Alle wollten damals ein Kleid von der Frau, die sich gerade eine Zigarette ansteckt. 2000 war das. Die Kleider wirkten, als wäre man soeben einem Hollywoodfilm der 40er-Jahre entsprungen, fehlte nur noch ein Kelch mit Champagner – und auf 30 Grad konnte man sie auch waschen. Jede Hamburgerin, die etwas auf sich hielt, stieg die Stufen hinab in den kleinen Laden im Karoviertel, ließ sich von der Designerin persönlich beraten und stolzierte mit erhobenem Kinn und einer Tüte in der Hand wieder heraus. Ihre Entwürfe waren in allen Zeitschriften, man sagte ihr eine internationale Karriere voraus. Anna Fuchs hieß die Designerin, ihr Label ebenfalls. Vor drei Jahren machte sie Schluss und ihren Hamburger Flagship-Store dicht. „Eine schwere und traurige Entscheidung, an der ich immer noch knapse, aber es war auch ein befreiendes Gefühl“, sagt sie und bläst eine feine Rauchwolke in den Himmel, die im Nichts entschwindet. Wer sich heute mit der Designerin trifft, lernt eine Menge darüber, wie das Modebusiness in Deutschland funktioniert. Und vor allem lernt man jemanden kennen, den das Verschwinden einer ganzen Kultur schmerzt. Weil die deutsche Frau zwischen flüchtigen Trends und praktischer Funktionskleidung hin und her taumelt, sich niemand mehr etwas schneidern lässt und Glamour ein leeres Wort geworden ist. Sie spricht das Wort nicht englisch aus, sondern deutsch. „Glamuhr“, sagt sie, und die Vokabel bekommt nostalgischen Glanz.
"An Tagen, an denen es einem nicht gut geht, kann einem ein gut geschnittener Mantel das Gefühl einer Rüstung geben.“
„Ach, meine Vision, natürlich war die schön!“, sagt sie und lacht. Schon mit 14 stöbert sie in Secondhandshops herum und entdeckt, dass Mode nicht an jedem gleich aussieht. Sie kauft sich eine Nähmaschine und fertigt das erste Kleidungsstück. Ein Etuikleid aus Frottee. „Ich war dann am Haken und musste nähen“, erzählt sie. Sie beginnt eine Lehre in einem der letzten Schneiderei-Ateliers in Hamburg, macht noch eine Design-Assistenz, geht für eine Weile ins Ausland, kehrt zurück und eröffnet mit 26 ihren eigenen Laden. „Ja, das ist jung“, sagt sie und nickt. „Aber es war eine tolle Erfahrung, es ist so ein schönes Gefühl, Leute mit Kleidung glücklich zu machen.“ Anna Fuchs blickt einer Frau im Regenmantel hinterher. „Frauen haben oft Angst, etwas Zarteres oder auch Forscheres von sich zu zeigen. Die hüllen sich ein, aber kleiden sich nicht. An Tagen, an denen es einem nicht gut geht, kann einem ein gut geschnittener Mantel das Gefühl einer Rüstung geben.“
Unauffällig begutachtet man, was die heute 43-Jährige trägt. Einen schwarzen Pullover mit kurzen Ärmeln, dazu einen Rock und Plateauschuhe. Dezent, perfekt und zugleich nachlässig. Oder anders gesagt, so, wie man es selbst immer hinbekommen möchte und nicht hinkriegt. „Die Presse kam damals sofort“, sagt sie. „So etwas wie mich gab es damals ja nicht.“ Nein, allerdings nicht. Eine hübsche Mittzwanzigerin, die Mode wie aus einem Film noir fertigt, während der Rest der Nation Cargohosen für den letzten Schrei hält. In New York wird sie zwei Jahre nacheinander für den Rising Star Award nominiert, ein Preis, den auch Designer Marc Jacobs gewann. Sie hatte eine PR-Agentin in Amerika, die Einkäufer von Saks Fifth Avenue und Neiman Marcus kamen zu ihrem Showroom, um zu sehen, was die Norddeutsche für Kleider fertigt. Das klingt nach Durchbruch. Karl Lagerfeld, Jil Sander und Wolfgang Joop machten vor, wie man von Hamburg aus durchstartet, hier gibt es Hochschulen und genug Kundinnen, die Geld wie Heu haben.
