Eines abends klingelte das Telefon. Wir saßen auf der Couch. Hatten keine Lust ranzugehen. Also ließen wir den Anrufbeantworter seine Arbeit machen und hörten zu, wer uns was aufs Band sprach. „Daniel*“, sagte die Stimme, „ich habe Sehnsucht nach dir. Du bist meine große Liebe. Ruf mich an! 0176.......“ Da saß ich und war perplex. Hatte mein Freund eine Affäre? Wie lange lief das schon? Überraschenderweise war Daniel aber genauso fassungslos wie ich. „Das ist Tanja*“, sagte er verwirrt. „Mit der bin ich zur Schule gegangen. Ich habe die seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Und damals hatten wir auch nicht viel miteinander zu tun.“
Auf den Schock gab es ein Glas Wein. Und dann taten wir das, was wohl jeder normale Mensch tun würde: Wir googelten die Frau. Das Ergebnis: ein Youtube-Kanal, auf dem sie sich nackt unter der Dusche zeigt, in einem Post böse ihren Uni-Professor beschimpft, oder in einem anderen erzählt, wie sie gerade bei einem Bekannten vor der Tür in den Mülleimer gepinkelt hat. „Was will die von mir?“, fragte sich mein Freund. Und: „Warum meldet die sich gerade jetzt?“
Liebesschwüre im Stundentakt
In der Woche drauf schrieb Tanja Liebesschwüre an Daniels Facebookwall, hinterließ abends im Stundentakt Nachrichten auf unserem Anrufbeantworter und schrieb Mails an seinen gesamten Firmenverteiler. Sein Chef nahm es mit Humor. Daniel konnte nicht mehr lachen.
„Was können wir tun?“, fragten wir einen befreundeten Polizisten. Der riet uns, jegliche Kontaktaufnahme konsequent zu ignorieren, damit die Stalkerin das Interesse verliert. Zudem sollten wir unserem Freundes- und Bekanntenkreis Bescheid geben, immer erst den AB rangehen lassen und das Handy nur beantworten, wenn wir die Nummer kannten. Außerdem sollten wir alles aufbewahren: Mails, SMS, die Nachrichten auf dem AB – damit wir im Zweifel eine Beweislast aufbauen könnten.
Immer über die Schulter gucken
Wir ließen unsere Nummer aus dem Telefonbuch und Online-Verzeichnisse löschen, die Adresse hatten wir zum Glück eh nie mit angegeben. Daniels Facebook-Profil kam gleich mit in die Tonne. Das ungute Gefühl aber blieb. Auf einmal kommt es einem so vor, als könnte hinter jeder Ecke die Gefahr lauern. Wir fingen an, uns beobachtet zu fühlen und blickten uns dreimal um, bevor wir in unserem Hauseingang gingen. Zum Glück war da aber nie jemand.
„Er betrügt dich“, klang es einige Wochen später von unserem AB. „Eigentlich will er nur mich. Sieh es endlich ein. Du bist nur der Notnagel. Wir haben gestern die Nacht miteinander verbracht. Wenn du alle Details erfahren willst, dann ruf mich an!“. Die Nachricht traf mich mitten in die Magengrube – auch wenn ich wusste, dass sie gelogen war. Daniel und ich hatten nämlich die Nacht miteinander verbracht. Aber wer hört so etwas schon gerne über seinen Freund? Vor lauter Wut habe ich das Telefon aus der Dose gezogen und es einen Monat lang nicht mehr eingesteckt. Danach war Ruhe.
Tanja hat sich nie wieder gemeldet. Weder telefonisch, noch per Mail. Das ist jetzt ein Jahr her. Ein paar Mal habe ich mich noch gefragt, was wohl in ihrem Kopf los sein mag? Was jemand, denkt und fühlt, der andere mit seinen Handlungen terrorisiert. Ich habe keine Antwort gefunden. Ist vielleicht auch besser so.
*alle Namen wurden von der Redaktion geändert