Disney-Prinzessinnen und Feminismus sind auf den ersten Blick zwei vollkommen voneinander abgegrenzt zu betrachtende Bereiche: Da haben wir auf der einen Seite die – größtenteils – weißen, jungen Frauen, die körperlich einem sehr ungesunden, absolut unrealistischen Körperideal entsprechen. Und auf der anderen Seite den Feminismus, der sich um Gleichberechtigung bemüht und die Frau als mehr sieht, denn als zu rettendes Objekt, das sich dem Patriarchat zu unterwerfen hat.
Sicherlich, auf den ersten Blick sind gerade die klassischen Prinzessinnen wie Cinderella (ehemals "Aschenputtel"), Arielle die Meerjungfrau, Belle, Jasmin und Rapunzel alles andere als ein Vorzeigebild für junge, unabhängige und starke Frauen: Ihrer aller Geschichte hat als Dreh- und Angelpunkt einen Mann. Wie heteronormativ. Und absolut nicht zeitgemäß, zumindest ist das die Anforderung vieler Menschen an unsere moderne, weltoffene Gesellschaft. Aber: Sind die Kritiken an diesen Disney-Prinzessinnen wirklich gerechtfertigt? Verbirgt sich hinter der allzu schönen Fassade nicht doch mehr?
Disney übt sich seit Jahren an einer heuchlerischen Meta-Kritik
So allgegenwärtig war die kritische Betrachtung von Disney-Prinzessinnen, dass der Megakonzern selbst mitmischte – und sich an Meta-Kritik übte, allerdings nicht durch Studien oder öffentliche Talkrunden mit Genderexpert:innen und dergleichen, sondern durch Filme mit einer anderen, "modernen" Form von Disney-Prinzessin: Elsa aus "Die Eiskönigin – Völlig unverfroren". Wahrlich "unverfroren" war dann auch der Umgang mit den Kritikpunkten im neuen Werk.
"Du kannst niemanden heiraten, den du nur einen Tag kennst."
Anna, die Schwester von Elsa und zweite Protagonistin, träumt nur von einer Sache: Endlich die große Liebe zu finden (und Schokolade zu essen, weil Mädchen Schokolade lieben, natürlich). Das scheint sie auch zu tun, denn auf einem Ball begegnet sie Hans und es ist wahrlich Liebe auf den ersten Blick – der sogleich von Elsa, die doch eigentlich nur ihren Segen hatte geben sollen, der Wind aus den Segeln genommen wird: "Du kannst niemanden heiraten, den du nur einen Tag kennst."
Es gab Disney-Prinzessinnen, die haben sogar weniger als einen Tag gebraucht. Der Film macht sich im Laufe der Geschichte auch durch die Figur von Kristoff über Anna und ihre Definition von "Liebe" lustig – und damit ja letztlich über Disney selbst, schließlich dürften sich Aurora ("Dornröschen"), Schneewittchen und Cinderella und ihr jeweiliger Prinz kaum länger als ein paar Stunden gekannt haben. Disney dreht sich damit zu den kritischen Zuschauer:innen um und sagt: "Haha, seht ihr? Wir finden das auch albern. Nun geht und schaut noch mehr unserer Filme, kauft das Merchandise und erstellt einen Account auf Disney+, wir sind ja schließlich alle auf derselben Seite der 'Wokeness'!"
Im Zweifel gewinnt Disney
Ziemlich zynisch und ziemlich heuchlerisch, schließlich kann es Disney ja am Ende aller Tage egal sein, was man von den Filmen hält, wie man zu der Darstellung der Frauen, der unerreichbaren Körperideale und der nur homöopathisch vorhandenen Diversität steht (auch wenn an dieser Stelle zugegeben werden muss, dass gerade neuere Werke wie "Encanto" und "Raya und der letzte Drache" Diversität sehr viel ernster nehmen. Disney lernt dazu). Sobald man im Kinosaal sitzt, den Film auf DVD schaut oder streamt, hat Disney gewonnen. Sicherlich können wir untereinander und mit unseren Kindern über den Sinn und Unsinn von Arielles Entscheidung diskutieren, für einen Mann ihre Stimme aufzugeben (was ganz so einfach auch nicht war), solange die Kinder "Arielle, die Meerjungfrau"-Puppen, -Kuscheltiere und -Bettwäsche wollen und bekommen, kann Disney sich auf die Schultern klopfen. Doch abgesehen von der heuchlerischen Meta-Kritik von Disney – gibt es gerechtfertigte Kritikpunkte an den älteren Disney-Prinzessinnen, die eines näheren Blicks würdig sind? In unserer Bildergalerie schauen wir uns ein paar beliebte Disney-Prinzessinnen mal genauer an.
Die Kritik an den klassischen Disney-Prinzessinnen ist gerechtfertigt – aber eben auch die anderen Seiten
Es gibt nicht nur die eine mögliche Sicht auf die "alten" Disney-Prinzessinnen und ihre Geschichte. Ein gutes künstlerisches Werk wird auch dadurch deutlich, dass unterschiedliche Menschen mit ihren individuellen Geschichten und Sichtweisen auf ebenso unterschiedliche Weise auf das Werk schauen und es bewerten.
Belle kann durch ihren Wissensdurst, ihre Intelligenz und Willensstärke als feministisches Vorbild gesehen werden – oder eben auch nicht, weil ihre Geschichte am Ende durch einen Mann bestimmt wird. "Die Schöne und das Biest“ kann gleichermaßen ein Märchen über Vergebung und Freundschaft sein, als auch ein Film, in dem die Selbstrealisierung der Frau vom Mann abhängig ist. Die heteronormative Sichtweise auf Arielles Geschichte ist genauso legitim wie die trans Sichtweise. Cinderella ist gleichermaßen ein Vorbild für Menschen in puncto Freundlichkeit und Hoffnung, wie sie unrealistische Körperideale und ungleich absurdere Erwartungshaltung an die Liebe repräsentiert.
Sichtweisen sind unterschiedlich und höchstwahrscheinlich ist Disney nicht dafür verantwortlich, dass kleine Mädchen Prinzessin werden wollen anstatt Ärztin oder CEO eines Megakonzerns – dafür sind wir alle mitverantwortlich. Und dagegen können wir auch alle gemeinsam und als Individuum angehen, indem wir uns über das Gesehene austauschen, reflektieren und kritisieren. Dabei aber bitte nicht auf die eine "korrekte" Interpretation beharren.
Verwendete Quellen: youtube.com, slate.com, time.com, womensrepublic.net, collider.com, buzzfeed.com, hateaid.org, lifeline.de, screenrant.com