Keine Räucherstäbchen, keine Engelfiguren, noch nicht mal Kerzen oder andächtige Musik. Birthe Krabbes braucht das alles nicht. Sie sitzt breitbeinig am Kopfende einer Liege und plaudert. Vor ihr eine Frau Ende 50, die seit Jahrzehnten an Migräne leidet. Die Beiläufigkeit, mit der Birthe Krabbes der Frau mit den Kopfschmerzen jetzt ihre Hände in den Nacken legt, erzählt schon eine Menge über die 55-Jährige: "Die Leute sollen sich nicht entspannen bei mir, jedenfalls nicht als Programm. Meistens rede ich, damit sie sich ganz normal verhalten."
Birthe Krabbes ist "Heilerin", so steht es auf ihrer Homepage. Sie ist damit eine von vielen, die seit einem Gerichtsbeschluss von 2004 ihren Beruf ohne Heilpraktikerprüfung legal ausüben dürfen. Darunter Menschen, die mit Naturkräften heilen, mithilfe von Engeln gar oder indem sie anderen schlicht ihre Hände auflegen. "Uns Heiler verbindet in der Regel, dass wir uns nicht in Konkurrenz zur klassischen Schulmedizin sehen und bei unseren Patienten die Selbstheilungskräfte fördern wollen", erklärt Birthe Krabbes. Es ist eine Welt, die man belächeln oder für völligen Blödsinn halten kann. Aber was, wenn doch was dran ist? Sind wir im Grunde nicht alle empfänglich für ein bisschen Aberglauben, Magie oder einfach Hoffnung – spätestens dann, wenn es uns schlecht geht und nichts anderes mehr hilft?
Die Kopfschmerzpatientin, die gerade noch mit verzerrtem Gesicht dalag, atmet jetzt tief, ihre Augen sind geschlossen. Später wird sie erzählen, dass Birthe Krabbes vor ein paar Monaten eine der Ursachen für ihre Migräne erkannt habe. Nur indem sie ihr die Hände auflegte, wusste sie, dass mit ihren Zähnen etwas nicht stimmte. Sie sollte das mal beim Röntgen überprüfen lassen, riet die Heilerin ihr. Ergebnis: zwei entzündete Zahnwurzeln. Inzwischen sind die Kopfschmerzen von Zeit zu Zeit wieder da. "Aber wenn ich bei Birthe war, geht es mir hinterher besser", sagt sie.
"Ich kann spüren wo es im Inneren stockt"
Wie muss man sich das, was Birthe Krabbes mit ihren Händen macht, vorstellen? Sie selbst beschreibt es so: "Meine Hand ist wie eine Pforte, durch die ich in den anderen hineingehe. Erst spüre ich ein Kribbeln, dann bewege ich mich durch den Körper." Sie kann nicht erklären, wie das funktioniert. Sie kann nur erzählen, wie sie es empfindet. "Ich kann spüren, wo es im Inneren stockt, wo es krisselig wird oder sich wie ein Zementblock anfühlt." Man könne sich das vorstellen wie bei einer Murmel, die durch eine Murmelbahn läuft und auf Hindernisse stößt. Oder wenn man mit Daumen und Zeigefinger außen an einem Kugelschreiber entlangstreiche. "Da merkt man auch, wo es eine Erhebung, einen Widerstand gibt." Genauso empfinde sie das bei ihren Expeditionen in andere Körper. Oft kann sie dann "etwas herausziehen", dort, wo es stockt oder hart ist. Oder sie verweist ihre Patienten und Patientinnen an Fachärzte. "Ich kann zwar fühlen, dass etwas im Bauch nicht in Ordnung ist, aber ich kann oft nicht sagen, wo genau."
Die etwas schnodderige und immer sehr direkte Art, in der sie sich ausdrückt, in manchmal witzigen, immer sehr konkreten Bildern, ist sicher ein Grund, warum ihr die Menschen schnell vertrauen. Sie inszeniert sich nicht, sie spielt nicht die Allwissende. Und sie spricht offen über ihre Zweifel an ihrer vermeintlichen Gabe. "Ich bin nicht der Überzeugung, dass man daran glauben muss, damit es funktioniert. Viele Patienten kommen und sagen: Ich bin skeptisch. Dann sage ich: Macht nichts, das bin ich auch."
Während sie erzählt, sitzt sie im Wohnzimmer ihres schmalen Reihenhauses im Hamburger Osten, solider Mittelstand zwischen Arbeitersiedlungen. Birthe Krabbes, Jeans, T-Shirt, kurze graue Haare, ist hier aufgewachsen, "ganz bodenständig, in einem Handwerkerhaushalt". Ihr Vater war Malermeister mit eigenem Betrieb. Sie hat Erzieherin gelernt, früh geheiratet, zwei Töchter bekommen und erst vor ein paar Jahren ihren heutigen Mann, einen Pastor, geheiratet. Sie liebt Heavy-Metal-Musik und verpasst kein Fußballspiel vom FC St. Pauli. "Ich war nie spirituell", sagt sie. "Ich bin mit meinem Vater auf dem Bau groß geworden. Die Sprache da ist direkt, oft barsch. Und es herrschen klare Regeln. Das hat mich geprägt."
