Was bin ich als Mensch wert?“, fragt sich Frank Wedel*. „30 Jahre meines Lebens kann ich in die Tonne treten“, sagt er. Rückblick: Anfang der Achtzigerjahre lernen sich Mona und Frank auf einer Zugfahrt kennen. Raucherbereich, sie schnorrt sich eine Zigarette. Die beiden werden ein Paar, ziehen zusammen. Frank Wedel studiert, später arbeitet er als Diplomingenieur, Mona ist Angestellte. Sie sind bereits zehn Jahre zusammen, als Paul geboren wird. „Es war wunderschön, sein erstes Kind im Arm zu halten“, sagt er. Ein paar Jahre später kommt Luisa zur Welt. Mona bleibt mit den Kindern zu Hause, Frank arbeitet viel, oft muss er auf wochenlange Geschäftsreisen. „Wir haben nie gestritten, waren das perfekte Paar“, sagt er.
Die Fotos, die er auf seinem Laptop zeigt, beginnen im Jahr 2000. Bilder fliegen vorbei: Wedels im Streichelzoo, auf Reisen durch die USA, Luisa beim Plätzchenbacken, Mia mit Schokomund, Paul bei einer Schulaufführung. Haare werden länger, dann wieder kürzer, aus Kindern werden Jugendliche. 13 Jahre, mal eben weggewischt. Für Frank Wedel waren es glückliche Zeiten.
Heute ist er Anfang 50, trägt Jeans und Streifenpullover, Augen- und Bartschatten gehen ineinander über. Wenn er von den Urlauben erzählt, flammt in ihm Euphorie auf. „Da Sie die Wahrheit nicht kannten, hatten Sie ja trotzdem eine schöne Zeit“, hat mal ein Richter zu ihm gesagt. Erst nach 15 Jahren kommt es zu einer Ehekrise, als er seine Frau mit einem anderen Mann im Bett erwischt – ein ehemaliger Arbeitskollege von ihr. Sie schwört, es sei eine einmalige Sache, er verzeiht. „Ich dachte, nach so langer Zeit konnte ein Ausrutscher ja mal passieren“, sagt Wedel.
Die schockierende Wahrheit
Einen Tag vor Weihnachten gesteht Mona, dass sie sich in einen anderen verliebt hat. Frank fühlt sich machtlos. „Gegen Gefühle komme ich nicht an.“ Trotzdem will er an der Ehe festhalten, hofft, dass die Verliebtheit vergeht. Seine Frau bleibt tagelang weg, verbringt viele Nächte bei ihrem Liebhaber. Nach neun Monaten möchte Frank die Scheidung – doch dazu kommt es nicht. Mona willigt nicht ein, 2900 Euro Unterhalt sind ihr zu wenig. Deshalb überhäuft sie Frank mit Mails, erklärt, dass sie ihn vermisst, möchte einen Neuanfang. Er schwankt.
Anfang 2015 macht Frank auf einer Weiterbildung ein Foto von sich im Bett und schickt es als „Gute-Nacht-Gruß“ an seine Frau. Sie missversteht das Bild, denkt, ihr Mann liege im Krankenhaus. Was, wenn er etwas Schlimmes hat, wenn es bereits zu spät ist – für die Wahrheit? Sie gerät in Panik, schickt ihm die ganze Nacht hindurch wirre Mails. Am nächsten Tag ruft Tochter Luisa an: „Papa, komm schnell heim, es ist etwas Schlimmes passiert!“ Als er nach Hause kommt, hat Mona den Kindern schon alles erzählt. Zu ihm sagt sie: „Ich bin mir sicher, dass Luisa nicht deine Tochter ist. Bei den anderen weiß ich es nicht.“ Frank scrollt in Gedanken durch seine Vergangenheit, Merkwürdigkeiten fallen ihm auf. Auf Feiern ist seine Frau oft „zum Rauchen“ rausgegangen und lange weggeblieben. Dann sind da die Fehlgeburten seiner Frau, mindestens vier. Ist er der Vater der ungeborenen Kinder? Waren es Fehlgeburten? Oder sogar Abtreibungen? Ist er überhaupt fruchtbar?
