielleicht sogar mit ins Schlafzimmer nehmen. Natürlich bleibt der Mann an sich im Restaurant, aber zuhause kann deine Partnerin daran denken, wie sie von dir und ihm berührt wird und diese Fantasie genießen. Oder wir sagen: 'Hast du schon mal über einen Dreier nachgedacht?' – und tauschen unsere Gedanken dazu aus. Wenn du mit deinem Partner oder deiner Partnerin über all diese Dinge reden kannst, ist das eine Belebung der Paarbeziehung mit neuen Impulsen.
Ein paar Beispiele waren gerade schon dabei, aber: Wie entfacht man wieder die Lust?
Grundsätzlich gilt: Tausche die Erwartungshaltung an den Partner gegen Dankbarkeit aus. Beginne damit zunächst, dir selbst die Frage zu stellen: So wie ich mich verhalte und bin, würde ich mich in mich selbst verlieben? Wenn nein: Ändere das! Sei selbst der Unterschied, den du dir in deiner Beziehung wünschst. Was kannst du tun, um dich lustvoll und sexy zu fühlen, was törnt dich an und was bringt dich in Stimmung? Langfristig glückliche Paare halten nicht am Status quo fest, sind bereit, Neues auszuprobieren und sich auch sexuell immer wieder ein wenig zu verändern. Sie lassen sich darauf ein, dass das Leben eben nicht immer so bleiben kann, wie es gerade ist und pflegen einen ständigen, offenen und ehrlichen Austausch über gegenseitige Wünsche und Bedürfnisse mit dem Partner. Dies ist für eine langfristig glückliche Beziehung unerlässlich, denn wie willst du dich von jemandem geliebt fühlen, wenn du dich nicht authentisch so zeigst, wie du wirklich bist? Die Liebe und die Aufmerksamkeit bekommt dann immer nur ein Schauspieler, aber nicht du.
Ok. Aber sich über neue Fantasien zu öffnen ist natürlich schwer – selbst oder gerade dann, wenn man sich lange kennt.
Natürlich ist es nicht leicht, wenn man nach Jahren der Routine oder des Schweigens über sexuelle Themen plötzlich riskiert, offen miteinander zu sprechen und ehrlich zu sagen, was man will oder nicht mehr will. Es ist schwierig und mitunter fast peinlich, sich in einer bestehenden Beziehung selbst neu zu erfinden und sich dem Partner anders zu zeigen, als der es von dir oder du selbst es mit ihm gewohnt bist. Am Anfang einer Beziehung traut man sich eher, alles Mögliche auszuprobieren, da noch weniger vom Bestehen der Beziehung abhängt als in einer Beziehung, in der durch Kinder, gemeinsame Freunde, gleichen Wohnort etc. mehr gegenseitige Abhängigkeiten bestehen. Wenn ich mich plötzlich anders als gewohnt zeige, werde ich womöglich abgelehnt oder noch schlimmer, alles, was wir uns bisher aufgebaut haben, könnte womöglich auseinanderbrechen. Doch wer nichts riskiert, riskiert am Ende alles!
Muss es denn direkt Sex sein oder bringt die Paare schon ein bisschen Nähe wieder mehr Stimmung?
Fest steht, je länger Paare keinen Sex haben, desto weiter wird der Weg zueinander. Doch die Basis von gutem Sex ist zunächst mal Vertrauen. Und die Lust vergeht uns, wenn wir Lust haben müssen oder uns zusätzlich noch unter Druck setzen, so nach dem Motto: Jetzt ist Wochenende und jetzt sollten wir mal wieder Sex haben. Das macht so sicher keinen Spaß. Es muss also keinen Sex geben, man kann auch einfach beginnen, sich wieder nah zu sein. Ein guter Anfang wäre, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, in dem wir uns als Liebespaar bewusst begegnen und uns beispielsweise 15 Minuten am Tag hinlegen, aneinander kuscheln und uns bewusst miteinander spüren. Denn was wir nicht üben, verlieren wir! Die meisten von uns haben ständig zu viel zu tun und zu wenig Zeit – und genau darin liegt ein weiteres Problem, da bleibt kein natürlicher Raum für Lust.
Wie sind denn Ihrer Ansicht nach die Chancen für die Liebe?
Die Liebe hat immer die besten Aussichten, aber die meisten Menschen schauen aus ihren Unsicherheiten und Widerständen in die Welt. Die beste Möglichkeit, um in jeder Beziehung unglücklich zu sein, ist, sich ständig nur auf sich selbst zu konzentrieren und darauf, was einem fehlt oder wovor man Angst hat. Die einzige Möglichkeit, eine Paarbeziehung dauerhaft zu verbessern, ist, Liebe als einen Ort zu betrachten, an den man geht, um zu geben. Jeder der beiden Partner muss den Standard an sich selbst erhöhen und nicht den an den Partner. Wir müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen und nicht mehr den Partner oder äußere Umstände zu beschuldigen, wenn uns im Alltag die Leidenschaft vergangen ist. Frage dich selbst: 'Was steht mir vielleicht innerlich noch im Weg, mich weiter in meiner Beziehung zu vertiefen, wo bin ich blockiert, mich fallen zu lassen und verhindere Wachstum? Was törnt mich an und macht mich besonders leidenschaftlich?' Und: 'Wie kann ich meinen Partner wieder liebevoller oder sexier betrachten?' Die Erwartungshaltung an das Gegenüber gegen Dankbarkeit zu tauschen, dankbar zu sein für denjenigen, der es die letzten Jahre mit dir ausgehalten hat, obwohl du nicht perfekt bist, das ist schon ein guter Anfang.
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