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Nachgefragt bei Sylvia Löhken Wie coached man Introvertierte?

Sylvia Löhken: eine junge Frau mit kurzen Haaren, Brille und Headset sitzt vor einem Laptop und schreibt in einem Notizblock
© fizkes / Shutterstock
In unserer lauten Welt fallen introvertierte Menschen kaum auf. Dabei haben auch die Leisen viele Stärken – und noch viel mehr zu sagen. Hören Sie ihnen doch einfach mal zu.

Barbara: Frau Löhken, ich oute mich gleich zu Beginn: Ich bin introvertiert.

Sylvia Löhken: Das ist doch toll! Ich auch. Willkommen im Klub!

Aber Sie stehen auf Bühnen und halten Vorträge über introvertierte Kommunikation, geben zudem Coachings in Unternehmen. Wie passt das zusammen?

Ich spreche gern von artgerechter Haltung. Wenn ich auf Vortragstour gehe, achte ich auf Auszeiten. Und zwischen den Coachings habe ich Phasen, in denen ich alleine am Schreibtisch sitze. Wir sind alle Mischungen verschiedener Eigenschaften und besitzen intro- und extrovertierte Anteile, jedoch ist eine dieser Seiten stärker ausgeprägt. Als Sprachwissenschaftlerin kann ich gut reden, obwohl ich ausgeprägt introvertiert bin.

Ist das angeboren oder anerzogen?

Beides. Wir werden zwar mit einer gewissen Veranlagung geboren, aber unser Hirn entwickelt sich ja im Laufe des Lebens weiter. Es macht also durchaus einen Unterschied, ob jemand in einer Großfamilie mit zehn Geschwistern aufwächst oder bei der alleinerziehenden Mutter, die als zurückgezogene Schriftstellerin lebt.

Wie sehen denn die Unterschiede im Gehirn aus?

Das Gehirn eines Introvertierten ist stärker durchblutet und hat eine höhere Aktivität. Um es mal stereotyp zu sagen: Ein Intro denkt nach, bevor er redet, ein Extro macht es umgekehrt. Introvertierte besitzen außerdem ein sensibleres Vorsichtszentrum, deshalb ist ihnen Sicherheit wichtig. Bei Extrovertierten ist das Belohnungszentrum aktiver, sie gehen gerne Risiken ein. Außerdem ziehen sie ihre Energie aus der Stimulation von außen, etwa wenn sie auf eine Party gehen.

Bitte? Eine Party raubt doch Energie.

Das empfinden wir Intros so, weil wir leichter überstimuliert sind. Wir laden unsere Akkus auf, wenn wir auf der Couch sitzen und ein Buch lesen. Gehen wir auf eine Feier oder haben Besuch, fühlen wir uns dagegen oft müde und ausgelaugt.

Ich werde oft als ruhig beschrieben– und das klingt selten wie ein Kompliment. Woran liegt das?

Das war früher anders. Ich bin überzeugt davon, dass das an unserer kulturellen Veränderung liegt. Blicken wir doch mal in die Zeit vor der Industrialisierung zurück: Da lebten die meisten Menschen in Dörfern oder kleinen Städten – und jeder kannte jeden. Da kam es weniger auf den ersten Eindruck an, sondern mehr auf nachhaltige Beziehungen und Verlässlichkeit. Heißluftgeräte wären da sofort aufgeflogen.

Heißluftgeräte?

Personen, die viel reden, aber ohne Substanz. Mit der Industrialisierung zogen immer mehr Menschen in die Stadt, und ihre Lebenswirklichkeit veränderte sich. Die sieht nun so aus, dass wir oft Fremden begegnen und einen guten ersten Eindruck hinterlassen müssen. Das können Extros besser.

Was sind die Stärken der Stillen?

Ich habe zehn definiert. Ruhe gehört übrigens auch dazu, denn sie ist eine gute Basis, um eine Sache gelassener anzugehen. Weitere Stärken sind Vorsicht, Substanz, Konzentration, Zuhören, analytisches Denken, Unabhängigkeit, Beharrlichkeit, Schreiben, Einfühlungsvermögen.

Haben Sie das aus einer Stellenbeschreibung für Manager zitiert?

Klingt so, oder? Eine amerikanische Studie hat untersucht, welche Persönlichkeit als Führungskraft erfolgreicher ist. In hierarchischen Umgebungen, wie beim Militär, wo eine Person klare Ansagen machen muss, sind Extros erfolgreicher. In Bereichen mit flachen Hierarchien, wie in Start-ups, in denen man viel Eigenverantwortung übernehmen muss, schneiden Intros besser ab.

Trotzdem hat man das Gefühl, in den Führungsetagen sitzen nur Alphatiere, die sich gut verkaufen können.

Der beste Gegenbeweis sind erfolgreiche Intros. Marc Zuckerberg ist zum Beispiel der Chef eines milliardenschweren Unternehmens. Dabei hat er Facebook gegründet, um Mädels kennenzulernen, weil er zurückhaltend ist. Oder Bill Gates, Angela Merkel und Barack Obama – alle erfolgreich, alle introvertiert.