Ein Vaterschaftstest bringt Klarheit
Bis hierhin hatte Frank sich all diese Fragen nie gestellt. Er habe Mona blind vertraut, sagt er heute. „Ich hatte eine schöne Kindheit, bin nie belogen worden. Ich war nie ein misstrauischer Mensch.“ Bis zum Vaterschaftstest leben Mona und Frank weiter in ihrem Haus. „Ich musste das Ergebnis erst schwarz auf weiß vor mir sehen, um loslassen zu können.“
Im Sommer vergangenen Jahres treffen sich Frank Wedel und seine Kinder in einem Labor. Paul und Luisa sind mittlerweile erwachsen, Mia steht kurz vor der Pubertät. Sie unterschreiben Dokumente, geben Proben ab und machen noch Witze dabei. Die Ärztin sagt: „Das können Sie sich eigentlich sparen. Ich sehe, dass es Ihre Kinder sind, ich hab doch Erfahrung!“ Frank hofft, dass alle drei Kinder von ihm sind – oder gar keins. „Das hätte die Geschwister entzweit“, glaubt er.
Das Gutachten kommt zwei Wochen später. „Die Vaterschaft ist auszuschließen“ steht da. Drei Mal. Frank Wedel und Luisa weinen, seine Frau liegt im Bett und schläft, als ginge sie das nichts an. Bevor Frank auszieht, spricht er mit seinen Kindern. Paul sagt: „Du bleibst mein Papa!“ – den Kontakt zur Mutter bricht er ab. Luisa ist zwischen beiden Eltern hin- und hergerissen. Mia, einst ein fröhliches Kind, ist ernst geworden, zieht sich zurück. Am Wochenende wohnt sie bei der Mutter, während der Woche in einem Internat, für das Frank Wedel weiter freiwillig bezahlt. Das Familienhaus wird verkauft. Die Hälfte des Geldes bekommt seine Frau – ungefähr 100 000 Euro.
Wie in einem schlechten Film
Nach dem Gutachten besucht Luisa ihren biologischen Vater – es ist der Exkollege, mit dem Frank seine Frau vor 17 Jahren erwischt hat. Während der Konfrontation starrt der Mann auf den Boden, seine Frau weint. Sollte er wirklich ihr Vater sein, wäre er unterhaltspflichtig, da sie noch in der Ausbildung ist, doch einem Vaterschaftstest stimmt er nicht zu. Er hat zwei Kinder mit seiner Frau, die Paul und Luisa sehr ähnlich sehen. Mia nicht. Mona behauptet, alle drei seien von dem Kollegen, doch Frank glaubt ihr nichts mehr. „Ihre Liebe war nur gespielt, sie hat nicht an mir gehangen, sondern an meinem Geld. Sie hat in mir nur einen Versorger gesehen, der ihr Doppelleben finanziert.“ Einmal sagt er ihr, dass er nicht verstehe, warum sie ihn die ganze Zeit betrogen habe, er selbst sei ihr immer treu gewesen. Sie antwortet: „Selber schuld.“
Wenn Frank heute nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause zu seinen Eltern kommt, wo er vorübergehend wohnt, versinkt er in Papierkram. Die Gerichtsprozesse sind sein Lebensinhalt. Es laufen vier: die Eheaufhebung und drei Mal die Aberkennung der Vaterschaft, damit er keinen Unterhalt mehr bezahlen muss. Für die minderjährige Mia wird Frank ein Umgangsrecht erkämpfen müssen, weil er jetzt „ein fremder Mann“ für sie sei.
Als er den Laptop mit den digitalen Erinnerungen zuklappt, sagt er: „Bei allem, was passiert ist, bleiben sie doch meine Kinder.“ Mit seinen Töchtern schreibt er über WhatsApp, mit Paul telefoniert er alle paar Wochen. Seine Frau kontaktiert er nur noch, wenn er muss – per E-Mail. Frank Wedel wirkt gefasst, lacht hin und wieder bitter, erzählt auch von depressiven Phasen. Er fragt sich, wo er heute wäre, wenn seine Frau nicht das Drehbuch zu seinem Leben geschrieben hätte. Die Familie auf den Fotos gibt es nicht mehr. Manchmal, wenn Frank sich die Bilder anschaut, kommt es ihm vor, als habe es sie nie gegeben. Als seien sie alle bloß Schauspieler in irgendeiner Vorabendserie gewesen, die vor langer Zeit abgesetzt wurde.
*Die Namen aller Personen sind geändert