In Modefragen war ich noch nie besonders bewandert. In meinem Elternhaus spielten Mode und Design nur eine sehr untergeordnete Rolle. Soziale Kontakte und gemeinsame Erlebnisse waren bei uns wichtiger, und sind es noch. Das finde ich auch gut. Manchmal denke ich, dass ein bisschen mehr Stil mir gut getan hätte, andererseits hatte und habe ich sowieso meinen ganz eigenen Kopf...
Klamotten auftragen hemmt die Stilfindung
Viele Kinder mussten und müssen die Klamotten ihrer älteren Geschwister auftragen. Bis zu einem gewissen Alter ist das auch kein Problem. Ich stand allerdings vor einer besonderen Herausforderung: Mein Bruder ist nicht nur 6 Jahre älter, sondern steuerte auch auf eine Größe von über 2 Metern zu. Damals war es trotzdem irgendwie 'cool' seine Kleidung zu tragen. Statt geflochtenen Zöpfen und Blümchenkleidern trug ich also Baggy-Pants und viel zu weite Skater Hoodies. Mensch, war ich cool. Zumindest bis zu dem Moment, in dem ich bemerkte, dass ich gar keine Skaterin war und doch irgendwie auch gar nicht so sehr wie mein Bruder sein wollte.
Und dann stand ich hilflos in der Mädchenabteilung von P&C, C&A, H&M und wie sie alle heißen. Irgendwie passte das alles nicht zu mir. Mit Glück fand ich ein paar unisex Teile, das gab es damals noch nicht so wie heute. Meist nahm ich einen dunklen Pulli und eine Loose Fit Jeans. Bei T-Shirts griff ich häufig zu männlichen Print Mustern, Größe S. Ich war Teenager und irgendwie war mir das alles ziemlich egal. Gleichzeitig bemerkte ich, dass ich nicht in die stereotypen Geschlechterrollen passte und hatte Probleme meine Identität zu finden. Irritierte Blicke und Menschen, die mich von der Damen- auf die Herrentoilette schicken wollten, verunsicherten mich zusätzlich.
Jeder hat Stil – seinen eigenen
Manchmal nervte es mich so sehr, wenn ich für einen Jungen gehalten worden bin, dass ich mir dann doch feminine Kleidung kaufte. Doch irgendwie passten die Teile selten zusammen, geschweige denn zu mir. War ja auch quatsch, mich für andere extra weiblich zu kleiden. Traf ich auf sehr modebewusste Menschen, wünschte ich mir manchmal, mich auch etwas stilvoller zu kleiden, aber wie? Ich fragte stilvolle Freundinnen und lernte, dass Menschen, die sich selbst gut kleiden, nicht unbedingt auch andere einkleiden können. Es war ziemlich frustrierend, sich verkleidet zu fühlen.
Heute weiß ich, dass jeder Mensch seinen eigenen Stil hat. Wer sich selbst gut einkleiden kann, hat sich, seinen Stil und die Mode gut verstanden. Seinen Geschmack oder aktuelle Modetrends jemandem (unreflektiert) aufdrücken zu wollen funktioniert allerdings nicht, selbst wenn es gut gemeint ist.
Ich hatte das Glück, einen Menschen zu treffen, der mich und meinen Stil erkannt hat: Ich bin einfach kein Blumenmädchen mit pinkem Haarband, keine Rüschenbluse und man sollte mich auf keinen Fall auf hohen Absätzen auf die Straßen lassen. Ich liebe meine Jogginghose und meine Sneaker. Es darf aber gern auch ein Lackschuh, eine lange Bluse mit tollem Blazer oder eine schwarze Lederjacke sein. Aus Loose Fit wurden überwiegend Skinny Jeans und – ich glaube es kaum - manchmal trage ich einen engen Strickpullover in lachsrosa. Mein Stil ist einzigartig und wandelbar, deiner übrigens auch. Früher war mir Mode egal, heute probiere ich gern aus, was zu mir passt.
Kleider machen Leute? Macken auch.
Mit meiner Jogginghose gebe ich ein Statement: Gemütlichkeit und Müßiggang. Einmal bin ich in ihr sogar von der Couch in eine Tanzbar gegangen – einfach so. Mir war egal, was die Leute gedacht haben. Die mir wichtigste Person sagte: „Du bist die schönste Frau hier.“ Es stimmt, Kleider machen Leute und ich liebe es, damit zu spielen. Viel wichtiger ist mir aber, hinter die Kleidung zu schauen. Mich interessieren die Geschichten, die einen Menschen gezeichnet haben, nicht seine äußere Hülle.