Mädelsabend diesmal mit Mary Roos
Barbara: Liebe Mary, ich weiß: Es wird ein Fest mit uns. Es geht um Missgeschicke, und ich bin sehr gespannt auf deine.
Mary: Nur ein Wort dazu: Brötchen.
Ich bitte um Aufklärung. In mehr als einem Wort.
Ich war mal im Flugzeug auf dem Weg zu einem Auftritt in Bayern. Beiße im Flieger in ein Brötchen – ein Zahn bricht ab, fällt runter, und ich und die Leute um mich herum krabbeln im Sinkflug auf dem Boden herum, um das Ding zu finden.
Haha! Fängt gut an …
Geht gut weiter. Ich also mit dieser Riesenlücke und mit meinem Zahn in der Tasche zum Auftrittsort. Der liegt neben einem Jahrmarkt, und der Bürgermeister sagt zu mir: Da irgendwo ist der Zahnarzt. Also bin ich rüber ins große Festzelt, habe mich ans Mikro gestellt und gefragt: Ist der Herr Doktor XY da? War er, und er hat mich für den Auftritt wiederhergestellt.
Eine Geschichte mit gutem Ausgang.
Na ja. Ich habe also einen gerichteten Zahn, ziehe mich für den Auftritt um, setze mich kurz vor Stagetime mit meiner hellen Hose auf einen Brunnen – und merke zu spät, dass der ganze Brunnenrand ölverschmiert ist. Es wurde somit für alle Anwesenden ein unvergesslicher Abend.
Das ist lustig und erinnerungswürdig, weil etwas Außergewöhnliches passiert ist.
Genau.
So was kenne ich gar nicht. Denn ich bin ja nie auf dem Ticket der Perfektionistin gefahren. Bei mir ist das Missgeschick quasi ins Berufsbild eingebaut, da erwarten die Leute regelrecht, dass irgendetwas nicht klappt.
Das ist wahr. Und dafür lieben dich die Leute ja auch.
Was ein schöner Nebeneffekt ist. Aber fast noch wichtiger: Mich entlastet das. Ich weiß, dass ich nicht perfekt abliefern muss. Ich kann also einfach ich selbst sein, da gibt es keine Fallhöhe aus irgendeiner Inszenierung. Die du ja in Bayern abliefern wolltest, ursprünglich.
Aber ich habe daraus gelernt. Zum Beispiel, dass den Menschen im Allgemeinen gar nicht viel an Perfektion liegt, sondern dass sie viel lieber lachen. Ah, in dem Zusammenhang fällt mir noch eine hübsche Geschichte ein.
Her damit. Ich liebe Geschichten.
In Frankreich bei einem meiner ersten großen Auftritte …
Stimmt überhaupt! Du warst ja nicht nur mit einem Franzosen verheiratet, sondern Ende der 1960er und Anfang der 1970er ein richtig großer Star in Frankreich.
Na ja, richtig groß … Aber meine Plakate hingen vor Auftritten in ganz Paris herum, das stimmt. Jedenfalls: Vor meinem ersten großen Konzert dort geht ein Moderator auf die Bühne, erklärt, wer da jetzt kommt, und sagt abschließend: "Et maintenant … Mary Roos!" Und das Publikum bricht kollektiv in wildes Gelächter aus.
Huch! Wieso das?
Hab ich mich auch gefragt. Hinterher hat mir jemand erzählt, dass "Marie Rose" damals in Frankreich ein sehr beliebtes Entlausungsmittel war. Das kannte jeder im Saal. In diesem Moment habe ich mir etwas für den Rest meines Lebens gemerkt.
Mit welchem Produkt du Läuse bekämpfst?
Auch nicht schlecht, aber nein. Ich habe begriffen, dass es mehr als einen Weg gibt, sich auf ewig in das Gedächtnis der Leute zu brennen.
Mary, wenn du das alles erzählst, klingst du so wunderbar positiv. Bist du das auch?
Nicht immer, mir geht es auch mal schlecht. Und weißt du, was ich dann mache?
Keinen Schimmer.
Ich gehe in die Badewanne. Bade heiß, sehr heiß.
Und das hilft?
Ein Freund hat mal zu mir gesagt: Wenn du aus der Badewanne kommst, dann hast du immer einen Plan B. Und was soll ich sagen: Er hat recht.
Toll. Wenn ich aus der heißen Wanne komme, muss ich sofort ins Bett und schlafen. Aber apropos Plan B: Es gibt ja außer den Missgeschicken noch ein Thema, über das wir sprechen müssen.
