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Lebensmittelkontrolleure auf Tour "Im Biosupermarkt hat eine Gurke Pickel, das sollten Sie sich einmal anschauen."

Lebensmittelkontrolleure auf Tour: Oliver Maier
Kleine Taschenlampe brenn: Gearbeitet wird mit teils simplen Methoden.
© Dominik Asbach
Gut, wenn in der Restaurantküche alles sauber ist, denn in Sachen Hygiene und Haltbarkeit sind Lebensmittelkontrolleure empfindlich. Wir durften einen von ihnen begleiten.

Die Flächen in der Küche des Eiscafés sind blank geputzt. Eine Mitarbeiterin schnibbelt Erdbeeren, an der Theke bestellt ein Mann einen Kaffee. Noch ist nicht viel los, aber das wird sich ändern: das milde Wetter, dazu die gute Lage in der Kölner Innenstadt – da kommt Eishunger im Vorbeilaufen auf. Eine Kugel kostet hier 1,50 Euro, Macadamia-Nuss ist der Renner. Doch für Süßes hat Oliver Maier jetzt keinen Kopf, der Lebensmittelkontrolleur ist Schmutz und Keimen auf der Spur. Und voll-zieht nun seine übliche Choreografie: ein Blick an die Decke, einen auf den Boden, dann geht er ringsherum, zieht Schubladen auf, leuchtet mit seiner Taschenlampe in Schränke und Ecken, schraubt einen Mixer auseinander, riecht an einem Schwamm. "Keime verdoppeln sich alle 20 Minuten", sagt er. Der Café-Inhaber ver-sichert, dass Schwämme mehrmals täglich ausgetauscht werden. 

Ein verantwortungsvoller Job

Es gibt nur Kleinigkeiten zu beanstanden: den Mixer gründlicher ausspülen, Schneidbrettchen erneuern. Maiers Fazit: "Ich würde hier ein Eis essen." Er weist den Chef darauf hin, unbedingt zu kennzeichnen, dass sich im Macadamia-Eis auch Haselnüsse befinden. Er erinnert sich an eine Allergikerin, die in einem Restaurant vom Stuhl fiel, nachdem sie Nudeln mit "Pesto alla Genovese" aß. Aus Spargründen hatte der Koch einfach Erdnüsse statt Pinienkerne verwendet. 

Maier und fast 30 Kolleginnen und Kollegen sind beim Kölner Umwelt- und Verbraucherschutzamt angestellt. Viele von ihnen arbeiteten früher in Brauereien, Bäckereien oder Metzgereibetrieben. Um die Nase unangemeldet in fremde Kühlschränke stecken zu dürfen, braucht man einen Meistertitel im Lebensmittelbereich oder auch in technischen Berufen. Wann sie dann wo kontrollieren müssen, verrät ihnen ein Computerprogramm, das verschiedene Risikostufen berücksichtigt. Eisdielen und Konditoreien sind öfter fällig, Betriebe, die Hack verarbeiten, oder solche, bei denen es in der Vergangenheit etwas zu beanstanden gab, ebenfalls. So checkt Maier die Hygiene mancherorts monatlich, woanders schaut er nur einmal im Jahr vorbei. Insgesamt kommt er jährlich auf 500 bis 600 Kontrollen. Weil während der Pandemie viele Restaurants geschlossen hatten, habe er viele Gastronomen nicht zu Gesicht bekommen, ist laut seiner Liste 200 Läden im Rückstand. Maier schaut aufs Handy. Er muss weiter. 

Maier hilft lieber, statt jemanden in die Pfanne zu hauen.

Die nächste Station ist ein typischer Großstadt-Kaffeetempel, in dem man zum Cheesecake-Brownie einen Salted Caramel Latte auf Eis bestellen kann. Von der Decke leuchten Lampen aus Bast, an der Wand hängt ein Gebilde aus Kunstrasen. Das Franchise-Café ist erst einen Monat alt, Kunden kommen kaum. Maier fragt den jungen Chef nach der Liste mit Allergenen und Zusatzstoffen, die er immer parat haben sollte, Stichwort Nussallergikerin. Der Besitzer kramt herum, stammelt verlegen, findet nichts. Ärger gibt es von Maier nicht. Er bietet an, die Liste per Mail zu schicken, bei Fragen könne man ihn jederzeit anrufen. Oliver Maier ist ein sympathischer Typ, der lieber hilft, statt jemanden in die Pfanne zu hauen. Dennoch kennt er seinen Beliebtheitsgrad: "Die meisten Gastronomen sehen mich lieber von hinten." Es sei schon vorgekommen, dass Mitarbeiter in alle Richtungen davonstoben, als Maier das Lokal betrat. So wie damals in dem asiatischen Restaurant, wo das Kochteam im Keller – im Müllraum – hantierte, nachdem die eigentliche Küche zuvor abgefackelt war. Flucht ist ein Weg, auf Maier zu reagieren. Es habe aber auch schon Versuche gegeben, ihn zu bestechen. So rannte ihm der Chef eines Ladens, bei dem es einiges zu bemängeln gab, auf der Straße mit einem 50-Euro-Schein hinterher. "Ich sagte ihm, er solle sich lieber Putzmittel kaufen." 

