Ich habe mal irgendwo gelesen, dass jede Frau die Liebe ihres Lebens selbst gebären muss. Wer auch immer das geschrieben hat, ich finde diesen Jemand sehr lebensklug. Diese Sache zwischen Müttern und ihren Söhnen, die kann man ja eigentlich nicht beschreiben. Sie werden einem auf die Brust gelegt, irgendwer zerschneidet die Nabelschnur, sie sind so winzig und hilflos, so zerbrechlich und liebevoll, so ängstlich und überfordert von der Welt. Und genau so knien sie 14 Jahre später vor der Toilette und kotzen das Bier aus, das man ihnen verboten hatte. Sie sind vielleicht anderthalb Meter größer, lallen zwei Oktaven tiefer und sind 80 kg schwerer als nach ihrer Geburt, aber trotzdem sehen Mütter nie den Mann vor sich, sondern immer den Jungen. Selbst wenn dieser Junge nach Bierkotze stinkt.
Die hat gelitten
Seit mein Junge mit 12 beschlossen hatte, eine verwegene Surfermatte zu tragen und sich in auf halb acht sitzenden Hosen mit tiefen Einblicken in seine Unterwäschenwahl in die Schule zu begeben, bin ich mit meiner Liebe zu ihm nicht mehr allein. Erst war es ein kleiner Liebesbrief mit 27 Rechtschreibfehlern in seiner Federmappe. Dann riefen sie an. Kurz darauf brachte er sie mit. Sie hießen Lisa, Annabelle und Jane. Danach hab ich mir keine Mühe mehr gemacht, mir ihre Namen zu merken. Denn die wenigsten hielten sich Wochen. Die meisten eher ein paar Tage. Danach hatten sie gelitten. So sagte er das. Übersetzung für alle über 20: "Die hat genervt". Danach waren sie jedenfalls weg.
Mein Sohn ist Don Juan
Ich für meinen Teil fand das semigut. Mein Herz brach regelmäßig mit denen von Annabelle, Lisa, Sofie und Mia. Zu genau wusste ich noch, wie sich das auf der anderen Seite angefühlt hatte. Damals, als Torben, Christian und Florian sich so benommen hatten. Da hatte ich gelitten und war gegen die nächste ausgetauscht worden, als sei nichts dabei. Ich beschloss, mit meinem kleinen Frauenheld zu sprechen. "Mädchenherzen sind keine Spielzeuge", erklärte ich ihm und er tat furchtbar genervt. "Vielleicht hat die ein oder andere ja nur gelitten, weil du ihr besonders wichtig bist?", bohrte ich weiter. Dieser große Kerl rückte nah an mich ran und nahm mich ein bisschen mitleidig in den Arm. "Ach Mama, das verstehst du nicht!", brummte er mir mit seiner tiefen Stimme ins Ohr. "Das ist doch alles nur ein Spiel!" Und ich fragte mich traurig, was ich ihm über Frauen beigebracht hatte, dass er so mit ihnen umging.
Da ist ein guter Kerl drin
Ein paar Wochen später lernte ich Maja kennen. Maja war ein bisschen größer, ein bisschen lauter und ein bisschen spezieller als all die anderen Mädchen, die Don Juan mit nach Hause geschleppt hatte. Und dann passierte etwas, was mich wirklich überraschte. Maja nervte. Und zwar kolossal. Ich hörte sie zicken, sie mischte sich ein, sie kritisierte meinen Sohn, selbst vor mir. Manchmal gab sie mir sogar recht, wenn ich mit meinem Spross diskutierte. Und trotzdem: Maja blieb. Irgendwann traute ich mich, nachzufragen. "Warum hat Maja nicht längst gelitten?" Und wieder legte mein Sohn seinen Arm um mich. "Weil sie ne Meinung hat, Mama. Weil sie nicht alles gut findet, was ich gut finde. Und weil ich sie bewundern kann." Erst da verstand ich. Das Frauenbild, das mein Sohn hatte, war gar nicht so schlecht. Im Gegenteil. Er konnte einfach nur nichts anfangen mit kichernden, profillosen kleinen Mädchen, sondern brauchte eine Partnerin auf Augenhöhe. Die hatte er in Maja gefunden.
Was ich von meinem Sohn gelernt hab
Hätte ich meinen Sohn nicht bekommen, ich hätte noch heute wenig Ahnung von Männern. Ich würde bis heute nicht verstehen, warum Torben, Christian und Florian abgehauen sind. Warum ich gelitten hatte, auch wenn das früher keiner so nannte (ein Glück!). Auch ich hatte wie all die Lisas und Sofies erst lernen müssen, in Gegenwart eines Typen, den ich toll fand, ganz ICH zu sein. Und wahrscheinlich war es gut für mich gewesen, dass die Torbens und Christians mich dafür abgestraft hatten, ein profilloses Abziehbild meiner selbst abzugeben. Irgendwie musste ich es ja lernen.
Alles nur ein Spiel?
Irgendwann war Maja dann übrigens doch weg. "Ich hab gelitten" sagte mein Sohn mir mit einem traurigen Zwinkern. "Ich bin ihr zu nett!" Diesmal nahm ich ihn in den Arm. "Vielleicht ist das alles wirklich nur ein Spiel?", sagte ich nachdenklich. "Bis man diesen einen Menschen findet, der einen aushält und den man selbst aushalten kann, auch wenn er mal nervt." Was er dann sagte, werde ich nie vergessen. Er sagte: "So wie wir beide, Mama". Und da ist mir bewusst geworden: Wir werden immer den kleinen Jungen in ihnen sehen. Und sie in uns den Fels in der Brandung. Und ich hoffe, dass eines Tages ein Mädchen kommt, das in ihm sieht, was ich sehe und das er so sehen kann, wie es ist. Bis dahin soll er meinetwegen Don Juan sein. Hauptsache, es kommt zwischendurch eine Maja vorbei, die ihm den arroganten hübschen Kopf ein bisschen gerade rückt. Mit einem zu netten Don Juan kann ich jedenfalls leben...