Ich weiß: Entschuldigungen. Jetzt fängst du aber bitte mit einer Geschichte an.
Muss ich? Ich fürchte, dass ich irgendwie nicht die Richtige für Storys aus dieser Rubrik bin. Wenn ich so darüber nachdenke: Ich versuche die meiste Zeit, so zu leben, dass ich für nichts um Entschuldigung bitten muss.
Das kann ich nachvollziehen. Immer, wenn ich mit dir in Berührung komme, denke ich: Diese Frau tut nichts Böses. Aber du sagtest: die meiste Zeit. Es passiert also doch.
Na klar. Und dann mache ich das auch wirklich gern und räume einen Fehler ein. Sich für etwas zu entschuldigen kann außerdem entlastend sein. Viele Leute umschiffen den Elefanten im Raum am liebsten, diesen lähmenden, oftmals stillen Konflikt – ich nicht.
Ich auch nicht. Mir bereitet dieser Vorgang keinerlei Schwierigkeiten. Ich erkläre mich auch sehr gern, das werden dann oft längere Vorträge darüber, wie es zu meinem Fehlverhalten kommen konnte. Ich möchte so etwas nicht mit mir herumtragen. Kennst du das?
Oh ja. Ich habe mal bei einer Preisverleihung einen Witz gemacht über Dinge, die man allerspätestens jetzt nicht mehr sagt. Den wiederhole ich an dieser Stelle besser nicht. Nur so viel: Am nächsten Tag rief der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma an und erzählte von der jahrhundertelangen Verfolgung seines Volkes und dem Antiziganismus in unserer Gesellschaft. Da wurde mir klar, wie unpassend der Witz war, und ich bin im Boden versunken.
Und hast dich entschuldigt.
Natürlich! Dann hatte ich wenig später einen anderen Vertreter der Sinti und Roma in der "NDR Talk Show" zu Gast. Den habe ich vorher beiseitegenommen und ihm gesagt: Du hast ja sicher mitbekommen, was ich gesagt habe, und es tut mir so leid, dass ich euch damit vor den Kopf gestoßen habe …
Wie hat er reagiert?
Er war überrascht, dass ich das Thema von mir aus angesprochen habe, und wir waren beide froh, dass der Elefant aus dem Raum war.
Spannend. Das sagt mir zweierlei. Erstens: Entschuldigen ist offenbar gerade nicht so in Mode.
Und das zweite?
Reden hilft. Und zwar immer. Wobei: Auch das hat seine Tücken.
Wie meinst du das?
Ich bin 73, und Gendern zum Beispiel findet bei mir nicht statt, das verletzt mein Sprachgefühl. Ach, und neulich bin ich mit meiner Schwester Bus gefahren. Und da sagte ich zu ihr: Guck mal, da vorn bauen sie ein neues Altersheim.
Und dann?
Wurde ich von hinten total scharf angepampt: "Das heißt Seniorenresidenz" Ich drehte mich nur um und sagte: Das macht die Sache irgendwie auch nicht besser.
Lustig. Das klingt so, als würdest du um Fettnäpfchen jetzt auch keine großen Bögen schlagen.
Sagen wir’s mal so: Ich wollte unbedingt eine schrille Alte werden. Und ich bin eine schrille Alte geworden.
Da muss ich nachfragen: Schrill zu werden war dein Plan?
Schon mit 30. Und ich habe mich bereits damals wahnsinnig darauf gefreut, und jetzt bin ich wirklich glücklich damit, dass es auch so gekommen ist. Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich alles begrüße, was jenseits der 70 passiert, aber ich merke auch: Ich bin jetzt mit meinem Leben viel zufriedener als früher.
Und es ist doch auch so: Die, die uns allen in Erinnerung bleiben, sind jene, die sich auf der Party das T-Shirt ausziehen, laut lachen und derbe Witze machen.
Mit anderen Worten: die Schrillen.
So. Und ich habe mir vorgenommen, auch so zu werden.
Finde ich gut. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass man im Alter leiser wird, dass man unsichtbar wird, wenn man nicht aktiv dagegenhält. Ich kenne viele Frauen, denen es so ergangen ist. Es ist natürlich kein Zufall, dass ich heute so bunte Klamotten anhabe. Ist schwierig, mich zu übersehen. Und dafür werde ich mich definitiv nicht entschuldigen.
Das Entschuldigen hat ja noch eine kleine Schwester.
Und wie heißt die?
Verzeihen. Das musst du ganz gut beherrschen.
