Es begann mit einem Knallbonbon. Mit mir als Knallbonbon, um genau zu sein. Leider keine originelle Faschingsverkleidung, sondern mein Alltagskostüm als Kind. Oilily, die Marke, auf die meine Mutter setzte. Heute behauptet sie felsenfest, sie hätte uns drei Kinder nur so kreischig angezogen, damit wir nicht verlorengingen. Hat geklappt. Alle drei noch da. Leider legte die mütterliche Fürsorge auch den Grundstein für mein, nennen wir es vorsichtig: Markenbewusstsein. Sage ich jetzt mal so (sorry, Mama), um nicht selbst verantwortlich sein zu müssen. Denn es wurde schlimmer. Pubertäres Geschrei, Türenknallen und Bodentrampeln waren die Folge unerfüllter Wünsche. Die Wünsche? Buffalos. Richtig, die Schuhe mit der riesigen Plateausohle oder der Trekking-ähnlichen Reifensohle. Musste man in den Neunzigern haben. Das versuchte ich meiner Mutter mit allen Mitteln, die einem Teenie-Mädchen zur Verfügung stehen (Alarm-stimme und Heulkrampf ), beizubringen. Meine Schwester bekam Wind, war mit am Will-ich-haben-Bord – und so kapitulierte Mama eher, als dass sie zustimmte. Aber so gewinnt man Kriege. Und das war einer. Es ging ums pure Überleben. Auf dem Schulhof. Um Zugehörigkeit. Bloß kein Außenseiter sein, lieber Mitläufer. Ist sicherer. Nachvollziehbare, menschliche Gefühle, die durch materiellen Besitz befriedigt werden konnten. Bis zu einem gewissen Punkt, ist klar, aber das Bewusstsein kam leider erst später...
Arschteuer und arschknapp
Die Schuhe hatten wir also. Jetzt brauchten wir noch die passende Hose. Da hatte man im Gruppenzwanglager Schule keine Wahl: ’Ne flotte Miss Sixty musste her – arschteuer. Und: arschknapp. Ich höre die Stimme meiner Mutter noch heute: „Zieh dir ein Unterhemd an. Und steck es in die Hose! Deine Nieren!“ Mein Bruder war eher der Carhartt-, Helly-Hansen-, Fila-Typ, während meine Schwester und ich den Spice-Girls-Hype am eigenen Körper materialisierten.
"Will ich, brauch ich sonst sterb ich"
Was nach lustigem Schwelgen in der Vergangenheit klingt, wirft Fragen auf: Was ist heute? Was hat sich verändert? Ehrlich: nicht viel. Ich könnte mir einen Toshiba-Rechner kaufen, hab aber einen von Apple. Unterschied zum kindlichen Wollen: Heute versuche ich mich selbstbescheißerisch herauszuargumentieren. Viel bessere Handhabung, bla, bla, bla. Damals war ich wenigstens ehrlich: will ich, brauch ich, sonst sterb ich. Was also als reine Lebenserhaltungsmaßnahme auf dem Schulhof begann, wurde irgendwann zum Identifikationsmerkmal. Die Industrie – egal ob Mode, Technik oder Auto – macht es mir aber auch so leicht, Dinge zu wollen. Denn es sind natürlich immer die anderen, die mich verleiten. Erst meine Mutter, dann die Industrie. Klar. Eigentlich aber mein Unterbewusstsein. Ständig werden wir auf allen Kanälen mit neuen Dingen beschossen. Normaler Prozess in meinem Kopf: oh, wie furchtbar. Irgendwann dann: gar nicht so übel. Bis das Gefühl einem Will-ich-auch-Drang weicht – und dann bin ich es, die vor sich selbst kapituliert.
Markenliebe ist emotional, verbindet, hat was mit Nähe und Werten zu tun. Qualität, Design und Image spielen eine Rolle. Status sowieso. Damit geht es auch um Selbstdarstellung. Früher wollte man, was andere hatten, um dazuzugehören. Heute will man einerseits, was andere nicht haben, um sich abzuheben. Andererseits was von Apple. Wie auch immer: Am Ende bleibt Besitz. Heißt bei mir konkret: Laptop von Apple, Handy von Blackberry – mein letzter Schutzwall gegen die völlige Veropferung. Schmerzlich traf mich da die Meldung, der einstige Smartphone-Pionier werde keine Telefone mehr herstellen. Was nun? Was tun? Ein iPhone kaufen? Auf gar keinen Fall. Ich überlege noch.
Die Rettung ist schon fast in Sicht
Warum aber meinen wir eigentlich ständig, Dinge zu wollen, gar zu brauchen? Wenn es nach der Zukunftsforschung geht, muss ich mich das zum Glück gar nicht mehr fragen, denn sie meint: Wir werden schon bald aufhören, übermäßig zu konsumieren. Nicht weil wir unbedingt weniger Geld, sondern keine Lust mehr auf Besitz haben werden. Trifft auf mich ein bisschen zu. Ich habe kein Auto und will auch keins. Ist allerdings auch nur halb wahr. Mein Mann hat eins. Und ich benutze es. Sag ich doch: selbstbescheißerisches Herausargumentieren. Laut der Zukunftsforscher gehe zudem das heutige Kaufverhalten deutlich in Richtung ethischen Konsum. Steht also eng im Zusammenhang mit Umwelt- und Sozialstandards. Dafür spricht die wachsende Zahl „grüner“ Modemarken. Dagegen: die Expansion des Billigmodehauses „Primark“ in Deutschland. Dafür: die Share-Economy. Dagegen: der irrsinnige Fast-Fashion-Wahnsinn, der wöchentlich den Wechsel des Warensortiments in Läden vorsieht. Wie stark mich dieses System übrigens schon gepackt hatte, merkte ich, als ich ein paar Mal in denselben Möbelladen ging und mich wunderte, warum da immer noch dieselben Sachen standen. Erwischt. Ich saß in der Konsumfalle. Und schämte mich ein bisschen. Da machte es leise „klick“. Ein schönes Geräusch im inneren Ohr, das leider nur ich selbst hörte... Das Klick wurde zu meiner persönlichen, melodischen Parole: Ihr kriegt mich nicht! Kauf ich mir halt kein neues, teures Sofa. So. Ausgetrickst. Huch, die Kerzenständer sind aber hübsch! Von wem sind die eigentlich?