Maier ist ein Kenner

In einem Steakhaus steht Maier jetzt vor einer Vitrine, in der Rinderteile vor sich hin trocknen. Rosiges Fleisch, glänzende Speckschicht, glatte Knochenkanten, wie abstrakte Kunstwerke sehen sie aus. Er sinniert über den pH-Wert von Rindfleisch, schwärmt davon, wie zart es schmeckt, wenn es länger an der Luft trocknet. Der 52-Jährige kennt sich aus. Seine Eltern besaßen eine Metzgerei, und für ein paar Jahre trat er in die familiären Fußstapfen, betrieb später einen Imbiss plus Partyservice. Was Fleisch angeht, macht ihm also keiner etwas vor. Einmal war er mit seiner Frau privat essen, sie bestellten Schlachtplatte. Das Hacksteak? Ranzig. Als der Koch mit ihnen über die Fleischzubereitung diskutieren wollte, gab sich Maier als Experte zu erkennen. Am Ende tranken sie zusammen einen Schnaps. 

Mittlerweile sieht sich Maier in der Wurstküche des Betriebs um. Er leuchtet mit seiner Taschenlampe hinter ein Regal, hält inne, schaut auf, grinst: "Man könnte mich jetzt glatt für einen Armleuchter halten." Neben ihm schimmern Edelstahlgeräte – ein Fleischwolf für 10 000 Euro, ein Mischer zur Herstellung von Dönerfleisch für 20 000 Euro, schätzt er. An einem Metallgestell baumeln Fleischerhaken. Lebensmittel sieht man keine, die Umgebung wirkt steril. Im angrenzenden Kühlraum begutachtet Maier eine Rinderhälfte, hält sein Thermometer hoch: minus 18 Grad. Passt.

"Ach, du bist Lebensmittelkontrolleur? Erzähl doch mal!"

Man merkt, dass sich Maier in der Rolle des Aufpassers schon auch ein wenig gefällt. "Ich habe so eine Art Sheriffstern", sagt er und lacht. Erzählt er auf Partys, was er beruflich macht, wird er oft belagert. Die Leute interessieren sich für seinen Job, Essen geht schließlich alle an. Anlass genug für einen Youtube-Kanal. Auf "Kontrolle isst besser" klärt Maier über Salmonellen und Analogkäse auf, berichtet mit trockenem Humor von seinem Alltag als Keim-Experte. Dass er Dinge gern mit Augenzwinkern betrachtet, verrät schon die Begrüßung: "Hallo, Freunde des guten Geschmacks."

Im realen Leben eilt Oliver Maier im Schnellschritt durch die Fußgängerzone, checkt nebenher E-Mails auf seinem Handy. Vielleicht ist eine akute Verbraucherbeschwerde reingekommen, der er nachgehen muss. Er nennt ein älteres Beispiel: "Im Biosupermarkt hat eine Gurke Pickel, das sollten Sie sich einmal anschauen." Maier ist selbst Kleingärtner, baut Gurken und Tomaten an. Die Menschen hätten sich von der Natur entfernt, seien "nur noch aalglatte Lebensmittel gewohnt". Über Beschwerden wie diese muss Maier ein bisschen seufzen, ärgerlich hingegen seien "Racheanrufe", wie er sie nennt: Gäste klagen nach einem Restaurantbesuch über Bauchschmerzen, obwohl nachweislich keine Krankheitserreger im Spiel waren. Nicht selten stellt sich heraus, dass eine gekränkte Ex-Mitarbeiterin dahintersteckt oder ein Gast, der sich über den Kellner geärgert hat. "Solche Aktionen stehlen uns die Zeit", sagt Maier. Nachgehen muss er allen Meldungen. Glassplitter im Eis? Bei seiner Ankunft im Café waren die bereits geschmolzen – nur Eiskristalle.

Hinter die Kulissen schauen

Im Schatten einer Kirche raucht Maier eine Selbstgedrehte. Ein Porsche knattert vorbei, Baustellenlärm. Obwohl er selbst ein stabiler Mann ist, der in seiner Freizeit Kampfsport macht, erinnert er sich an eine Situation, in der ihm doch etwas mulmig wurde. In einem Laden für Bodybuilderbedarf suchte er zwischen Eiweißshakes und Vitamintabletten nach einem gesundheitsschädigenden Produkt. Die Besitzerin veranstaltete einen Aufstand, zwei Typen griffen Maier unter die Arme und schleppten ihn raus – eine unbeteiligte Person hatte zum Glück schon die Polizei gerufen. Trotzdem dürfe man sich nie von Vorurteilen leiten lassen, auch nicht, wenn ein Laden etwas dubios wirke. Schließlich habe Maier in den vergangenen 14 Jahren auch schon Luxusrestaurants gesehen, in denen es drunter und drüber ging. Einen gemeinsamen Feind haben allerdings alle: Mäuse. Sie bedienen sich hemmungslos an Vorräten, laden Artgenossen ein, gründen Großfamilien und kötteln alles voll. Deshalb sind die kleinen Biester auch häufig der Grund, warum Oliver Maier ein Restaurant oder einen Imbiss dichtmacht. Seine Standardfrage lautet daher: "Wie sieht’s mit Nagern aus?"

Der Tag endet anders als gedacht. Nicht in einer Küche, sondern zwischen Textilbergen. Ein Fast-Fashion-Gigant verkauft neben Billigklamotten auch Gegenstände, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen könnten. Auch das ist ein Fall für Maier. Eine frühere Stichprobe entlarvte Blei in einem Teller, Maier will nun wissen, ob das Teil aus dem Sortiment flog. Die Managerin bestätigt das, auch habe man die Kunden per Aushang gewarnt. Der Kontrolleur nickt zufrieden. 

In einigen Tagen hat er einen Termin im Fußballstadion. Ein Topspiel steht an. Gemeinsam mit acht Kollegen wird Oliver Maier ausströmen, um Currywurstbuden und Bierstände zu überprüfen. Man kann ja auch mal das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden.

Barbara

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