Wie kommst du darauf?
Ich habe deine Autobiografie gelesen. Und ich musste schon ziemlich schlucken, als ich erfahren habe, was du in deiner Ehe mit Werner Böhm so alles ausgehalten hast.
Das kann man so sagen, was Ehen angeht, habe ich ziemlich viel … erlebt. Weißt du, mit 19 war ich in erster Ehe mit dem Franzosen verheiratet, ein wirklich netter Mann, den man nur mögen kann, wir sind heute noch befreundet. Aber er hat mich betrogen, und das war’s für mich.
Oha. Kein Verzeihen hier.
Nein. Aber bei Werner … Ich habe ihn vor seiner Zeit als Gottlieb Wendehals kennengelernt, und mit ihm war es nie berechenbar. Aber immer aufregend. Er war ein Charmeur, ein Chaot, ein Genie auf seine Art, und herrje – er hat die Frauen geliebt.
Auch das steht im Buch. Zwei Geschichten habe ich daraus noch im Kopf. Bei der einen warst du gerade beim Eurovision Song Contest in Luxemburg …
Stimmt, 1984 war das. Da bekam ich hinter der Bühne kurz vor meinem Auftritt einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die behauptete, von Werner schwanger zu sein. Der stand neben mir und wiegelte nicht sehr glaubwürdig ab. Und ich musste nur ein paar Minuten später vor halb Europa singen, ausgerechnet "Aufrecht geh’n" – wurde nicht mein bester Auftritt.
Die andere Story finde ich noch krasser. Da hast du euren gemeinsamen Sohn ins Bett gebracht, und dein Mann hat nebenan mit eurem Kindermädchen geschlafen – und du hast ihn erwischt.
Und nicht sofort verlassen.
Wie geht das? Wie hast du das bloß ausgehalten?
Ich kann es eigentlich nur mit Liebe erklären. Und mit einer Angewohnheit, die ich schon als Kind hatte: Immer, wenn ich jemanden nicht verstehe, dann gehe ich auf seine Seite und frage mich: Warum macht der das jetzt? Warum sagt der so was? Auf diese Art habe ich auch den Böhm verstanden. Der konnte gar nicht anders, so, wie der gestrickt war.
Konntest du ihm denn verzeihen?
Ganz endgültig erst bei seiner Seebestattung vor zwei Jahren. Da standen seine drei Söhne von drei Frauen Arm in Arm an der Reling und schauten der Urne hinterher, die langsam in der Ostsee versank. Da dachte ich dann: Ist doch was Schönes herausgekommen bei all dem. Jetzt ist alles gut.
Hm. Der Ansatz, sich in andere hineinzuversetzen, ist mir sehr nah. Ich werde oft von meinem Team zusammengefaltet, weil ich immer Verständnis für den größten Quatsch anderer Leute habe. Und ich habe das Gefühl, dass es mich fast immer bereichert hat, die Perspektive zu wechseln.
Menschlich auf jeden Fall. Reichtum im wörtlichen Sinn gab es dadurch bei mir aber eher nicht. Ich weiß zwar nicht, ob das mit meiner verständnisvollen Haltung zusammenhängt, aber ich bin irgendwie immer nur an Männer geraten, die kein Geld hatten.
Und du?
Ich auch nicht immer. Es gab Zeiten, in denen ich nicht wusste, wie ich meine Miete zahlen soll. Aber Not macht ja erfinderisch. Ich habe in den späten 1960ern zum Beispiel Geschichten für "Fix und Foxi" geschrieben.
Du hast … was?
Mir Storys für die "Fix und Foxi"-Comics ausgedacht. Ich lebte in meiner ersten eigenen Wohnung, das Geld war knapp – also hab ich Geschichten geschrieben und sie ungefragt an den Verlag geschickt. Zurück kam ein Scheck über 300 Mark. Das habe ich vier-, fünfmal gemacht, da war dann erst mal wieder ein bisschen Luft nach unten.
Irre. Wenn ich so drüber nachdenke: Ich hatte in meinem ganzen Leben keine Sekunde lang finanzielle Not.
Oh, eine Zeit lang ist das sogar eine gute Sache.
Findest du?
Klar. Du lernst auf diese Weise ziemlich schnell, mit sehr wenig auszukommen. Und vor allem: mit dem Wenigen dann auch glücklich zu sein.
Stephan Bartels, der Aufschreiber dieses Gesprächs, entschuldigt sich auf diesem Wege bei der Redaktion für die sauspäte Abgabe des Textes