BARBARA: Große Hochzeit in Weiß, Schrebergartenidylle, Bausparvertrag: Gibt es ein neues Spießbügertum?
Laura Kajetzke: Eher ein Spektrum. An dessen einem Ende stehen die extrem Konservativen, die intolerant, vielleicht sogar menschenfeindlich sind. Dann gibt es aber auch ökologisch-korrekte oder Outdoor-Spießer. Auch ihnen geht es darum, ihre Werte, ihren Geschmack und Lebensstil zur Schau zu stellen und zu sagen: „Schaut her, wir machen es richtig.“ Viele sind sich dessen sogar bewusst und gehen selbstironisch damit um, nach dem Motto: „So mache ich es eben, ich bin Teilzeitspießer.“
BARBARA: Woher kommt diese Haltung?
Es wird immer schwerer, das richtige Leben im falschen zu finden. Es gibt so viele Krisen auf der Welt, Unsicherheiten, unterschiedliche Lebensstile. Das schafft Sehnsucht nach Vereinfachung und Halt. Das Wort „Spießer“ ist heute wieder positiver besetzt, fast schon nostalgisch. Über diesen Begriff vergewissert sich die deutsche Mittelschicht ihrer selbst: Wer sind wir eigentlich? Wie wollen wir sein, wie wollen wir nicht sein?
BARBARA: Trotzdem besteht immer noch die Sorge, so zu werden wie die Eltern.
Ja, weil die Vorstellung damit verbunden ist, unflexibel zu werden, zu verharren, vielleicht nicht politisch genug zu sein. Doch man nähert sich den Werten der Elterngeneration zwangsläufig an, wenn man mehr verdient und Verpflichtungen hat.
BARBARA: Warum gab es früher mehr Revolte, Stichwort 1968 ...?
Es ist schwieriger geworden, Utopien zu formulieren. Damals war sehr klar, wogegen rebelliert wurde, heute ist die Gesellschaft komplexer, es gibt vielfältigere Kampffelder, gerade im Netz. Nehmen wir zum Beispiel die #MeToo- oder #MeTwo-Bewegungen, die richten sich ja auch gegen eingefahrene Strukturen, Doppelmoral und das, was hinter den Kulissen passiert.
LAURA KAJETZKE, 40, forscht auch zu anderen „Sozialfiguren der Gegenwart“, etwa Nerds und Hipster