Carolin Kebekus: Und das ist ja auch so. Ich bin ja nicht nur bekannt, sondern auch eine normale Privatperson. Zum Glück. Es gibt eine Menge Kollegen, die sich ihrer Prominenz oder was sie dafür halten seeehr bewusst sind.
Barbara: Oh ja. Und die sagen dann: Ich kann nicht shoppen gehen, ich kann nicht Bahn fahren, weil ich sofort erkannt werde.
Carolin: Und was sagst du?
Barbara: Dass das Blödsinn ist. Ich gehe überall hin, und ich werde dabei noch nicht einmal angesprochen. Ich glaube, Normalität ist auch eine innere Haltung, eine Entscheidung, die man für sich selbst trifft.
Carolin: Das stimmt. Wenn ich mit Freunden unterwegs war, sagen die hinterher oft: Boah, haben die Leute heute wieder geguckt. Ich bekomme das nicht mit, ganz ehrlich.
Barbara: Ich glaube, uns beiden hilft, dass wir da so ganz langsam reingewachsen sind.
Carolin: Stimmt. Wir konnten uns sanft daran gewöhnen. Aber wenn Leute, bämm!, von null auf hundert in die große Öffentlichkeit geworfen werden ...
Barbara: ... wenn man also „DSDS“ gewinnt oder „The Voice“ ,,,
Carolin:… dann muss das wirklich schräg sein.
Barbara: Wie lange bist du denn schon diese öffentliche Person?
Carolin: In diesem Jahr wird es 20 Jahre her sein, dass ich zum ersten Mal im Fernsehen war – Praktikum in Hürth-Kalscheuren.
Barbara: Da hat auch meine Karriere angefangen. Aber ich habe die 20 Jahre schon im letzten Jahr vollbekommen. Klingt monumental, oder? Wie alt bist du noch mal?
Carolin: Noch 38.
Barbara: Und ich werde 45. Machen wir uns nichts vor: Die Luft wird dünner.
Carolin: Ich habe neulich gerade angefangen, einen Roman zu lesen. Der erste Absatz ging etwa so: „Er ging am Spiegel vorbei, blieb stehen und betrachtete sich. Sein müder Blick, sein Dreitagebart, aber man musste sagen: Für seine 38 Jahre sah er noch sehr gut aus.“ Und ich dachte schon wieder: Hä?
Barbara: Wie ging es weiter?
Carolin: Keine Ahnung, ich habe das Ding direkt wieder weggelegt. Auf die Scheiße hatte ich gar keinen Bock. Was ist das für ein Bild, das dahintersteckt? Ist man mit Ende 30 schon in der „Aber für ihr Alter“-Ecke?
Barbara: Kommt natürlich immer drauf an, aus welcher Perspektive man das sieht. Als Kind zum Beispiel ist es normal, jeden über 20 für steinalt zu halten.
Carolin: Da ist was dran. Mit acht war für mich auch ausgemacht, dass ich mit 20 ein Kind bekommen würde, schon allein, damit es im Jahr 2000 geboren wird.
Barbara: Es kam nicht dazu.
Carolin: Nee, als es so weit war, fand ich die Aussicht nicht mehr so attraktiv. Aber ich erinnere mich auch noch an den 40. Geburtstag meines Vaters und wie alt ich ihn da fand. Rückblickend muss ich natürlich sagen: Was war der damals für eine coole Sau! Und das ist für mich durchaus beruhigend.
Barbara: Was genau?
Carolin: Die Erkenntnis: Ist ja gar nicht so schlimm, die Sache mit dem Älterwerden.
Barbara: Im Gegenteil. Ist ja nicht so, dass das Leben zwischen 20 und 40 stattfindet. Das Beste kommt dann erst noch, das ist mein Gefühl. Ich habe mir jetzt auch vorgenommen, die Gäste in der Talkshow nicht mehr auf ihr Alter anzusprechen. Ich meine, da sagst du: „Sie sind jetzt 78 ...“
Carolin: ... und dann applaudieren alle und sagen „Ahhh!“ und „Ohhh!“.
Barbara: Genau. Als ob das eine Leistung wäre. Und ich stelle fest: Fast alle 78-Jährigen sind heute irgendwie cool, da hat sich viel verändert in den letzten 20 Jahren. Wir wollen nicht mehr gefragt werden, wie wir als Frauen Beruf und Familie unter einen Hut bekommen. Die Frage nach dem Alter sollte auch verboten werden.
Carolin: Aber du weißt schon, dass du damit gerade ganze Industriezweige hinterfragst?
Barbara: Zum Beispiel?
Carolin: Die Anti-Aging-Imperien. Uns wird doch ständig erzählt, dass Alter nichts ist, was wir als gegeben hinnehmen müssen. Falten? Du, da kann man was machen. Cellulite? Muss doch nicht sein. Die machen uns ein schlechtes Gewissen, weil wir schon wieder nicht beim Sport und schon wieder nicht gut zu uns waren …
Barbara: Wer sind die?