Barack Obama auch?

Ja, er bezeichnet sich selbst als introvertiert. Das öffentliche Reden hat er systematisch gelernt. In den Archiven der "New York Times" findet man Berichte, denen zufolge er früher so sprach, dass sein Publikum einschlief oder weglief.

Wie konnte er als Introvertierter es schaffen, US-Präsident zu werden?

Aus der Persönlichkeitspsychologie weiß man, dass der Wille, Macht auszuüben und die eigene Leistung auf die Straße zu bringen, nicht mit Intro- oder Extroversion korreliert.

Bevor Sie diese Beispiele genannt haben, fielen mir jedoch nur die lauten Erfolgreichen ein.

Klar, weil die erst mal mehr auffallen. Deshalb hat man häufig das Gefühl, nur von Extros umgeben zu sein. Aber wir Intros sind keine bedrohte Tierart – wir machen die Hälfte der Bevölkerung aus.

Wie verschafft man sich Gehör, wenn man eher leise ist?

Von der amerikanischen Countrysängerin Dolly Parton stammt der Satz: "Finde heraus, wer du bist, und dann tue es mit Absicht." Darin liegt das Erfolgsgeheimnis: Ich komme weiter, wenn ich herausfinde, wo meine Stärken als introvertierte Persönlichkeit liegen – und diese dann richtig einsetze.

Job-Meetings gehören wohl eher zu unseren Schwachpunkten. Mir graut es jedes Mal davor.

Das ist typisch! Introvertierte schreiben lieber, als zu reden. Deshalb sollten sie immer gut vorbereitet in eine Besprechung gehen. Am besten informiert man sich, was auf der Tagesordnung steht und was man dazu beitragen kann. Was Intros sagen, hat Hand und Fuß, doch beim Reden verlieren sie sich oft in Details. Sich vorab eine Kernbotschaft zu überlegen kann helfen.

Aber was nützt das, wenn ich etwas sage und es doch ungehört bleibt?

Haben Sie ein Beispiel?

In einem früheren Job habe ich mal eine Idee für einen Artikel vorgeschlagen. Sie wurde nickend zur Kenntnis genommen, ohne Begeisterung – die Nächste kam zu Wort.

Ich glaube, ich weiß, wie die Geschichte weitergeht: Kurz darauf schlug ein Extrovertierter Ihr Thema noch einmal vor und bekam dafür Zustimmung oder gar Beifall.

Woher wissen Sie das?

Das passiert Introvertierten häufiger. Wie haben Sie reagiert?

Ich war sprachlos.

Ich gebe Ihnen und allen anderen Introvertierten einen Ratschlag: Wenn so was passiert, lächeln Sie und bedanken sich bei der Person.

Ich soll mich dafür bedanken, dass jemand meine Idee klaut?

Sie bedanken sich dafür, dass die Person Ihren Vorschlag noch mal aufgegriffen hat – genau so sagen Sie das auch. Damit beschuldigen Sie niemanden, sondern freuen sich über die Unterstützung Ihres Vorschlags. Zudem signalisieren Sie dem Ideenklauer dadurch: Ich weiß, was du getan hast, und ich lasse dich damit nicht durchkommen.

Von Extros bekam ich während der Pandemie häufig zu hören: "Für dich ist der Lockdown und das Arbeiten im Homeoffice ja nicht so schlimm."

Die soziale Isolation, die Corona mit sich gebracht hat, war für viele nach innen gekehrte Personen vielleicht etwas leichter zu ertragen. Jedoch ist das nur die halbe Wahrheit. Wenn eine introvertierte Person mit zwei kleinen Kindern im Homeoffice arbeiten muss, hat sie daran auch zu knabbern. Und die Probleme, wie etwa in Meetings etwas zu sagen, verschwinden ja nicht, nur weil alles digital stattfindet.

Ihr Buch "Leise Menschen – starke Wirkung" wurde mittlerweile in 30 Sprachen übersetzt. Ist das Thema also universell?

Ja, denn unabhängig von der Kultur eines Landes gibt es weltweit eine 50:50-Aufteilung der beiden Persönlichkeitstypen. Die Menschheit braucht beide zum Überleben: die handlungsorientierten Extros und die sicherheitsstiftenden Intros.

Gibt es Kulturen, in denen Stille als Stärke gilt?

Ich habe drei Jahre in einer Führungsposition in Tokio gearbeitet. Dort habe ich gelernt, wie introvertiert eine Kultur sein kann. In Japan ist nicht die Person am erfolgreichsten, die besonders laut ist und viel redet. Eine Führungskraft erkennt man daran, dass sie während eines Meetings so wirkt, als würde sie gleich einschlafen. Echt jetzt. Damit signalisiert sie dem Team: Ich vertraue euch und euren Fähigkeiten.

Klingt wie ein Paradies für Intros.

Das ist es – abgesehen von den lauten Straßen mit den vielen blinkenden Lichtern.

Sylvia Löhken hat einen Persönlichkeitstest zu dem Thema entwickelt. Zu finden auf: intros-extros.com

Barbara

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