April 2020.
Ich schaue aus dem Fenster auf die leeren Straßen. Auf dem Plakat an der Bushaltestelle vor unserem Haus laufen noch Reisebürowerbungen. Thailand All Inclusive - 950€ - Eine Woche inkl. Flug. Ihr Traumurlaub wartet auf Sie - 2 Wochen Mallorca, jetzt ab 540€. Schnäppchen! Aber die Werbung ist alt. Irgendjemand hat vergessen, sie abzuhängen. Niemand fliegt in den Urlaub. Nicht, während draußen ein Virus wütet, dass keiner so richtig einschätzen kann. Du sitzt auf dem Bett und träumst vom Strand in Thailand. Ich schau dir dabei zu und mag dein Fernweh-Gesicht.
Irgendwie übernah. Aber das macht nix.
Früher haben wir darauf geachtet, nicht zu sehr zusammen zu glucken. Ich meine früher im Sinne von gefühlt vorgestern. Aus dem Anti-Glucken-Gebot wird wohl vorerst nichts mehr, denn jetzt hat „Nähe“ eine ganz neue Dimension bekommen. Frühstück, Arbeiten, Mittagspause, Feierabend, Netflix - alles zusammen, alles zu Hause, alles inklusive, alles mit dir. Ich versuche, dich ein bisschen aufzubauen. Gestalte ein digitales Fotobuch vom letzten Urlaub in Italien. Das macht die Sache echt nicht besser, sagst du. Ob wir unseren Kurztrip im Herbst nach Prag wohl machen können, fragst du. Ich weiß es nicht, aber ich merke, dass es mir ein bisschen egal ist, weil ich das alles hier auf eine komische Art und Weise schön finde. Wir beide gegen den Rest, gegen eine Gefahr, die da draußen lauert und solange wir hier sind, kann uns nichts passieren. Na gut, außer, dass uns bald echt das verdammte Toilettenpapier ausgeht. Also traue ich mich wagemutig zu EDEKA und fühle mich ein bisschen wie dein Held.
Das neue „normal“ ist gespenstisch
Oktober 2020.
Ich gehe über den Wochenmarkt und finde es krass, wie unkrass ich mittlerweile die Masken auf den Gesichtern finde. Wie routiniert mein Griff nach dem Desinfektionsmittel ist und wie selbstverständlich mir das Plexiglas an der Kasse vorkommt. Auf der Titelseite der Zeitung stehen die aktuellen Zahlen. Das mit Prag wird wohl nichts, schreibe ich dir und du antwortest: Ich weiß, nicht so schlimm. Ob es dir plötzlich auch ein bisschen egaler ist, wo wir sind?
Wir hätten auch streiten können
Ich verstehe das mit den vielen Scheidungen. Ganz ehrlich: Es gibt so viele Themen, über die wir uns hätten streiten können. Über die Ordnung, das Fernsehprogramm, oder einfach nur über die eigene Unzufriedenheit. Manchmal haben wir das auch getan und wahrscheinlich musste das so sein. Doch letzten Endes und unterm Strich waren die meisten von uns doch ganz schön froh über diesen einen oder auch all die Menschen, die für uns unser Zuhause sind. Wir haben uns genervt, gegenseitig gelangweilt und uns manchmal auch unsere verdammte Ruhe gewünscht. Aber wenn wir ganz ehrlich sind, haben wir in diesem Jahr – so hart es auch gewesen sein und noch immer sein mag - doch eine wichtige Lektion über die Liebe gelernt: Vergiss Prag, Thailand, den Sale im Einkaufszentrum und Malle all inclusive. Seit diesem Jahr ist es amtlich:
Der beste Ort sind wir! Na gut, UND ein Supermarkt-Regal voller Toilettenpapier...

Till Seifert ist Sänger, Songwriter und Popmusiker. Am 2.10. ist sein Album "Der beste Ort sind wir" erschienen. Reinhören kann man auf Spotify oder auf Youtube.