Carolin: Na, ihr Frauenzeitschriften zum Beispiel.
Barbara: Aber wir machen das doch ganz bewusst nicht. Wir wollen keine Checklisten, keine Selbstoptimierung, keinen Stress schon auf Seite 12.
Carolin: Ach so. Bei dir muss ich also nicht fünf Liter Wasser trinken, morgens dieses Peeling auflegen und abends jene Maske?
Barbara: Rein zeitschriftenmäßig: Nein. Wenn du mich persönlich fragst: Ein Stück weit sind wir ja doch gefangen in dieser Denke. Ich fühle mich in einer bestimmten körperlichen Verfassung einfach wohler als in der anderen, und die erreiche ich mit Sport und Wasser und keinem Alkohol und weniger Zucker eher. Da ist schon eine Ästhetik, die uns innewohnt. Und das ist auch okay so.
Carolin: Und trotzdem hast du recht: Ich trete jetzt in die bessere Phase ein. In eine, in der ich mit mir mehr im Reinen bin. Ich sehe nicht mehr so aus wie mit 20, das weiß ich, da hatte ich definitiv den geileren Arsch. Aber mit 20 habe ich auch vor dem Spiegel gestanden und geheult. Und der Sex …
Barbara: Was ist mit dem?
Carolin: Ist viel besser heute, weil ich inzwischen weiß, was Sache ist.
Barbara: Och, ich kam mit 20 auch schon gut klar. Aber in meinen 40ern noch tausendmal besser.
Carolin: Wir sind einfach entspannter jetzt.
Barbara: Und achten auf andere Sachen. Mit Partnern in einer ähnlichen Lebenssituation. Wenn ich mit einem 22-Jährigen ins Bett gehen müsste, würde ich wahrscheinlich über das ein oder andere anders nachdenken.
Carolin: Und was?
Barbara: Na ja. Ich würde mich als eine Art Schulschiff sehen.
Carolin: Aber die Jungs wissen ja auch noch nicht, was sie tun.
Barbara: Da bin ich mir nun wieder nicht so sicher. Ich habe mal von einer Sexualtherapeutin gehört, dass die sexuell-energetisch perfekte Paarung ein 18-jähriger Mann mit einer Frau über 50 wäre.
Carolin: Echt? Wie geht das denn? Man muss sich doch vorher auch mal unterhalten, oder?
Barbara: Nein!
Carolin: Nicht? Steht das nicht auch in diesen Ratgebern, dass man bestimmte Sachen abklären muss? Was man nicht mag, worauf man beim Dirty Talk steht und auf was nicht? Und wenn ich mal fragen darf: Wie kann es eigentlich sein, dass das Thema dieses Gesprächs Normalität ist und wir so schnell beim Sex landen?
Barbara: Weil es darum doch immer geht. Sex ist unser größter Motor, und am Ende steht doch immer die Frage: Macht man es oder macht man’s nicht?
Carolin: Meistens nicht. Leider
Barbara: Wie komme ich jetzt vom Sex auf deine Eltern?
Carolin: Das möchte ich auch gern wissen.
Barbara: Was machen die denn so beruflich?
Carolin: Sozialpädagogin und Banker. Wieso?
Barbara: Weil ich mich frage: Finden die eigentlich normal, was du machst?
Carolin: Total. Die sind aber auch immer dabei, seit ich auf der Bühne bin. Hier in der Gegend kommen die zu jedem Auftritt und machen ein Event draus. Bringen dann noch die Müllers mit und gehen vorher lecker was essen.
Barbara: Und dann sind wir schon wieder beim Sex – es geht ja oft derbe zu bei dir. Kommen deine Eltern damit klar?
Carolin: Ich weiß noch, wie ich 2003 mal in einer RTL-Show über Ejakulat gesungen habe, sehr viel Ejakulat. Und mein Vater saß in der ersten Reihe und hat im Rhythmus mitgeklatscht.
Barbara: Toll. Meine Mutter sagt mir schon manchmal: Das fanden der Papa und ich jetzt nicht so toll. Und ich gebe zu: Das hält mich davon ab, bestimmte Sachen zu machen.
Carolin: Meinen Eltern ist schon klar, dass sie da einer Bühnenfigur zusehen. Und was das angeht, sind sie gestählt und echt hart im Nehmen. Schwieriger ist es, wenn die Nachbarn kommen: „Also, wat Ihre Tochter da neulich wieder verzählt hat ...,“ Das mögen die nicht so gern.
Barbara: Bist du privat so hart drauf wie auf der Bühne?
Carolin: Eher nicht. Da tappe ich in klassisch weibliche Fallen.
Barbara: Welche?
Carolin: Dieses ewige Bemühen um Harmonie und Ausgleich. So was wie: Hm, fanden die jetzt nicht so gut beim Sender, dass wir mehr Geld wollen, oder? Dann lassen wir das lieber.