"Es hat immer mit sehr viel Geld zu tun, wenn du etwas mit Mode machen willst"
Und doch kam alles anders. Ausländische Marken drängten auf den Markt, der Internethandel nahm Fahrt auf, das Kaufverhalten veränderte sich. Dazu kam das Geld für den Stoff, die Lieferanten, den Vertrieb. „Es hat immer mit sehr viel Geld zu tun, wenn du etwas mit Mode machen willst und einen gewissen Anspruch verfolgst“, erklärt Anna Fuchs. „Um zu wachsen, braucht man immer mehr Kunden. Und die kamen nicht.“ Auch ein Grund: die Finanzkrise. Anna Fuchs’ Stimme wird so bitter wie Asche auf der Zunge. „Einige kamen nur noch zum Sale und sagten, dass es ihnen leid täte, aber sie nicht mehr so viel Geld hätten. Ich habe das nie verstanden. Gerade wenn man wenig Geld hat, sollte man das doch gezielt ausgeben. Wie sagte Jil Sanders Mutter? ,Wir sind zu arm, um billig zu kaufen.‘“
2006 zog sie in einen größeren Laden um die Ecke – und ohne zu wissen, auf eine Baustelle. „Der ganze Vorplatz wurde aufgerissen. Man konnte nicht mehr vor dem Laden parken. Eine Katastrophe.“ Anna Fuchs redet schnell, das Hamburgische färbt sich jetzt stärker in ihre Sätze. „Was das Fass zum Überlaufen brachte, war der Moment, als mich eines Morgens ein Mann von der Telekom begrüßte: ,Guten Tag, wir müssen noch mal die ganze Straße aufreißen.‘ Da bin ich in den Laden gegangen und habe gesagt: ,Das war’s.‘“ Sie stoppt die Produktion, verkauft alles, was in den Lagern ist und geht sogar mit einem fetten Plus raus. Das muss man auch erst einmal schaffen.
Hier gilt Mode als Firlefanz
Anna Fuchs hat nie gejammert. Weder damals noch heute. Jammern passt nicht zu ihr, wütend werden schon. Zum Beispiel darüber, dass es in Deutschland keine Förderung für Talente gibt. In London oder Paris sieht man Mode als Standortfaktor. Hier gilt Mode als Firlefanz, und kein Jungdesigner schafft es, sich über diese Vorbehalte zu erheben. „Wir brauchen nur ein einziges positives Beispiel!“, sagt Anna Fuchs. „Das hätte ja nicht ich sein müssen.“
„Seit den 90er-Jahren haben die Frauen ihren Anspruch, schick gekleidet zu sein, an den Nagel gehängt“
Heute designt die Mutter eines 9-jährigen Sohnes für andere Firmen, vergibt Lizenzen für ihre Entwürfe und schiebt Projekte an, die noch nicht spruchreif sind. Leise beschleicht einen das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie wieder in der Mode durchstartet. In jedem Fall tritt sie noch immer vehement dafür ein, dass man anders über Kleidung nachdenken sollte – über Eleganz sowieso. Wenn Anna Fuchs eine dunkle Haarsträhne zurückstreicht oder sich über teures Tuch von französischen Wollwebern auslässt („Bei Stoffen werde ich arrogant“), bekommt sie etwas Mondänes. Man glaubt sofort, dass sie damals, als ihr Sohn noch klein war, immer als Einzige mit Highheels auf dem Spielplatz saß. „Seit den 90er-Jahren haben die Frauen ihren Anspruch, schick gekleidet zu sein, an den Nagel gehängt“, klagt sie. „Dazu kommt, dass sich eine gute deutsche Mutter nicht zu schminken und keine hohen Schuhe anzuziehen hat. Ein Modelabel verliert für Jahre seine Stammkundinnen, wenn die das erste Kind bekommen. Das musste ich auch erst lernen.“ Eine Hummel ist auf dem Tisch havariert und muss gerettet werden. Als Anna Fuchs sich wieder hinsetzt, sagt sie: „Ich wollte den Frauen etwas an die Hand geben, weil ich die Erfahrung gemacht hatte, dass man sich gut gekleidet viel mehr herausnehmen kann als in einer abgeschabten Jeans.“ Spätestens jetzt will man sofort nach Hause rennen, die Schlabberhosen aus dem Schrank zerren, in den Müll stopfen und etwas Geschmackvolles anziehen. Vorher eine letzte Frage. Ist sie heute glücklich?
„Als ich den Laden das letzte Mal abschloss und nach Hause ging, war ich wirklich erleichtert. Aber bin ich heute glücklich? Nein. Menschen, die gezwungen sind, aus Vernunftgründen ihre Leidenschaft aufzugeben, können ja nicht glücklich sein.“ Man möchte in diesem Moment ausrufen, dass die Leidenschaft doch noch glimmt. Dass Mode sich immer wieder neu erfindet, sogar in Deutschland, und vielleicht sogar auf Spielplätzen!
Aber nicht heute. Stattdessen wird noch eine Abschiedszigarette angezündet und der Rauch in den Wind geblasen.