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Männerkolumne Einmal vom Zehner springen

Männerkolumne: Anschnitt eines Sprungbretts und gestreckte Beine, die unten ins Wasser eintauchen
© moodboard / Adobe Stock
Einmal im Leben muss man vom Zehner springen, denkt der Mann. Unser Autor klettert bereits zum zweiten Mal nach oben – und denkt jetzt einen Schritt weiter.

Stehe am Rand des Wahnsinns. Kralle meine Zehen um die Kante, atme schwer. Unten fühlte sich meine Idee richtig an. Auf den letzten ein, zwei, drei Sprossen hoch in den Himmel schon falsch. Und hier oben: richtig falsch. Wenn ich wählen soll zwischen runterklettern und springen – steige ich jetzt ab oder später?

Stand schon mal hier, 30 Jahre her ist das. In der Provinz war das noch Schulterpolster-Zeit, Walkman-Zeit, Leckmuschel-Zeit. Die Badeanstaltsregeln damals wie heute: Nicht rennen, nicht über den Rand der Umkleide gucken und vor allem nie, niemals den 10-Meter-Turm auf demselben Weg verlassen, wie du ihn betreten hast. Was soll ich sagen … eine Blamage, schlimmer als eine Erektion in Badeshorts. Feigling haben sie mich genannt, die leichtfertigen Teenager, die von Schwerkraft keine Ahnung hatten. Bei dieser Fallgeschwindigkeit ist es nicht selbstverständlich, dass du unten angekommen noch deine Shorts trägst oder Haut auf den Knochen. Mit 50 Stundenkilometern beim Eintauchen wird die Wasseroberfläche zu Beton, Spritzbeton sozusagen. Ein Bauchklatscher, und du trägst deine Innereien wie einen Stapel Wäsche vor dir her. Die Beine zu weit gespreizt, und es ist das Ende vom Glied. Ist nicht jedem klar. Mir aber. Deshalb fehlen mir die Eier schon vorher.

Wollen und Können

Immerhin, vom Siebeneinhalber bin ich gesprungen. Zweieinhalb Meter Mut fehlen noch. Spüre die Kraft der Hoffnung zwischen klappernden Rippen. Will springen, loslassen, mich dem freien Fall hingeben. Nur sind Wollen und Können zwei Plateaus, die getrennt sind durch einen tiefen Krater.

Die Zuschauer unten verrenken sich die Hälse. Oben brüllt ein Halbstarker "Gasse!" und spaltet die Menge wie Moses das Meer. Dann rennt er los, der Knirps, von ganz hinten nimmt er Anlauf und sprintet vorbei an seinem Verstand, vorbei an meinen Zweifeln, um nur eine Sekunde später mit unkontrollierten Pirouetten die Physik zu verbiegen. Kurze Stille, langer Beifall. Selbst das Wasser klatscht.

Bin auch auf dem Sprung. Spüre einen Luftzug im Gesicht, das wie eine geballte Faust krampft. Auf dem Weg runter ziehen Erinnerungen vorbei. Momente des Triumphes, in denen ich über mich hinausgewachsen bin. Was ist Mut, frage ich mich, als ich unten auftauche und die Blicke spüre. Hätte nie gedacht, dass ich mal vom Zehner springe. Und habe recht behalten.

Björn Krause braucht auf dem Weg nach unten keinen Fallschirm. Hoodie und Sonnenbrille wären gut

Barbara

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