Barbara: Würde Männern nicht einfallen. Die behaupten ja auch in Vorstellungsgesprächen immer, dass sie Dinge können, von denen sie keine Ahnung haben. Während wir Frauen brav sagen: Weiß ich nicht, kann ich mich aber einarbeiten.
Carolin: Das ist nicht das Einzige, was mich an Männern nervt. Ganz oft relativieren die unsere Leistungen. Neulich hat mir ein Kollege gratuliert: „Toll, läuft ja wahnsinnig gut bei dir. Obwohl, hast auch Glück gehabt. Ist ja keine andere Frau da, die dir Konkurrenz machen kann.“ Fand ich krass.
Barbara: Ich glaube, es ist hart für Männer zu akzeptieren, dass wir Frauen nach und nach in ihre Bereiche eindringen und wirklich unsere 50 Prozent des Himmels für uns reklamieren.
Carolin: Also, wenn es nur das wäre. Schau doch mal die #MeToo-Debatte an.
Barbara: Was meinst du?
Carolin: Ich habe neulich ein Interview im „Stern“ dazu gegeben. Und darin gesagt, dass ich nie Opfer sexueller Gewalt geworden bin, aber dass mir auch schon mal an den Hintern gefasst wurde – wie jeder Frau. Auf Twitter ging dann voll der Shitstorm los danach, mit dem Tenor: Jetzt will sie auch was abhaben vom Kuchen.
Barbara: Vom Kuchen?
Carolin: Vom Kuchen. Als ob sexuell belästigt zu werden ein Privileg wäre, eine Gunst, die mir erwiesen wird. Was ist das für ein Bild? Und was macht die Angestellte in einem Autohaus, die sich nicht mit einem Interview im „Stern“ wehren kann, sondern auf ihren Job angewiesen ist? Die Hand am Hintern ist oft deren Normalität. Oder, in milderer Form, die abtastenden Blicke der Männer. Der weibliche Körper ist immer zur Beurteilung freigegeben.
Barbara: #MeToo ist jetzt etwas über ein Jahr alt. Hat das für dich was verändert?
Carolin: Schon. Es wird anders darüber geredet. Bisher wurde Frauen immer eine gewisse Mitschuld unterstellt. Da wird bei Missbrauchsprozessen vor Gericht gefragt: Was hatten Sie an? Hätten Sie sich anders verhalten können? Ey, im Ernst: Wenn ich nackt durch Köln laufe, hat trotzdem niemand das Recht, mich anzufassen. Und ich glaube, das sickert so langsam ein. Wenn Männer sehen, dass das Verhalten von Harvey Weinstein sogar für ihn Konsequenzen hat – dann überlegen sie sich schon, wie sie sich einer Frau nähern.
Barbara: Wobei ja viele behaupten, sie seien jetzt total verunsichert. Wüssten gar nicht mehr, was noch erlaubt sei und was nicht.
Carolin: Was totaler Schwachsinn ist. Erlaubt ist natürlich, was immer schon okay war. Und über das andere wird jetzt geredet, und das ist gut. Und Sorgen machen müssen sich die Männer auch nicht.
Barbara: Inwiefern?
Carolin: Ich habe neulich gelesen, dass es wahrscheinlicher ist, dass ein Mann von einem Mann vergewaltigt wird, als dass er von einer Frau fälschlicherweise der sexuellen Belästigung bezichtigt wird. Und selbst bei echter Belästigung bleibt es ja schwierig. Guck dir an, was im Herbst in Amerika passiert ist: Da hat eine Frau einem Richter, der für den Obersten Gerichtshof nominiert war, vorgeworfen, von ihm als Teenager sexuell belästigt worden zu sein. Sie war glaubhaft. Er hat sie live im Fernsehen niedergebrüllt. Ist durchgekommen. Und sie lebt jetzt unter Polizeischutz.
Barbara: Wenn ein Medienverlag jetzt auf dich zukäme und die „Carolin“ mit dir machen wollte – würde es auch um solche Themen gehen?
Carolin: Vielleicht. Vor allem aber um praktische Sachen. Lifehacks und so.
Barbara: Silber putzen mit Carolin Kebekus?
Carolin: Zum Beispiel. Aber ich glaube, das wäre nichts für mich. Mit dem, was mich wirklich interessiert, bekommt man höchstens alle zwei Jahre ein Heft voll.
CAROLIN KEBEKUS, Jahrgang 1980, begann ihre Fernsehkarriere als Praktikantin bei den „Freitag Nacht News“, wo Produzent Hugo Egon Balder ihr zweimal pro Woche für Schauspielunterricht freigab. Man kennt sie aus diversen TV-Comedy-Formaten. Aber auch Kino kann Kebekus, zuletzt 2017 in „Schatz, nimm du sie!“. Vor allem mit ihren sehr expliziten und feministischen Bühnenprogrammen ist sie erfolgreich – und 2019 laufend mit „Pussy Nation“ auf Tour. Neue Folgen ihrer WDR Show "PussyTerror TV" werden außerdem ab Mai im Ersten zu sehen sein. Kebekus lebt in Köln.