Ungeahnte Talente
Dass sie eine besondere Fähigkeit besaß, ahnte sie lange nicht. Und so kam es, dass sie das erste Mal, als es passierte, nicht besonders ernst nahm. Ihre zweijährige Tochter hatte eine Warze unterm Fuß. Und weil sie ihr mögliches Herumschnippeln beim Arzt ersparen wollte, suchte sie nach jemandem, der die Warze besprechen würde. Um ihrer Tochter zu verdeutlichen, wie das ablaufen könnte, versuchte sie es selbst – auf ihre eigene Art, mit Händen und Worten. Wenige Tage später war die Warze weg. Sie erinnert diesen Moment als kurze Irritation. Als sie es ihrer Hausärztin eher beiläufig und verschämt erzählte, schickte diese ihr dann und wann erste Patienten, von denen sie glaubte, dass sie bei Birthe Krabbes gut aufgehoben seien: natürlich keine Krebspatienten, aber Kinder mit Warzen oder Mittelohrentzündungen und Erwachsene, die an einer Gürtelrose litten, an Rheuma oder an Migräne.
Aber einen Beruf daraus machen? Kam für Birthe Krabbes nicht infrage. Bis zu dem Moment, als ihr Mann im Krankenhaus lag. Halbseitig gelähmt nach einer schweren Erkrankung. Sie legte ihm intuitiv die Hände auf. Man ahnt es: "Am nächsten Tag konnte er gehen", erzählt sie – noch heute klingt selbst in ihrer Stimme leise Fassungslosigkeit mit. "Nach dieser Erfahrung dachte ich: Ich kann das zwar nicht verstehen, aber ich kann es ja mal öfter probieren und annehmen als Gabe, die ich habe."
Heute sagt Birthe Krabbes ganz selbstverständlich, Gürtelrosen seien einfach, die ziehe sie raus. Die Schmerzen könne sie den Betroffenen nicht nehmen, aber die Viren stoppen. Ihre Hand fühlt so etwas wie einen Kaugummi, der auf einer heißen Herdplatte klebt. "Und dann zieh ich diese zähe, heiße Masse heraus. Meine Handfläche ist hinterher rot." Eine Warze dagegen sei schon komplizierter, aber sie probiere es immer.
Was sagt die Wissenschaft?
Die meisten Wissenschaftler würden sich bei solchen Beschreibungen die Haare raufen, auch wenn einige durchaus einräumen, dass positive innere Bilder die Selbstheilung fördern. Sie erklären das, was Birthe Krabbes macht, mit dem Placeboeffekt: dass allein schon die Zuwendung und die Erwartung der Patienten Prozesse im Körper anstoßen, die zu einer Besserung führen. In der Schmerzforschung ist die Rolle von Endorphinen und Hormonen, die das Gehirn etwa bei Berührungen ausschüttet, schon gut erforscht. Wie hingegen das Immunsystem bei Gürtelrosen oder Warzen beeinflusst werden kann, weiß noch niemand so genau.
Für Birthe Krabbes spielen diese Erklärungen keine Rolle. Der Zuspruch ihrer Patienten und die Erfolge genügen ihr. Inzwischen hat sie ihren Beruf als Erzieherin aufgegeben, arbeitet nur noch als Heilerin. Zehn Patienten empfängt sie in der Woche. Rund 80 Euro nimmt sie für eine Stunde, mehr als 100 gilt in der Heilerbranche als unseriös. Sie habe Patienten aus allen Schichten und Jahrgängen, erzählt sie, einige aus der Schweiz, die direkt vom Flughafen kommen, andere von nebenan, die mit der ganzen Familie auftauchen. Manchmal macht sie auch Hausbesuche, zum Beispiel bei der alten Dame mit den Gleichgewichtsstörungen. Und greift zu unkonventionellen Mitteln: "Ich lege mich zu ihr aufs Sofa und halte ihr eine elektrische Zahnbürste hinters Ohr. Das hilft ihr." Vielleicht ist es aber gar nicht die bebende Bürste, vielleicht ist es nur die Zuversicht, die Birthe Krabbes ausstrahlt, und die Tatsache, dass sie ihrer allein lebenden Patientin so viel Aufmerksamkeit gibt. Sie sagt selbst: "Im Grunde gebe ich nur den Anstoß zur Heilung. Den Rest macht jeder selbst."